Lunte am Ölfass

Was ist los in Saudi-Arabien? profil, Juni 2006

Es war nur wenige Tage nach der Zerstörung der Türme des World Trade Center in New York, da entwickelte Fadel Gheit, ägyptischstämmiger Öl-Analyst beim Investmenthaus Oppenheimer & Co., sein "Alptraum-Szenario". Was, fragte der Experte, wenn es Terroristen gelänge, eines der Nervenzentren der saudiarabischen Ölindustrie zu zerstören? Wenn es Terroristen schon schafften, bei hellem Tageslicht das Pentagon zu attackieren, warum sollten sie es dann nicht zuwege bringen, die zentralen Ölverlade-Terminals – etwa Ras Tanura am Persischen Golf – verheerend anzugreifen? Ein Weltwirtschaftsschock wäre die Folge, der den Westen in eine schwere Krise treiben könnte – mit Ölpreisen von gut 100 Dollar pro Barrel Öl, so die düstere Prognose. Dabei ließen sich die psychologischen Folgen noch gar nicht abschätzen.

 

Das Szenario einer totalen Destablisierung des Westens durch saudische al-Qaida Terroristen erschien damals wie eine alarmistische Horrorphantasie. Doch nach den Ereignissen der vergangenen Wochen wirkt ein solches Worst-Case-Szenario plötzlich als durchaus realistische Gefahr. Nachdem al-Qaida-Kämpfern bereits im Jahr 2003 zwei schwere Selbstmordanschläge in Riad mit zusammen fast 50 Toten gelungen waren, startete das Terrornetzwerk im April eine regelrechte Offensive. Erst wurde ein Gebäude des Innenministeriums in Riad in die Luft gejagt, dann starben sechs westliche Ölarbeiter und ein Saudi bei einem Anschlag auf das Büro des US-Konzerns ABB Lummus in der Hafenstadt Janbu. Danach traf es einen Deutschen, der für eine saudische Fluggesellschaft arbeitete – er wurde an einem Geldautomaten erschossen. Ende Mai stürmte ein al-Qaida-Kommando einen Wohnanlagen-Kompex in Khobar, insgesamt kamen 22 Menschen ums Leben. Neun der Bewohner des luxuriösen Compounds schnitten die Terroristen brutal die Kehlen durch. Danach traf es ein Kamerateam der BBC, das wie aus dem Nichts angegriffen wurde – ein irischer Kameramann kam ums Leben. Kurz danach wurde ein Amerikaner gleichsam zu Tode gehetzt – die Mörder verfolgten ihn von einer Klinik bis zu seinem Wohnhaus, wo er mit neun Schüssen in den Kopf regelrecht hingerichtet wurde. Zuletzt verbreitete ein Video Schrecken: es zeigt einen gekidnappten 49jährigen Angestellten der US-Rüstungsfirma Lockheed Martin. Seine Entführer drohten Ende vergangener Woche damit, ihn zu töten, sollten nicht alle al-Qaida-Gefangenen aus saudi-arabischen Gefängnissen freigelassen werden.

 

Was daran besonders erschreckt, ist zweierlei. Zum einen erweist sich al-Qaida wieder einmal als Organisation mit "schneller Lernfähigkeit", wie das Herfried Münckler, Sicherheitsexperte an der Berliner Humboldt-Universität nennt – sie hat erkannt, wie effektiv Aktionen sind, "die auf die hochgradig verletztliche wirtschaftliche Struktur des Westens und auf die Psychologie westlicher Wirtschaftsakteure zielen". Während die islamischen Untergrundkämpfer in Saudi-Arabien bisher vor allem westliche Spezialisten der Öl-Industrie versuchen, mit Terror aus dem Land zu treiben, haben sie sich im Irak zunehmend auf Anschläge auf die ohnehin kaum betriebsfähige Förder-Infrastruktur und Öl-Pipelines verlegt (siehe auch Kasten Seite ???). Zum zweiten zeigt die immer dichtere Abfolge der Anschläge in Saudi-Arabien, dass sich die Untergrundkämpfer praktisch weitgehend ungehindert im Land bewegen können. Sowohl bei dem Anschlag auf das Gebäude des Innenministeriums in Riad wie auch auf die Wohnsiedlung in Khobar hatten die Angreifer offenbar Unterstützer von Innen – Helfer auf Seiten jener Sicherheitskräfte, die Anschläge eigentlich verhindern sollten.

