Geizkampagnen, europaweit

Tax & Spend: Nichts fürchten Sozialdemokraten heute mehr, als dass sie den Ruf der "Steuererhöhungspartei" hätten. Falter, September 2004 

 

Warum sind höhere Steuern eigentlich so unpopulär? Blöde Frage, ließe sich einwenden, ist doch klar: weil den Leuten mehr bleibt, wenn die Steuersätze niedrig sind, und weniger, wenn sie hoch sind. Nur ist die Sache nicht so einfach, jedenfalls für die breite Masse nicht. Eine höhere Steuer- und Abgabenquote hat meist ja zur Folge, dass die staatliche Infrastruktur funktioniert, das soziale Netz dicht ist und dass die öffentliche Hand investieren kann. Dies generiert dann wieder ein höheres Wachstum, mehr Beschäftigung, höhere Löhne – sodass diejenigen, die niedrige und mittlere Einkommen haben, letztlich mehr gewinnen als verlieren, wenn der Staat über ein ausreichendes Budget verfügt.

 

Dennoch dürfen Politiker, wenn sie gewählt werden wollen, keine Steuererhöhungen ankündigen, und sei es auch nur im kitzekleinsten Nebenaspekt. Sie müssen vielmehr Steuersenkungen versprechen. Und was seit den neunziger Jahren als Modernisierung der Sozialdemokratien in Europa läuft, ist ganz wesentlich eine demonstrative und publicityträchtige Abkehr vom klassischen Staatsinterventionismus. Die Sozialdemokratien hatten keine Chance mehr, solange sie als "Tax-and-Spend"- ("Steuerkassieren-und-Geldausgeben"-) Parteien verschrien waren, wie das bei den Briten hieß.

Dabei handelt es sich bei vielem, was im öffentlichen Diskurs in Sparangelegenheiten verhandelt wird um Getöse und symbolische Politik. Wagt man einen Blick auf die Zahlen, dann entsteht ein erstaunliches Bild. Die Sozialleistungsquote ist in den meisten europäischen Ländern in den vergangenen 25 Jahren weitgehend stabil. In Österreich lag sie 1980 bei 22,3 Prozent, 1993 bei 25 Prozent. In Deutschland immer um rund 25 Prozent. Selbst in Großbritannien lag sie zu Beginn der Thatcher-Ära bei 18,3 Prozent, an deren Ende 1990 bei 19,8 Prozent (Anteil der Sozialleistungen am BIP).

 

Die Steuer- und Abgabenquote wiederum lag in Österreich 1990 bei 40,7 Prozent, im Jahr 2000 bei 43,6 Prozent. In den Niederlanden war sie 1990 bei 42,7 und im Jahr 2000 bei 41,5. Dazwischen lag immerhin die Ära der sozialdemokratischen Modernisierungspolitik von Premierminister Wim Kok.

 

Was sich veränderte, ist die Verteilung der Steuerlast. Steuern für Unternehmen sanken in ganz Europa stark – egal ob sozialdemokratische oder konservative Regierungen amtierten. Ein Resultat des neoliberalen Standortwettbewerbs, aber auch der Veränderungen der Wirtschaftsstrukturen.

 

Das hat seinerseits Auswirkungen. Da das Gros von Budget und Sozialsystemen zunehmend von Lohnabhängigen und beschäftigungsintensiven Unternehmen getragen wird, stellt sich einerseits die Frage der Steuergerechtigkeit. Andererseits ergibt sich eine fragwürdige Steuerungsfunktion des Steuersystems. Wenn die Steuern auf Arbeit wachsen, wird Arbeit teurer, es wächst der Anreiz zu (arbeits-)kostensparenden Rationalisierungen – und damit die Arbeitslosigkeit. Und gleichzeitig meist auch der Graubereich der Schattenwirtschaft.

Eine Verbreiterung der Steuerbasis ist ihrerseits aber auch nicht ohne Risiken. Kapital, scheu wie ein Reh, könnte ins Ausland fliehen. Vor allem brächten höhere Steuern auf große Vermögen (oder Immobilien) womöglich Kalamitäten, ohne allzu große positive Wirkungen zu zeitigen. Darum streitet die deutsche Sozialdemokratie schon seit Jahren über die Für und Wider einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Die hatte der Verfassungsgerichtshof 1997 wegen Ungleichbehandlung von Kapital- im Verhältnis zum Immobilienbesitz aufgehoben. Die rot-grüne Regierung hat eine Neuauflage bisher aus Angst vor der Meinungsmacht der Wohlhabenden nicht gewagt. Auch, weil der finanzielle Gewinn gering wäre: denn die Reichen haben die unerfreuliche Eigenart, dass sie nicht sehr häufig sind. "Reichensteuern" bringen darum, im Gegensatz zu Massensteuern auf Einkommen oder Konsum, wenig an Einnahmen.

 

Dabei ist durchaus möglich, dass die Geizkampagnen der Leitartikler, die ebenso regelmäßig wie erwartbar losbrechen, sobald Sozialdemokraten über neue Steuermodelle nachdenken, beim Publikum gar nicht verfangen müssten. So überraschte in Deutschland vergangenes Jahr eine Initiative von Millionären mit dem Namen "Vermögende für eine Vermögenssteuer", und auch die britische Labourparty durfte die Erfahrung machen, dass sie sich womöglich zu große Sorgen macht, als "Steuererhöhungspartei" verunglimpft zu werden. Londons mächtiger Schatzkanzler Gordon Brown hat in den vergangenen sieben Jahren rund 60 Steuer- und Abgabeposten erhöht – seiner Popularität war das keineswegs abträglich. Mehr noch: Meinungsumfragen zeigen regelmäßig, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Steuererhöhungen akzeptieren würde, wenn dafür notwendige Investitionen im öffentlichen Dienst getätigt werden, etwa im maroden Gesundheitswesen oder in der Verkehrsinfrastruktur. Vernünftige Kommunikationspolitik vorausgesetzt, können also durchaus auch Sozialdemokraten punktuelle Steuererhöhungen "verkaufen".

 

Für die SPÖ ist das freilich eine nur bedingt erfreuliche Nachricht. Schließlich verkörpert die Gusenbauertruppe geradezu Glücklosigkeit in Public-Relations-Dingen.   

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