Morden, foltern, wegsperren

USA. „Nie wieder“, hatte Amerika sich nach Vietnam geschworen, dürfe die Nation ihre Moral verlieren. Jetzt schlittert das Land abermals in einen Morast des Verbrechens. Weil Kriege immer entarten – und weil man nicht nur ein bisschen foltern kann. Die profil-Coverstory zum Abu Graib Skandal, Juni 2006

 

 

Die Spezialeinheit, genannt „Tiger Force“, wütete schrecklich. Zivilisten, die eindeutig keine Gefahr darstellten, wurden wie Hasen abgeknallt und selbst dann, wenn sie auf Knien um ihr Leben flehten, mit Schüssen ins Gesicht aus nächster Nähe hingestreckt. Ein US-Soldat köpfte sogar ein Baby. Einer skalpierte einen getöteten Feind und knüpfte den Haarschopf wie eine Trophäe an sein Gewehr. Getöteten die Ohren abzuschneiden wurde gängige Praxis – 27 Soldaten gestanden in einer internen Untersuchung ein, diese seien auf Schnüre gefädelt und wie Perlenketten um den Hals getragen worden. Innerhalb von sieben Monaten wurden mehrere hundert einfache Bauern – Alte, Frauen, kleine Kinder – vorsätzlich getötet, um die Zivilbevölkerung aus der Region zu vertreiben. 

 

All dies geschah von Frühjahr bis Herbst 1967 im vietnamesischen Hochland. Ein Verfahren der US-Army wurde nach vier Jahren still und leise eingestellt.

 

Im Vorjahr hat „The Blade of Toledo“, ein Provinzblatt aus Ohio, die Geschichte dieses langandauernden Kriegsverbrechens in einer großen Reportageserie neu aufgerollt.

 

Auch die Army nahm ihre Untersuchung daraufhin wieder auf. Die Autoren des Reports wurden mit dem begehrten Pulitzerpreis geehrt.

 

Nie wieder dürften amerikanische Soldaten so tief in den Morast aus Gewalt, Gegengewalt, Massakern und Kriegsverbrechen versinken – das war die Lehre, die die Nation aus Vietnam gezogen hat.

 

Doch noch während die Autoren des „Blade“ im Herbst 2003 an ihrer Story schrieben, begann sich die Spirale aus Krieg, Widerstand und Brutalisierung aufs Neue zu drehen – wenn auch zunächst unbemerkt.

 

Die Enthüllungen über systematische Misshandlungen im Gefängnis von Abu Ghraib in Bagdad sind nur die eine Seite – auch im Umgang mit Widerständlern und Zivilisten in den Zonen der anschwellenden Aufstands erodieren die grundlegenden zivilisatorischen Standards.

 

So kommt es offenbar immer wieder vor, dass US-Soldaten verwundete Gegner einfach erschiessen.

 

Das ARD-Magazin „Panorama“ zeigte schon im Februar das Bordvideo eines Apache-Kampfhubschraubers. Auf den graustichigen Bildern sind drei Männer zu sehen, die sich Nachts neben zwei Fahrzeugen treffen und einen verdächtigen Gegenstand mit sich führen. Kurzerhand erhält die Apache-Besatzung den Befehl, die Verdächtigen zu erschießen. Nachdem zwei offenkundig tot sind und einer – sichtbar schwer verwundet – nur mehr am Boden kriecht, fragte der Soldat über Funk an, wie er verfahren solle. Deutlich hörbar ist der Befehl „Hit him“ („Erschiess ihn“). Es folgt die finale Salve.

 

Die Tötung kampfunfähiger Feinde ist nach den Bestimmungen der Genfer Konvention ein Kriegsverbrechen. Der ehemalige US-General Robert G. Gard nennt die auf Video festgehaltene Tat denn auch einen „unentschuldbaren Mord“.

 

Eine andere Szene wurde von einem CNN-Team auf Video gebannt. US-Soldaten erschiessen nach der Durchsuchung eines Industriegebietes einen Verwundeten. Der Soldat, der die Schüsse abfeuerte, ist deutlich zu verstehen. „Whow, schrecklich“, sagt er, und fügt überdreht hinzu: „Ein gutes Gefühl.“

 

Auch die Anwesenheit von Zeugen hält die Soldaten nicht von offensichtlichen Kriegsverbrechen ab. So erschoss der Marine Robert Long Ende April in Falludscha völlig grundlos einen offenkundig unbewaffneten Iraker – in Anwesenheit eines Journalisten der „Agence France Press“. Der Iraker ging, die Hände in den Hosentaschen, über die Straße, da nahm ihn der Marine unter Feuer. Am Tag davor war der Korporal Blake Wofford, der beste Freund des Soldaten Long, bei Gefechten mit Aufständischen ums Leben gekommen. „Das ist für Dich, Blake“, rief Long, nachdem er den Zivilisten getötet hatte.