 

So herrscht verständlicherweise Panik unter den rund 80.000 westlichen Ausländern, ohne die die saudische Ölindustrie nur schwer funktionstüchtig wäre. "Man geht kaum mehr auf die Straße", berichtet ein Europäer, der seit zwei Jahren in Riad lebt, gegenüber "profil". Man verfalle zunehmend "in eine Bunkermentalität". Die US-Botschaft hat ihre Mitarbeiter angewiesen, nur mehr in dringenden Fällen das Gebäude zu verlassen. Westler auf der Straße, ohnehin eine verschwindende Minderheit, fühlen sich wie Freiwild. Und auch aus den mit Panzerwägen abgesperrten Hochsicherheits-Wohnanlagen ist das Gefühl von Sicherheit gewichen – denn was helfen die schwerbewaffneten Polizei- und Militärkräfte, wenn die womöglich mit den Terroristen unter einer Decke stecken? Schon verlegen westliche Firmen, wie etwa die deutsche Lufthansa, ihre Vertretungen von Riad nach Dubai. Dass es noch nicht zu massiven Fluchtbewegungen kommt, hängt womöglich nur mit den nahen Sommerferien zusammen. Da sind die westlichen Spezialisten traditionell auf Heimaturlaub und Insider der westlichen Community in Saudi-Arabien nehmen an, dass sich viele von ihnen in dieser Zeit einfach einen neuen Job oder eine neue Aufgabe suchen.

 

Das saudische Königtum und die regierenden Prinzen sehen sich beinahe schon einem regelrechten Guerillakrieg der al-Qaida gegenüber. Die nun dramatisch verschärfte Bedrohung ist das Resultat einer paradoxen, grotesken Symbiose. Denn das saudische Königshaus besteht nicht nur auf der Einhaltung eines rigiden islamischen Systems im Alltag, in dem jede Form von Freizügigkeit und alle weltlichen Freuden verpönt sind, Frauen noch immer keine Rechte genießen und das islamische Recht, die Scharia, in besonders harter Form exekutiert wird – es hängt auch selbst einer militant-puritanischen Lehre des Islam an, die es über die ganze Welt zu verbreiten versucht.

 

Die Lehre geht auf den Sektengründer Muhammad Ibn Abd al-Wahab zurück und wird dementsprechend Wahabismus genannt, einen fundamental-islamischen Prediger, der Ende des 17. Jahrhunderts die Rückkehr zum "echten Islam" predigte, zum asketischen Ideal des Propheten Mohammeds. Aus Wahabs Lehre wäre aber nicht viel geworden, hätte er sich nicht mit dem Stamm eines lokalen arabischen Banditen zusammengetan, mit Mohammed ibn Saud – dem Stammvater des saudi-arabischen Königreiches. Der Beduine und seine Nachfolger haben sich nach und nach die Herrschaft über weite Teile der arabischen Halbinsel zusammenerobert. Die Abfolge von Eroberungsfeldzügen kulminierte erst in der Übernahme der Kontrolle der heiligen Stätten des Islam – Mekka und Medina -, und 1932 in der Proklamation des Königreiches Saudi-Arabien. Und immer blieb der Wahibismus die Privatideologie des Hauses Saud. Und mit dem Ölreichtum des Herrscherhauses wurde auch der Wahabismus mächtig.

 

Die Wahabiten predigen zwar nicht Terror, aber einen aggressiven Islam, und anders als in säkularen arabischen Staaten wie Ägypten, Syrien, Algerien oder dem Irak wurden die militanten Anhänger des Djihad, des Heiligen Krieges, nicht unterdrückt, sondern umhätschelt – solange sie nicht die Legitimität des Hauses Saud in Frage stellten. Osama bin Laden, selbst Spross einer einflussreichen saudischen Milliardärsfamilie, wurde mit reichlichem Budget für den Krieg gegen die Sowjets in Afghanistan ausgestattet. Djihad-Fanatiker, die in ihren Heimatländern verfolgt wurden, erhielten in Saudi-Arabien Exil und hohe Universitätsposten, so etwa Mohammed Qutb, der Bruder des ägyptischen Intellektuellen Sayyed Qutb, der als ideologischer Begründer des militanten Djihad-Islamismus gilt. Und von Afghanistan, über Pakistan, die Philippinen bis nach Bosnien und Deutschland werden Madassas und Koranschulen, in denen ein besonders engstirniger Islam gelehrt wird, mit saudischem Ölgeld bestens ausgestattet.

