Israel, die Linken und der Krieg

Zwischen dem Antiimperialismus der dummen Kerle und kriegsgeilen Kiebitzen: Über die linken Verwicklungen mit Israel.

Zackzack, November 2023

Die wunderbare Stefanie Sargnagel hat unlängst einen ihrer Cartoons mit der Titelzeile versehen: „Jonas löst den Nahostkonflikt.“ Dabei sieht man einen jungen Mann, rücklings am Sofa, das Smartphone in der Hand, wie er eine – vermutlich – wichtige Meinung in Social Media schreibt. Wie immer bei guten Cartoons hatte die Zeichnung gleich mehrere Bedeutungsebenen. Sesselfurzer haben eine starke Meinung zu allen möglichen Weltkonflikten und schreien bei jeder Rakete „Hurra“. Sie nerven. Das trifft ins Schwarze. Man neigt dazu, laut aufzulachen und Sargnagels Kritik zuzustimmen. Aber zugleich spürte ich eine Reserviertheit. Ich fand den Cartoon gut und weniger gut zugleich. Aber warum? Weil es sehr nah an Provinzialismus schrammt, von der Art: Wir können hier bei uns sowieso nichts Sinnvolles beitragen, also ist es völlig unerheblich, sich überhaupt mit Geschehnissen anderswo zu beschäftigen, ganz egal ob in Ghana, Peru oder Israel. Das Sumpertum eben, für das man hier besonders anfällig ist. Israel, die Linken und der Krieg weiterlesen

Fanatiker sind immer die anderen

Selbst kleine Meinungsabweichungen werden heute schnell als „unmoralische“ Auffassungen verleumdet. Das ist eine gefährliche Sackgasse.

Vor ein paar Tagen bin ich bei der Frankfurter Buchmesse meinem Freund und Autorenkollegen Harald Welzer über dem Weg gelaufen. Wir haben uns lange nicht gesehen und uns über die Wiederbegegnung entsprechend gefreut. Wir haben uns umarmt und sind dann auf einen kleinen Tratsch auf die Terrasse am Rande der Messehalle gegangen und haben herumgealbert. Dazu muss man wissen, dass Harald in den vergangenen Jahren zu einer Reihe von Themen „problematische“ Meinungen vertreten hat. „Problematisch“ sind heute Meinungen meist dann, wenn jemand etwas meint, was man selbst gerade nicht meint. Wenn ich mich recht erinnere, ging es dabei primär um den Konflikt in der Ukraine.

Kurz davor habe ich auf einer der Messebühnen eine Debatte mit Ralf Stegner gehabt, der hat auch „problematische“ Meinungen zu einem oder zwei Themen, um die es aber bei der Debatte nicht ging. Fanatiker sind immer die anderen weiterlesen

Freundschaft als Methode

Künstler, Kämpfer, Denker – die Poetikvorlesungen von Milo Rau, Europas spannendstem Regisseur.

Kritiker haben ihn schon den „einflussreichsten“ (Die Zeit) und den „kontroversesten“ Theaterkünstler unserer Zeit genannt – den aus der Schweiz stammenden Autor und Regisseur Milo Rau. Anfang dieses Jahres wurde er in einem spektakulären Mutanfall der Verantwortlichen zum neuen Intendanten der Wiener Festwochen gekrönt, die vergangenen Jahre schuftete Rau als Leiter des Niederländischen Theaters in Gent. Seine „Antigone im Amazonas“ riss bei den jüngsten Festwochen das Burgtheaterpublikum zu Ovationen auf die Beine. Im dichten Stakkato haut er auch Bücher und Großessays heraus. Eben wurde die „Rückeroberung der Zukunft“ ausgeliefert. Milo Rau wirbelt durch die Welt, gefühlt ist er jede Woche auf einem anderen Kontinent. Freundschaft als Methode weiterlesen

Demokratie im Betrieb

Unternehmen mit guter Mitbestimmungskultur sind häufig erfolgreicher – die Belegschaft ist engagierter und identifiziert sich mehr mit der Firma.

Arbeit & Wirtschaft, Oktober 2023

„Führen ohne Chef“, so werden manche neuartige Organisationsmodelle in Unternehmen schon in Branchen- und Consultingportalen angepriesen. So rosarot und basisdemokratisch ist das dann natürlich in der Regel nicht, aber oft steigt das Betriebsklima merklich. Berater und Coaches legen autokratischen Kontrollfreaks daher längst nahe: „Loslassen lohnt sich!“

Botschaft: Chefs, schafft Euch ab!