 

Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieses Racheaktes hegte der Täter offenkundig nicht – die Aufstandszone war von den US-Truppen zur No-Go-Area erklärt worden. Wer sich in ihr bewegte, wurde automatisch als feindlicher Kombattant betrachtet.

 

Anschläge und sonstige Widerstandsaktivitäten gegen die US-Armee – und seien es nur Steinwürfe – werden von Irakern begangen, die weder Uniform tragen noch sonst auf eine sofort sichtbare Weise von Zivilisten unterschieden werden können. Nicht wenige Soldaten sehen es daher als Überlebensstrategie an, irgendwie Verdächtige „zuerst zu töten“ – nur dann hat man eine Chance, heil „nach Hause zu kommen“, sagte ein Feldwebel offenherzig einem Reporter des Londoner „Evening Standard“.

 

Die Soldaten stehen unter Stress. Sie werden aus dem Nichts beschossen, sind oft täglich in Kampfhandlungen verwickelt. Wenn einer ihrer Kameraden getötet oder schwer verwundet wurde, sind sie, was leicht verständlich ist, voller Wut. „Das Schlimmste ist, wenn man in eine Schießerei verwickelt wurde, und den verwundeten Gegnern dann helfen muss“, gestand einer dem Reporter der britischen Abendzeitung. „Ich kann denen nicht helfen. Manche lässt man einfach sterben. Bei anderen hilft man nach.“

 

Unzählige Berichte wie diese kursieren global – ihr Wahrheitsgehalt ist oft schwer zu überprüfen. Die beschrieben Vorfälle sind aber besonders glaubwürdig, weil teilweise unabhängige Zeugen anwesend waren, alle von renommierten internationalen Medien verbreiten wurden – und das Pentagon in keinem der Fälle dementierte.

 

Brutalisierung im Guerillakrieg ist ein Syndrom, das praktisch nicht verhindert werden kann. Zumal viele der Soldaten, die jetzt für die Aufstandsbekämpfung eingesetzt werden, seit Kriegsbeginn im Irak sind – und schon viele entstellte, verkohlte, übel zugerichtete Leichen gesehen haben. Man hat ihnen versprochen, nach gewonnenem Krieg kämen sie bald nach Hause. Viele bräuchten psychiatrische Unterstützung – und müssen stattdessen einen Städtekrieg kämpfen, bei dem Feind, Freund und Unbeteiligte schwer unterscheidbar sind.

 

Es erweise sich wieder, schrieb der renommierte Historiker Paul Kennedy vergangene Woche, dass Kriege dieser Art praktisch „immer entarten“. Und er fragt leicht sarkastisch, „ob der der erbitterte Widerstand des Pentagon gegen den Internationalen Strafgerichtshof in den letzten drei Jahren genau deswegen aufrecht erhalten wurde. Weil man nämlich vorhersah, dass es irgendwann in der Zukunft genau so kommen könnte.“

 

Wieder droht Amerika in eine moralische Krise zu schlittern, obwohl nach Vietnam der übergreifende Konsens vorgeherrscht hat, so etwas dürfe nie wieder geschehen. Und auch wenn – nach Paul Kennedy – keine Nation, die militärische Macht einsetzt, der Spirale der Verrohung entkommen kann, frohlocken jetzt wieder die Amerikafeinde: der selbsternannte Leuchtturm der Demokratie und Freiheit entpuppe sich selbst als Schurkenstaat. Hatte nicht schon Bert Brecht verächtlich über die Heuchelei von „Freedom and Democracy“ gereimt?

 

