Der Krieg als Text

Die Guerilla und ihre Resonanzen: Jon Lee Anderson hat sich bei Aufständischen umgesehen, um den diskreten Charme des Partisanentums zu ergründen . taz, März 2005

 

 

Der Guerillero, oder wie er früher hieß, der Partisan, ist seit jeher eine elektrisierende Figur. Einer, der die Regeln bricht, zunächst die Regeln des Krieges, die klassischen Formeln von Armee, legitimer Kriegserklärung, Schlachtordnung und Konflikthegung. Weil er ein Aufständischer ist, stellt er sich selbst auf die Füße, was immer etwas Heroisches hat. Aber der Mythos des Guerilleros geht über dieses blanke Desperadohafte meist weit hinaus. Denn mit der Selbstermächtigung zu legitimer Gewalt geht fast immer auch Weltveränderungs-Pathos einher. In seiner schwächsten Form: Nationale Befreiung. In seiner stärksten Form: Soziale Befreiung, Schaffung einer neuen Welt für – und mit – neuen Menschen. Zerstören, damit eine neue Welt entstehen kann: Töten für das Gute. Der linke Guerillero, der von Asien bis Lateinamerika die Phantasie rebellisch gestimmter Europäer beflügelte, griff zu den Waffen, damit eine friedliche Welt entstünde, wurde Soldat, damit niemand mehr Soldat werden müsse, tötete, damit niemand mehr getötet würde. So jedenfalls hat man sich das in etwa vorgestellt. Und ihn umwehte etwas Märtyrerhaftes: Wer sich zum Dschungelkrieg entschied, durfte mit keinem langen Leben rechnen. Deswegen ist eine Guerillageschichte auch immer eine Passionsgeschichte, überlebensgroßes Exempel eines Opferganges – für alle Zeiten versinnbildlicht im abgerissenen, kugeldurchsiebten Leichnam des Che, wie er von den bolivianischen Militärs der internationalen Presse präsentiert wurde.

 

Der amerikanische Reporter Jon Lee Anderson hat mit "Guerillas – Töten für eine bessere Welt", nun Innenansichten diverser Guerillagruppen vorgelegt. Anderson ist als Reporter des "New Yorker" eine große Nummer, seine Berichte aus Afghanistan und aus dem Irak gehören zu dem Besten, was international zu diesen Themen zu haben ist. Mitte der neunziger Jahre sorgte er mit einer grandiosen Che-Biographie für Aufsehen. In seinem neuen Buch untersucht er nun, "warum ganz gewöhnliche Leute sich entschließen, in den Krieg zu ziehen", was sie zu den Schritt bringt, eine unsichtbare Linie "zu einer Art Parallelwelt" zu überschreiten, "in der die Wahrscheinlichkeit zu überleben geringer ist als die zu sterben". Um das herauszufinden, hat Anderson sich ziemlich großräumig herumgetan: Viel Zeit verbrachte er mit den Guerilleros der salvadorianischen FMLN, mit den Polisario-Kämpfern in Nordafrika, die auf vielen Megatonnen Saharasand ein Gemeinwesen errichtet haben, bei den aufständischen Karen im Südosten Burmas, bei afghanischen Mujaheddin und bei Intifada-Kämpfern im Gazastreifen. Dass ziemlich skurille und auch wenig sympathische Aufstände einer Betrachtung unterzogen werden, unterbindet allzu schnelle Identifikation und ist gewiss eine der Stärken des Buches. Die Schwäche besteht eindeutig darin, dass Anderson die Schauplätze durchwegs in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren bereiste. Die Konflikte sind nicht gerade frisch, im Gegenteil: die meisten existieren nicht mehr oder haben sich doch drastisch verändert.

 

An den prinzipiellen Einsichten ändert das natürlich nichts: An der Selbstmythologisierung, daran, wie schnell Heldengeschichten in Umlauf geraten, welche Bedeutung Leidengeschichten erlangen und wie groß die Versuchung zur permanenten Selbstviktimisierung ist (wie sie am Passioniertesten bei den Palästinensern gepflegt wird); wie die Kriege aber auch Modernisierungsprozesse beschleunigen, weil sie traditionelle Autoritäten – etwa die von Stammesälteren – zersetzen; im Aufstandsgebiet wächst die Guerilla, weil die meisten gar keine andere Wahl haben, als sich ihr anzuschließen – einfache Bauern werden oft von Regierungstruppen hingemetzelt. "Ich hatte keine Wahl", erzählt ein FMLN-Mann. "Damals bedeutete es, umgebracht zu werden, wenn man nicht ging". Der Tod ist alltäglich. Brualisierung auch: Gefangene werden meist einfach umgebracht, man kann sie ja schwer mit sich führen im Dschungelkrieg.

 

Dabei wird kaum ein Guerillakrieg militärisch gewonnen. Die Waffe zu erheben ist Teil eines kämpferischen Textes und Teil einer Bildsprache. Findet dieser Diskurs keinen Resonanzraum – sei es national, sei es international – wird die Guerilla schnell militärisch aufgerieben, wie Anderson am Beispiel der Karen zeigt. In positiver Hinsicht wurde das an jener Partisanenbewegung deutlich, die in den neunziger Jahren am meisten für Furore im Westen sorgte: die zapatistische EZLN in der mexikanischen Provinz Chiapas, mit ihrer globalen Idolfigur, dem Subcomandante Marcos. Eine Guerilla, die schon nicht mehr Krieg führte – den Gefechten um die Silvestertage 1994 folgte ja ein jahrelanger Waffenstillstand, während dem die Guerilla ihren Gegner mit Texten beschoß und mit paradoxen Interventionen voller Witz und Aberwitz. Die Gegenwart und die Zukunft gehören wohl solchen "Diskursguerillas", wie sie Anne Huffschmid ("Diskursguerilla. Wortergreifung und Widersinn) am Beispiel der Zapatisten beschrieben hat. Jon Lee Anderson hat so gesehen über die letzten Figuren aus den Urszenen des Partisanentums geschrieben.

 

Jon Lee Anderson: Guerillas. Töten für eine besser Welt. Aus dem Englischen von Dietmar Zimmer. List-Verlag, Berlin, 2005, 320 Seiten, 22,70 Euro.

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