En vogue ist heutzutage etwa das Führungskonzept der Holokratie. Anders als in hierarchischen Strukturen mit starren Abteilungen – Abteilungsleitern, Stellvertretern, Mitarbeitern – treten kreisförmige, flexible Strukturen, die sich auf wechselnde Aufgaben anpassen können. Mehr „Basisdemokratie“ und „Selbstorganisation“ verspricht das Organisationsmodell. Und eine für das Unternehmen günstige Anpassungsfähigkeit, die von den Beschäftigten weitgehend selbst erledigt wird.

Beispiel: Das Linzer Elektronikunternehmen KEBA. „Die Umstellung funktionierte fast reibungslos“, erzählt Betriebsratsvorsitzender Tom Metschitzer. „Der Betriebsrat war von Beginn an involviert. Ich hatte irgendwann sogar die Sorge: Habe ich etwas übersehen? So etwas kann doch nicht ohne Konflikte ablaufen!?“ Demokratie im Betrieb weiterlesen

Der taumelnde Westen

Die Welt in Flammen, Brandherde überall. Lange glaubten wir Westler, die Welt dreht sich um uns. Aber das ändert sich gerade.

Die Älteren unter uns können sich noch an eine zweigeteilte, bipolare Welt erinnern, West versus Ost, USA versus Sowjetunion, zwei Machtblöcke, um die sich die allermeisten Nationen irgendwie zu gruppieren versuchten (oder dazu gezwungen waren), und ein paar wenige andere manövrierten dazwischen, die sogenannten „blockfreien Länder“. Danach gab es einige Jahre die Illusion einer „unipolaren Welt“, mit den USA als Zentrum. Die USA waren Hegemon. Sie konnten natürlich nie in den letzten Winkel der Welt hinein regieren, es gab viel Chaos, aber man konnte sich immerhin einbilden, dass die Idee und das politische System des Westens mehr oder weniger zum einzig tauglichen Modell geworden waren, an denen sich alle doch einigermaßen orientierten. Pluralistische Demokratie, kapitalistische Marktwirtschaft, Menschenrechte, all dem wollten die meisten Länder nacheifern, war man überzeugt. Und sei es bloß nach und nach. Der taumelnde Westen weiterlesen

Sprechen über Israel

Nach dem grausamen Massaker der Hamas: Warum sind so viele Worte schal und voller falscher Phrasen?

Zackzack, Oktober 2023

Die Welt steht in Flammen, und alles ist falsch und richtig zugleich, alles voller falscher Wahrheiten und wahrer Falschheiten. Das grauenhafte Massaker der Hamas an mehr als 1400 Menschen, in der übergroßen Mehrheit Zivilisten, in der übergroßen Mehrzahl jüdische Israelis, ein auch nach Maßstäben von Kriegsverbrechen maßloses Verbrechen. Es ist unvergleichlich in seinem Ausmaß, unvergleichlich in Grausamkeit und Gnadenlosigkeit und unvergleichlich im Terror, den es verbreitet und bewirkt, also in der Angst und Panik, in die es eine ganze Gesellschaft versetzt, die sogenannten Unbeteiligten, die natürlich Beteiligte sind. Eine ganze Nation in Panik, in Schock und im Zustand allgegenwärtiger Bedrohungsgefühle. Richtig ist, dass es keinen Staat der Welt gibt, der nach einem solchen Geschehen auf eine massive militärische Antwort verzichten könnte. Massiv falsch, eine solche monströse Tat erklärend mit Unrecht, Leid, Unterdrückung und Herabsetzung zu „kontextualisieren“ (ganz zu schweigen von rechtfertigen), also durch das, was den Palästinensern in 75 Jahren Nahostkonflikt angetan wurde, widerfahren ist. Ebenso falsch ist zugleich, die Geschichte von Besatzung, Unrecht, Widerstand gegen dasselbe, von Terror, die Spirale von Gewalt und den Übergang von Gegnerschaft in Hass, die zertretenen Pflanzen von Hoffnung, diese ganzen Verworrenheiten der Geschichte nicht zu erwähnen. Geschehnisse wiederum, die alle Beteiligten mit Geschichte und Geschichten ausstatten, die jeweils andere Seite als die eigentlich Schuldigen anzusehen. Die Gräuel der Hamas machen die Kritik an Besatzung, Abschnürung und Siedlerradikalismus nicht falsch, genauso wie, umgekehrt, letztere die Gräuel der Hamas um nichts weniger widerwärtig machen. Wer hier aufzurechnen beginnt, hat schon verloren. Wer auch nur glaubt, damit auch nur ein wenig dieses Massaker rechtfertigen zu können, hat seinen moralischen Kompass verloren. Und umgekehrt. Und umgekehrt. Alles wahr und falsch zugleich und schal wie auch das Gegenteil.