Gibt es etwas in der amerikanischen Kultur, das dazu führt, dass die guten Vorsätze regelmäßig vergessen werden, das Land sich in Verbrechen verstrickt? Amerika ist doch ein „wunderbares Land“, schreibt Eric Frey, Journalist beim Wiener „Standard“ in seinem indes zum Bestseller avancierten „Schwarzbuch USA“. Aber es gäbe einen „paranoiden Stil“ der US-Politik. Oft neigt die amerikanische politische Kultur dazu, die Welt recht simpel in Gut und Böse zu unterteilen. Dies hat seine positiven Resultate: Man sieht Probleme und versucht sie zu lösen, während andere kleinmütig lamentieren, aus den Lösungen würden doch nur neue Probleme entstehen – und deshalb nichts tun. Die Kehrseite dieser Eigenart ist ein Hang zu einem manichäischen Weltbild. Die Guten müssen die Bösen besiegen – das ist wichtiger als irgendwelche völkerrechtlichen Regeln. Von der Internierung der japanischstämmigen Zivilbevölkerung im Zweiten Weltkrieg bis zu den Gräueln in Vietnam, die aus der Überzeugung resultierten, zur Bekämpfung des Weltkommunismus sei jedes Mittel recht, zieht sich dieses Motiv wie ein düsterer schwarzer Faden durch die US-Geschichte. Amerika ist seit je ein Land der Widersprüche: Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“, in dem Schwarze bis in die sechtziger Jahre nicht auf Parkbänken sitzen durften, die Weißen vorbehalten waren.

 

Die Verrohung ist ein Prozess. Und am Ende will keiner verantwortlich sein. Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hat nie einen Befehl gegeben, Gefangene zu misshandeln; Brigadegeneralin Janis Karpinski, die ehemalige Leiterin des Abu-Ghraib-Gefängnisses, will auch nichts dafür können; und Private First Class Lynndie England, die es als dämonisch-fröhliche Foltermagd auf den Missbrauchs-Bildern zu globaler Berühmtheit brachte, verteidigte sich vergangene Woche beklemmend ungerührt: von „Personen in der Kommandokette“ sei ihr befohlen worden, „genau diese Posen“ einzunehmen.

 

Gewiss lassen sich die Geschehnisse durch die Umstände erklären. Das Abu-Ghraib-Gefängnis füllte sich im Spätsommer und Herbst vergangenen Jahres, weil der Widerstand gegen die US-Truppen zunahm. Immer wieder wurde das Gefängnis selbst mit Granaten beschossen. Das Personal war entsprechend geladen. Die US-Militärs hatten zudem den Eindruck, dass die Angriffe koordinierter werden. Deshalb kam Generalmajor Geoffrey D. Miller, der Leiter des Internierungslagers von Guantanamo Bay, nach Bagdad: weil man die Mittel perfektionieren wollte, Informationen aus den Gefangenen herauszubekommen. Das Gefängnissystem müsse als „Ermöglicher für Verhörerfolge“ fungieren, so Millers Credo.

 

Es hatte sich da, nach drei Jahren des „Kriegs gegen den Terror“, bereits ein Muster herausgebildet. Gefährliche Gefangene – und jene, die das US-Militär für solche hält -, werden über den Globus verstreut in großen aber auch kleinen, geheimen Vernehmungszentren festgehalten. Meist haben die Gefangenen keine Rechte, dürfen weder mit Angehörigen noch mit Anwälten Kontakt haben und müssen damit rechnen, unbegrenzt ohne Gerichtsverfahren weggesperrt zu bleiben. Zu vielen dieser Komplexe hat nicht einmal das Internationale Rote Kreuz Zutritt. Ein Archipel, den nicht nur Paul Krugman, der renommierte und scharfzüngige Kolumnist der New York Times, einen „American Gulag“, einen „Amerikanischen Gulag“ nennt.

 

Bei weitem nicht alle Internierungsorte sind bekannt, und dennoch ist die Liste der bekannten schon eindrucksvoll genug: Guantanamo Bay an der Südküste Kubas, wo knapp 600 al-Q’aida- und Taliban-Verdächtige oft seit Jahren festgehalten werden; das CIA-Verhörzentrum in Kabul, berüchtigt unter dem Namen „The Pit“ („Das Loch“); Bagram Airbase, 40 Kilomenter nördlich von Kabul; Camp Rhino an der pakistanischen Grenze; Komplexe in Kandahar, Jalalabad, Asadabad, Gardez, Ghost; im Irak das Abu-Ghraib-Gefängnis in Bagdad und Camp Cropper am Bagdad Airport für besonders wichtige Gefangene („High Value Persons“); Komplexe in Al-Baghdadi, Habbania, die Heat Base nahe Falludscha, in Tikrit, Al-Khaim nahe der syrischen Grenze; besonders gefährliche Terroristen werden in Qatar festgehalten, wo das US-Regionalkommando seinen Sitz hat; andere wurden auf die US-Luftwaffenbasis Diego Garcia, ein kleines Atoll im indischen Ozean ausgeflogen – schon wird sie die „Insel der Vergessenen“ genannt; mindestens ein größeres US-Kriegsschiff, die USS Peliliu, wurde zu einer Internierungseinrichtung umgerüstet und kreuzt angeblich irgendwo in der arabischen See. Zwei der sogenannten „Geister-Einrichtungen“ sollen sich in Thailand und in Pakistan befinen. Hinzu kommen jene arabischen Länder, in die die USA regelmäßig al-Q’aida-Verdächtige überstellen, weil die dortigen Sicherheitsdienste keinen lästigen Menschenrechts-Auflagen unterliegen, sondern besonders effektive Verhörmethoden einsetzen dürfen: Marrokko, Jordanien, Ägypten, Saudi Arabien und neuerdings, trotz aller diplomatischen Querelen mit den USA, auch Syrien.