 

Der Westen, die USA voran, hat das nicht gestört – solange die Saudis Verbündete im Kalten Krieg waren und gute Geschäftsfreunde. Bis sich nach dem 11. September herausstellte, dass bis zuletzt saudisches Geld in die Taschen von al-Qaida floss – Berichten zufolge bis zu 500 Millionen Dollar allein in den neunziger Jahren -, und dass 15 der Attentäter des 11. September aus Saudi-Arabien stammten. Erst in jüngster Zeit sehen sich westliche Sicherheitsbehörden ein bisschen genauer an, wen sie da bisher ungestört gewähren ließen. Und stoßen auf regelrechte Universitäten eines aggressiven Islam, wie die König-Fahd-Akademie in Bonn.  

 

Eine fatale Koinzidenz von Macht, Öl und Sektiererei, die der Princeton-Professor Bernard Lewis, der Doyen der westlichen Islamwissenschaft, mit einem drastischen Vergleich beschreibt: "Stellen Sie sich vor, der Ku-Klux-Klan hätte die Kontrolle über den Bundesstaat Texas erlangt. Und er hätte die gesamten Einnahmen aus dem Ölgeschäft zur Verfügung, um weltweit seine Interpretation des Christentums zu verbreiten." Und selbst dann hätte man nur eine ungefähre Vorstellung von der Macht der Wahabiten, denn Ku-Klux-Klan-Schulen müssten im Westen mit weltlichen Schulen konkurrieren – was die saudisch finanzierten Madrassen, mangels öffentlichem Schulsystem, in vielen moslemischen Staaten nicht müssen. Dort sind sie oft die einzigen Bildungseinrichtungen, die zur Verfügung stehen.

 

Die saudischen Ölprinzen haben mit ihrem Geld ein Ungeheuer genährt, dem sie nun selbst nicht Herr werden – bis in jüngste Zeit. Die Existenz einer funktionsfähigen al-Qaida-Struktur in Saudi-Arabien führen westlichen Geheimdienste auch auf den Umstand zurück, dass das Königreich nach dem Afghanistankrieg den saudistämmigen Gotteskriegern aus Osama bin Ladens Trainingslagern stillschweigend die Rückkehr nach Hause erlaubte – und die "arabischen Afghanen", die daheim hohes Prestige wegen ihres mutigen und todesverachtenden Kampfes für den Islam genießen, ungeschoren ließ. Den Ägyptern oder Algeriern aus bin Ladens Legionen wurde ein solches Privileg nicht zuteil, sie haben sich in die unwegsamen Gebiete Pakistans geflohen oder sind zum nächsten Djihad-Schauplatz weitergezogen, in den Irak. In Saudi-Arabien dagegen durften al-Qaida-Leute auf ihren privaten Landbesitzungen bis vergangenes Frühjahr offenbar ungestört Djihad-Trainingslager unterhalten – Videos von den Kursen haben die Terroristen jedenfalls auf ins Internet gestellt.

 

Die saudischen Herrscher haben den Fundamentalismus daheim gewähren lassen und international mit Millionen Petrodollars gefördert – halb aus ideologischer Nähe, halb aus Furcht. Je reicher die Ölprinzen wurden und umso korrupter sie in den Augen vieler Saudis schienen, umso angebrachter schien es ihnen, durch Spenden an fundamentalistische "Wohltätigkeitsvereine" als gute Muslime zu erscheinen. Die Abgabe eines Teils des eigenen Reichtums an andere ist eine traditionelle Pflicht der Muslime, Zakat genannt. Der deutsch-syrische Islamwissenschaftler Bassam Tibi hält die großzügigen saudischen Zakat-Zahlungen an fundamentalistische Stiftungen deshalb auch für eine Form von Schutzgeld – um sich die Radikalen gewogen zu machen, die der saudischen Führung vor allem verübeln, dass sie seit dem Golfkrieg 1991 US-Truppen Aufenthaltsrecht auf heiliger arabischer Erde einräumen.  

 

Sollte das das Kalkül der saudischen Herrscherfamilie gewesen sein – aufgegangen ist es nicht. Lange geduldet, fühlen sich die Djihadisten nun stark genug, das Haus Saud direkt herauszufordern. Man werde die "Juden, Amerikaner und Kreuzfahrer" töten, wo immer man sie treffe, verkündete Abudlasis al-Mukrin, Führer jener Gruppe, die sich "al-Qaida auf der arabischen Insel" nennt, und fügt hinzu: "Die saudische Regierung der Ungläubigen wird nicht in der Lage sein, sie zu beschützen."

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