Der Jargon des Antikolonialismus

Der Massenmord macht Benjamin Netanjahu, böser Geist der israelischen Innenpolitik seit 20 Jahren und Kraft der Zerstörung in Israel selbst, nicht zu einem engelsgleichen Unschuldslamm, als welches er sich gerne durch Meinungsmanipulation und Delegitimierung jeder Kritik hinstellt. Abstrus seine Versuche, jede Kritik an der rechtsradikalen Politik seiner Regierungen als „antisemitisch“ zu framen, aber nicht weniger abstrus, nein, noch abstruser, sind alle Versuche, mit Rhetoriken von „Antiimperialismus“ oder „Anti- oder Postkolonialismus“ die Blutorgien der Hamas irgendwie am Ende doch in nachvollziehbare Widerstandshandlungen geschundener, kolonisierter Seelen hinzubiegen. Letzteres zeigt, nebenbei, ein weiteres Mal wie problematisch die Schemata, der ganze Jargon und die Phrasen postkolonialer Theorie offenbar sind, wenn heutzutage sowohl Putin mit diesen Begrifflichkeiten operieren kann (der diese Rhetoriken klaut, um sich als Widerstandskämpfer gegen westliche Dominanz zu kostümieren), und auch islamistische Meuchelmörder diesen Jargon missbrauchen können. Falsch ist es, den Antisemitismus zu leugnen, den Hass, der Juden entgegenschlägt, ihn kleinzureden, ihn zu ignorieren, und genauso falsch ist, den Antisemitismusvorwurf zum billigen sprachpolizeilichen PR-Instrument zu verwandeln, mit dem jeder und jede moralisch erledigt wird, der die Dinge anders beurteilt als die rechtsradikalen israelischen Regierungsfunktionäre.

Dauernd ist man versucht „Ja“ und „Nein“ zugleich zu schreien. Sprechen über Israel weiterlesen

Erklär mir Victor Adler

Eine Art Kaiser der Linken….

Vor einigen Jahren brachte ich ja einen biografisch-historischen Essay über Victor Adler heraus, knapp, und doch mit allem, was man mal so basically über diesen Titan der österreichischen Geschichte wissen muss. Das schmale Bändchen, dass mir viel Freude bereitet hat, und das auch sehr weite Verbreitung gefunden hat, könnt ihr natürlich immer noch im gepflegten Buchhandel, über Verlag oder die verschiedenen Online-Portale erwerben („Ein seltsamer Held“). Jetzt hat mich Andreas Sator in seine erfolgreiche Podcast- und Videoshow „Erklär mir die Welt“ eingeladen, um in etwas mehr als einer halben Stunde Victor Adler, diese linke Legende, vorzustellen:

Woke und Wahnsinn

Rechtsextremisten haben die „Wokeness-Ideologie“ zum globalen Feind erklärt. Aber auch unter den Linken halten viele die „jungen Woken“ für schädliche Spinner. Zurecht?

Einen „kläffenden Zwerg“ nannte der begnadete Jura Soyfer den Möchtegerndiktator, „eine lebendig gewordene Witzfigur“. Die reaktionäre Brüllmaus, Antipahtieträger selbst für seine Anhänger, war der spätere austrofaschistische Autokrat Engelbert Dollfuß. Ähnlichkeiten mit heutigen Horrorclowns sind möglicherweise nicht gänzlich zufällig.

Während das Land in eine Rezession schlittert, die Realeinkommen im vergangenen Jahr um vier Prozent im Durchschnitt gesunken sind, sich das Unsicherheitsgefühl in alle Lebenslagen frisst, sieht der „kläffende Zwerg“ unserer Tage seine Hauptaufgabe im Kampf gegen die Wokeness. Keine Parlamentsrede, in der Kreml-Herbert Kickl nicht gegen „links-woken Zeitgeist“, „Woke- und Genderideologie“, „Wokewahnsinn“ wettert. Schön, dass wir keine anderen Probleme haben. Wie überall verbeißt sich die extreme Rechte in die von ihr so geliebten Kulturkampfthemen.

Wirtschaftspolitisch steht man treu auf Seiten der Superreichen, hebt bei jeder Steuersenkung für Konzerne artig das Händchen, führt den 12-Stunden-Tag ein, schanzt reichen Freunderln Aufträge zu, und glaubt, mit paranoidem Kulturkampf-Entertainment das Volk aufganseln und so bei der Stange halten zu können. „Anti-Woke“, das ist der neue Schlager aller Rechtsradikalen rund um den Globus. Woke und Wahnsinn weiterlesen

Schrebergarten mit Hintertürl

Politische Landschaftspflege: Kulturhistorische Anmerkungen zur Gartenzwerg-Affäre der SPÖ-Wien.

Zackzack, Oktober 2023.