 

Niemand weiss, was genau in diesem Archipel vor sich geht. Aber man kann es sich nun – nach den Skandalfotos von Abu Ghraib – immerhin ausmalen. Manche der Bilder seien noch schlimmer, als das, was bisher bekannt ist, urteilten geschockte US-Abgeordnete, nachdem sie vergangene Woche die vollständige Sammlung der Fotos in einer geschlossenen Vorführung betrachten konnten. So soll ein Soldat mit einem toten Häftling posieren, ein Gefangener soll so lange gegen eine Zellentür geschlagen worden sein, bis er kollabierte. „Manche der Bilder sind eindeutige Akte individueller Brutalität“, berichtet etwa der republikanische Senator Lindsey Graham, „andere sind raffinierter, so dass stark zu bezweifeln ist, dass sie ohne Wissen von Oben ausgeführt wurden.“

 

Zumal in vielen der Internierungszentren ähnliche Muster erkennbar sind. Zumindest bei „Personen, die in Zusammenhang mit Sicherheitsvergehen verhaftet wurden oder die einen hohen ,geheimdienstlichen’ Wert“ versprechen, weisen die Misshandlungen während Befragungen Systematik auf, urteilte das Internationale Rote Kreuz schon im Februar in ihrem vertraulichen Untersuchungsbericht, der vergangene Woche öffentlich bekannt wurde. Die Methoden, die allgemein angewandt werden: Säcke werden über den Kopf gezogen, damit die Gefangenen desorientiert werden und nicht frei atmen können – manchmal nur wenige Stunden, manchmal mehrere Tage lang; erzwungene Nacktheit über mehrere Tage in kalten Zellen; Schlafentzug; Übergießen mit kaltem Wasser, auch im Winter. „Diese Methoden physischer und psychischer Peinigung werden vom militärischen Geheimdienst in systematischer Weise angewandt“, so das Rote Kreuz.

 

Angeblich gibt es ein Programm, das 72 verschiedene avanciertere Verhörpraktiken beinhaltet – was vom Pentagon dementiert wurde. Mitte vergangener Woche veröffentlichte das Verteidigungsministerium immerhin eine Liste, in der neun „aggressive Verhörmethoden“ aufgeführt sind, die sich das Vernehmungspersonal von Fall zu Fall genehmigen lassen muss. Allerdings gilt die veröffentlichte Liste nur für den Irak.

 

Oft werden einfache Soldaten, die dafür nicht ausgebildet sind, vom Geheimdienstpersonal angewiesen, die Gefangenen nicht schlafen zu lassen. Ein Kommandeur in einem Bagdader Gefängnis lehnte eine solche Anweisung mit den Worten ab, wenn man von seinen Jungs verlange, Gefangene vier Tage am Schlafen zu hindern, sei das eine Aufforderung an sie, „kreativ zu werden“. Sprich: Dann seien Menschenrechtsverletzungen programmiert.

 

Für die Systematik der angewandten Methoden spricht, dass sie auch in afghanischen Verhörzentren angewandt werden, wie ein Bericht der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ vom vergangenen März verdeutlicht. Einziger Unterschied allenfalls: In Afghanistan operieren die US-Stellen „in einem Klima völliger Unangreifbarkeit“, heisst es in dem Report.

 

Dabei sind die großen Gefängniskomplexe, aus denen viele Häftlinge nach einiger Zeit wieder frei kommen, geradezu transparente Einrichtungen, verglichen mit jenen Zentren, in denen die eigentlichen Terrorverdächtigen festgehalten werden. „Tausende, wirklich tausende“, würden in Verhörkellern jener arabischen Regimes verkommen, die mit den USA kooperieren, meint Najeeb Nuaimi, der ehemalige Justizminister Qatars, der nun als Anwalt die Familien dutzender Verschwundener vertritt.

 

Wobei Guantanamo Bay, verglichen mit den geheimen Verhörzentren der CIA, wohl geradezu einem Ferienlager gleicht.

