Unheimlich gut

 

Ohne der unbedingten Überzeugtheit, das Gute zu verkörpern, wären US-Soldaten nie in der Normandie gelandet – und auch nicht im Militärgefängnis von Abu Ghraib. taz, Juni 06

 

Es ist natürlich eine zufällige zeitliche Koinzidenz, reisst aber doch den größtmöglichen Kontrast auf. Während die konkurrenzlose Weltmacht sich fragt, wie sie in das moralische Desaster schlittern konnte, das die Bilder aus dem Bagdader  Gefängnis Abu Ghraib illustrieren, feiert die Welt noch einmal die schönste Stunde des „wohlmeindenden Imperiums“ – den D-Day, die Landung der alliierten Truppen in der Normandie vor 60 Jahren. Damals war Amerika noch unbestrittene Kraft des Guten. Elf Monate später war Europa befreit, die Nazi-Herrschaft beendet, Deutschland niedergerungen und besetzt.

 

Und die Besatzer? Sie hatten Nylonstrümpfe für die Mädels, Schokolade für die Kleinen im Tornister und schickten CARE-Pakete an die Familien der einstigen Feinde. Und was haben sie heute dabei? Schwarze Kapuzen und Digi-Cams. Erstere ziehen sie den Irakern über den Kopf, mit zweiteren machen sie Fotos von der peinigenden Szenerie.

 

Der Kontrast könnte größer nicht sein.

 

Und doch, verkündet die US-Führung mit lauter Unterstützung einer nicht unbedeutenden Fraktion amerikanischer Intellektueller, entspringe beides dem gleichen Geist: Wie im Zweiten Weltkrieg wird auch im Krieg gegen den Terrorismus nicht bloß ein militärischer Konflikt ausgetragen, sondern eine moralische Mission verfolgt. „Wie im Zweiten Weltkrieg begann auch unser jetziger Konflikt mit einem ruchlosen Überraschungsangriff auf die USA“, so George W. Bush vor seinem Abflug zu den D-Day-Feiern. Der radikalmoslemische Terror – die neuen Nazis. Der Islamismus, sekundieren Neokonservative, aber auch liberale Falken, sei der neue Totalitarismus. Und Saddam war so eine Art Hitler. Wer den Krieg gegen solche Menschheitsplagen scheut, der macht sich schuldig – so wie die pazifistischen Schlappschwänze, die in den dreißiger Jahren noch auf ein Appeasement Hitlers hofften. Davon gab es seinerzeit genug: französische Sozialisten, britische Feiglinge, New Yorker Bedenkenträger. Glücklicherweise gab es damals kraftvolle Führer der freien Welt wie Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill. Glücklicherweise gibt es heute George W. Bush.

 

Und wer würde abstreiten wollen, dass die, die Freiheit, Liberalität, das zivile Leben und den Frieden lieben, manchmal zu den Waffen greifen müssen, töten müssen, damit nicht länger getötet wird, dass sie ihre Verachtung vor der Gewalt überwinden müssen, um den Gewalttätern das Handwerk zu legen. Das war vor 60 Jahren richtig, es war in den neunziger Jahren in Bosnien und im Kosovo richtig und es ist jetzt auch nicht von Grund auf falsch. 

 

Amerika ist seit jeher gemacht für solche Missionen. Die Vereinigten Staaten waren nie bloss ein Staat wie alle anderen. Amerika war gegründet als Gegenmodell zum verkommenen, feudalen, absolutistischen Europa – demokratisches Leuchtfeuer für die Welt. Noch die tiefe Religiösität, die heute in der biblischen Sprache der religiösen Rechten und in der Rhetorik des politischen Erweckungspredigers Bush fortlebt, war im Ursprung eine Religiösität freier Gläubiger, die der rabiaten katholischen Engstirnigkeit des gegenreformatorischen Europas entfliehen wollten. Amerika war eine Idee: Vom neuen Jerusalem, der „City upon the hill“, träumten die Siedler, „the home of the brave“ sollte die neue Nation werden. Ein tiefer Manichäismus durchzog und durchzieht die politische Kultur Amerikas: Gut gegen böse, richtig gegen falsch.