Es gibt so Affären, die alle aufwühlen, obwohl man sie als Petitessen abtun könnte. Aber wenn die Petitesse auf eine Vorannahme trifft, auf einen Verdacht und ein Wissen, das viele haben, dann ergibt das eine explosive Kombination. Besonders leidet darunter jetzt unser mitleiderweckender Bundeskanzler, der meinte, arme Leute sollten ihren Kindern eben einen Hamburger als warme Mahlzeit gönnen; der sich in Rage redete, und unterstellte, manche Frauen in Teilzeit wollen eben nicht mehr arbeiten. Vor allem aber regte wohl dieser Gestus der Herablassung, der Verachtung auf. Dass da jemand über Menschen in einem Ton redete, der einfach nicht geht.

Es wurde eine Menschenfeindlichkeit sichtbar, die man schon ahnte. Und weil sie so frappierend ausgelebt wurde, regt das jetzt alle auf.

Auch die Schrebergartenaffäre der Wiener SPÖ lässt nur wenige Leute kalt, und da helfen auch keine Hinweise, dass doch wohl auch ein Politiker einen Schrebergarten kaufen darf, dass der Kaufpreis von 160.000 Euro sowieso marktüblich war, dass alle Beteiligten Berichten zufolge auf Wartelisten standen oder sonst irgend etwas. Schrebergarten mit Hintertürl weiterlesen

Einfallstor zur Tyrannei

Martin Wolf, der einflussreichste Wirtschaftsjournalist der Welt, untersucht die Krise des demokratischen Kapitalismus.

Falter, Oktober 2023.

Er sei, schreibt Martin Wolf in den Eröffnungspassagen seines neuen Buches, stets ein Pessimist gewesen, was ihn einerseits vor negativen Überraschungen bewahrt, und gelegentlich unerwartete Freuden beschert habe – dann nämlich, wenn sich die Dinge besser entwickelten als befürchtet. „Die Demokratie ist in der Vergangenheit untergegangen. Es wäre dumm anzunehmen, dass das nicht wieder geschehen könnte“, schreibt Wolf. Der Chefkommentator und Co-Herausgeber der „Financial Times“ ist so etwas wie der global bedeutendste Wirtschaftsjournalist. 77 Jahre ist Wolf heute, der in London als Sohn jüdischer Wiener Flüchtlinge geboren wurde. Sein Vater arbeitete als Theaterautor, Dramaturg, später TV-Macher, vor der Emigration beispielsweise mit Max Reinhardt am Wiener „Volkstheater“.

Martin Wolf, in seinen politischen Ansichten ein Liberaler, in seinen wirtschaftspolitischen am ehesten ein Sozialdemokrat, umkreist sorgenvoll die autoritären Versuchungen und die Krisen der westlichen Demokratie. Seine Grundthese: „Wirtschaftliche Enttäuschungen sind die Hauptursache“ unserer Kalamitäten. Bürgerinnen und Bürger erwarten von der Politik und einem Wirtschaftssystem Prosperität, zumindest einigermaßen erfreuliche Zukunftsaussichten. Schleicht sich chronische Unsicherheit ein und Abstiegsangst dann öffnet sich ein „Einfallstor zur Tyrannei“. Einfallstor zur Tyrannei weiterlesen

AfD, oder: Abschwung für Deutschland

Wirtschaftssorgen stärken Ultrarechte – doch Ultrarechte schaden mittlerweile auch der Wirtschaft.

taz, September 2023.

Eine keineswegs falsche, aber auch etwas zu simple Diagnose lautet so: Trudelt die Wirtschaft, frisst sich Unsicherheit in das Leben vieler Menschen ein, fühlt sich die Mittelschicht von Abstiegsängsten bedroht, so wächst der Rechtsextremismus.

Weniger gängig, aber ebenso richtig ist: Wächst der Rechtsextremismus, dann geht es auch mit der Wirtschaft bergab. AfD, oder: Abschwung für Deutschland weiterlesen

Wie Wohnen zum Luxus wurde

Der Immobilienmarkt wurde zu einer Goldgrube für Reiche und Konzerne. Die breite Masse ist das Opfer.

Es wird ja gerne beklagt, dass alles zur Ware wird, dass ins Leben immer mehr ökonomischer Stress einzieht und überhaupt „der Neoliberalismus“ eine Sackgasse sei. Oft wird dann aber auch angemerkt, dass das doch nur nichtssagende Schlagworte seien.

Dabei kann man konkret sehr genau darstellen, was rund 25 Jahre an neoliberalen „Reformen“ etwa im Wohnungssektor angerichtet wurde. Die Folge ist: Heute bezahlen viele Mittelschichtsfamilien 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens für das Wohnen. Selbst wenn man sich das noch gut leisten kann, dann zieht Unsicherheit ins Leben ein, denn man muss malochen wie ein Schlachtross, und man weiß: Eine Krankheit, und es wirft dich aus der Kurve.

Vergessen wir nicht: Freiheit ist, wenn man niedrige Kosten hat.

Aber wie kam es dazu? Wie Wohnen zum Luxus wurde weiterlesen