 

Khalid Shaikh Mohammed, Abu Zubaida, Ramsi bin al-Shib und andere hohe al-Q’aida-Terroristen und bin-Laden-Vertraute befinden sich an unbekanntem Ort. Um Anti-Folter-Konventionen dürften sich die USA bei ihnen kaum mehr kümmern. So würde Mohammed, berichtete die „New York Times“ vergangene Woche unter Berufung auf Gewährsleute aus der CIA, der bekannten „Wasserfolter“ unterzogen: er wird in Verhören so lange unter Wasser getaucht, bis er glaubt, er würde ertränkt. Bei Zubaida, einem anderen führenden al-Q’aida-Mitglied, hat das Vernehmungspersonal nachweislich sehr effektive Methoden angewendet: Zubaida wurden Aussagen entlockt, die nach CIA-Angaben zur Verhaftung mehrerer al-Q’aida-Terroristen geführt haben.

 

Die derart der Tortur Ausgesetzten sind zweifelsohne ruchlose Terroristen, die sich selbst um die Genfer Konvention nichts scheren, die – oder deren Kampfgefährten – nicht davor zurückschrecken, hunderte oder tausende Zivilisten zu töten und deren Vertraute im Irak wehrlose Geiseln vor laufender Kamera köpfen – so wie den amerikanischen Zivilisten Nick Berg, der vergangene Woche in Bagdad auf grausige Weise umgebracht wurde. Im Kampf gegen sie droht Amerika aber nach und nach die Prinzipien zu unterhöhlen, für die das Land eigentlich steht.

 

Zudem: Jemand muss kein Terrorist sein, um in die Mühle zu geraten – es reicht, wenn ihn die Anti-Terror-Fahnder für einen halten. Oder wenn ihn einer der örtlichen Helfer, die mit den USA zusammenarbeiten, aus irgendeinen (oft niederträchtigen) Grund als Terroristen bezeichnet.

 

Allein in den vergangenen sechs Monaten sind mindestens drei Gefangene in Verhörzentren der CIA gestorben. Die Zahl ist von der Behörde selbst bekannt gegeben worden. Zwei der Todesfälle haben sich im Irak zugetragen, einer in Afghanistan. Bei einem früheren Todesfall in Bagram hatte eine Ärztin im Protokoll unter der Rubrik „Todesursache“ lapidar vermerkt: „Mord“.

 

Bei den Vernehmungen geht es derart rüde zu, dass hohe Offiziere der Bundespolizeibehörde FBI ihren Agenten untersagt haben, bei CIA-Verhören auch nur teilzunehmen. Selbst manchen CIA-Leuten scheint nicht wohl in ihrer Haut zu sein. „Einige fürchten, sie könnten zur Verantwortung gezogen werden, wenn es einen neuen Präsidenten gibt oder die Stimmung im Land sich ändert“, zitierte die „New York Times“ vergangenen Donnerstag einen anonymen Geheimdienst-Mann. Cofer Black, Chef der Counter-Terrorismus-Abteilung im State Departement, formulierte in ein Senatsanhörung: „Es gab eine Zeit vor dem 11. September und eine Zeit nach dem 11. September. Nach dem 11. September haben wir die Samthandschuhe ausgezogen.“

 

Dass all das völlig gegen die Intentionen des Verteidigungsministers von „ein paar Wenigen“ durchgeführt würde, ist so unglaubwürdig, dass es schon beinahe absurd ist. Immerhin war es Donald Rumsfeld, der auf bohrende Fragen über die Guantanamo-Praktiken antwortete: „Aber es sind doch Terroristen“ (siehe auch Porträt Seite ???).

 

In den schwarzen Löchern der Rechtlosigkeit, die die Bush-Regierung auf dem Globus etabliert hat, sind Menschen beschäftigt, denen beinahe totale Macht über andere Menschen gegeben ist – und die unter dem Druck ihrer Vorgesetzten stehen, Ergebnisse zu liefern. „Der Pentagon will Erfolge“, sagt William Cowan, ein ehemaliger Offizier der Marines, der in Vietnam selbst gefoltert hat. „Rumsfeld will Ergebnisse. Und es gibt Praktiken, mit denen man solche Erfolge erzielen kann.“ Was erwünscht oder erwartet wird, muss nicht immer ausdrücklich befohlen werden.

 

Nicht zum ersten Mal zeigt sich, warum es Regeln gibt und warum es nötig ist, dass sie für alle gelten: Man kann nicht ein bisschen die Menschenrechte verletzen, und dennoch sauber bleiben. „Sie haben die Tür nur für ein bisschen Folter geöffnet“, sagt Carroll Bogart von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. „Und herein kam ganz schön viel Folter“.

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