 

Diese Grundströmung ließ und lässt durchaus gegenteilige Spielarten zu. Der traditionelle Isolationismus, der Versuch, das amerikanische Eden gegenüber den Händeln der Welt abzuschotten, der Widerwille, in die ewigen Kamalitäten vor allem Europas hineingezogen zu werden, lässt sich daraus ebenso begründen wie sein Gegenteil – dass die Bastion der freien Welt das Gute auch in fernen Regionen verteidigen muss, weil sie sonst vom Bösen infiziert würde; weil auch Amerika, obwohl von zwei Ozeanen geschützt, nicht allein auf der Welt ist.

 

Wenn dieses Amerika in einen Krieg zieht, dann nicht einfach gegen einen militärischen Gegner, sondern gegen die Feinde seiner Lebensart – gegen den absoluten Feind. Regeln können da nur stören. Auch das bestimmt die Mentalität der gegenwärtigen US-Administration, wenn sie – etwa in den Worten von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld – meint, für die Struktur des gegenwärtigen Konflikts sei die Genfer Konvention „veraltet“. Die Hegung des Krieges durch völkerrechtliche Bestimmungen, der durchaus paradoxe Versuch, die Brutalität auch noch im Moment der Eruption der Gewalt zu zivilisieren, setzt ja die Anerkennung des Gegners als Gleichen voraus – und verträgt sich schwer mit einer manichäischen Rhetorik von Gut und Böse.

 

Aber auch in dieser Hinsicht sei vor voreiligen Schlüssen gewarnt. Die Tendenz, den Hauptakzent auf das moralisch Richtige zu legen, den Glauben an die leeren Regeln aber als Charakterdefekt diplomatischer Warmduscher abzutun, ist gewiss in der politischen Kultur Amerikas angelegt. Doch hat Amerika auch und gerade in den Momenten seines größten Triumphs den Versuch unternommen, über die Welt ein Netz von Verträgen zu spannen, als Alternative zur alten Machtpolitik. Nach dem Ersten Weltkrieg fand das seinen Niederschlag in Präsident Woodrow Wilsons Idee einer gerechten Weltordnung, der Etablierung des Prinzips vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und seine erste, wackelige Institutionalisierung im Völkerbund. Nach dem zweiten Weltkrieg waren es die USA, die die Vereinten Nationen etablierten.

 

Amerikas Eliten waren entschlossen, durch Kooperation zu führen und sich, trotz ihrer führenden Stellung, selbst zu binden.

 

Aber sie waren auch bereit, sich über die Regeln hinwegzusetzen, wenn die sie daran hinderten, das zu tun, was sie für das Richtige hielten. Meist war diese Entledigung von Bindungen ein Prozess. Man schickte Truppen nach Vietnam, weil das Böse – in diesem Fall der Kommunismus – sich auszubreiten drohte (Dominotheorie!). Weil man das Gute verkörperte, war alles, was man tat, gut. Am Ende zogen US-Soldaten durch vietnamesische Dörfer, säbelten Babys die Köpfe ab und fädelten die abgeschnittenen Ohren toter Feinde auf Schnüre, die sie wie Perlenketten um den Hals trugen. Rhetorischer Höhepunkt dieser Verirrung: Man feierte, Dörfer vor den Roten geretten zu haben, indem man sie zerstörte. Die Sätze kommen wieder in den Kopf, wenn man die Bilder aus dem befreiten Irak sieht.

 

Amerika entzieht sich schnellen Deutungen. Man muss die Ambivalenz aushalten. Nicht nur die, dass Amerika trotz seiner Verbrechen ein großartiges Land ist, sondern dass die dunklen und die hellen Seiten nur verschiedene Ausdrucksformen eines Grundmotivs sind. Ohne dieser tiefen Überzeugtheit von der Richtigkeit der eigenen Mission wären amerikanische Soldaten nie in der Normandie gelandet – und auch nicht im Foltertrakt des Abu-Ghraib-Gefängnisses.

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