„Die Finger schmutzig machen“

Der Menschenrechtstheoretiker Michael Ignatieff erklärt, warum er den Irakkrieg immer noch für richtig hält und plädiert für glasklare Kriterien, um in einer komplizierten Welt zwischen "größeren und kleineren Übeln" wählen zu können. Falter & taz, Jänner 2005

 

 

Der Kanadier Michael Ignatieff, 57, ist einer der profiliertesten linksliberalen Denker Nordamerikas. Er ist Direktor des "Carr Center of Human Rights Policy" an der "Kennedy School of Gouvernment" in Havard, hat sich aber auch als Romancier und als Autor großer Reportagen aus Krisen- und Kriegszonen einen Namen gemacht. Im Frühjahr erscheint sein Buch "Das kleinere Übel. Politische Moral im Zeitalter des Terrorismus" auch auf deutsch. Seine zentralen Thesen hat er diese Woche auf Einladung des "Dr. Karl-Renner-Institutes" in Wien vorgestellt.

 

 

Sie waren in den neunziger Jahren einer der elaboriertesten Befürworter humantiärer Interventionen, der "liberal wars" in Bosnien, Osttimor und im Kosovo. Heutzutage erinnert man sich geradezu mit Wehmut an diese goldenen Zeiten, in denen man noch sicher sein konnte, "wir", der Westen, seien eine Kraft des Guten, die gegen ethnische Säuberungen und für die Menschenrechte kämpft. Heute dagegen, und das gibt ihrem neuen Buch den Titel, kann man sich nur mehr zwischen zwei Übel entscheiden – für das, was man gerade für das "kleinere Übel" hält…

 

Ignatieff: Nur in der Rückschau kann das als einfachere Zeit erscheinen. Zwischen 1991 und 1995 wurden 250.000 Menschen getötet, nur eine Flugstunde von Wien entfernt – in Kroatien, vor allem in Bosnien. Das war es, was mich zu einen Befürworter der amerikanischen Militärgewalt machte. Denn wie endete das Blutvergießen? Mit Dayton, weil die USA militärisch einschritten. Vorher hat es immer geheißen, ,es ist unmöglich, den Krieg zu stoppen, es ist ein Bürgerkrieg, jede Seite ist schlecht, da darf man sich nicht einmischen, das geht uns nichts an…‘ Und alle diese Interventionen hatten auch ihre zweifelhaften Seiten: sie wurden unter der Prämisse begonnen, dass keiner "unserer" Soldaten sterben darf. So nobel waren diese Interventionen also nicht. Und auch diese Interventionen hatten ihre nicht-intendierten Folgen. Wir haben haben im Kosovo eingegriffen, um die Vertreibung der Kosovoalbaner zu stoppen, mit dem Resultat, dass die Albaner die Serben rauswerfen…

 

…aber doch mit etwas anderen Mitteln…

 

Ignatieff: Klar, aber wir wollten doch einen multiethnischen Kosovo retten. Und auch in Bosnien ist nicht alles großartig. Immerhin, Menschen werden nicht mehr in großer Zahl ermordet. Das ist viel, sicher.

 

Das klingt so, als wäre die Problemlage seinerzeit mit der heutigen, etwa im Irak, vergleichbar…

 

Ignatieff: Im Irak war manches anders. Erstmals waren die USA bereit, auch ihre eigenen Soldaten Risiken auszusetzen. Aber für einen Verteidiger der Menschenrechte ist die Sache auf simple Weise vergleichbar: Ich habe immer gesagt, im manchen Fällen muss man bereit sein, die Menschenrechte mit Militärgewalt zu verteidigen – in allerletzter Konsequenz. Ich bin nicht naiv: Natürlich nützt die US-Führung die Menschenrechtsrhetorik aus, um ihre eigenen Interessen und Ziele zu befördern. Ich halte die Intentionen der US-Regierung nicht für unwesentlich, aber es zählen auch die Konsequenzen. Und der Sturz der Saddam-Despotie war ein guter Grund, den Krieg zu unterstützen. Daran ändert sich auch heute nichts, für Millionen Iraker sind die Resultate positiv, wenn auch nur in sehr begrenzter Hinsicht. Den meisten europäischen Kritikern am Irakkrieg war der Irak schlicht egal, für die zählte nur das Problem der US-Hypermacht.

 

Dennoch: Natürlich wusste man auch in den neunziger Jahren, dass gute Intentionen auch schlechte Konsequenzen haben können. Aber das ist doch etwas anderes als das gegenwärtige, vorherrschende Bewußtsein, dass wir, was immer wir tun, uns falsch verhalten: Marschieren wir ein, bringen wir die ,moslemische Straße‘ gegen den Westen auf, führen wir al-Qaida neue Mitglieder zu; votieren wir gegen eine Intervention, machen wir uns zu Helfershelfern der Despoten.

 

Ignatieff: Ja, das ist das vorherrschende Bewusstsein, deshalb habe ich mich auch dem Konzept des "kleineren Übels" zugewandt. Wissen Sie, meine Unterrichtsschwerpunkt sind die Menschenrechte, und das ist eine Welt des moralischen Perfektionismus: "Du sollst…", "du sollst nicht…". Aber das ist nicht die Art des Nachdenkens, die in der Politik am Platz ist. In der wird über verschiedene Konzepte des Guten gestritten, oder es wird gewählt zwischen verschiedenen Übel oder zwischen verschiedenen Graden des Schlechten. Üblicherweise finden diese machiavellistischen Überlegungen in einer anderen Zone des Denkens statt als die Überlegungen über die Menschenrechte. Dafür haben sich wir Menschenrechtler mit der abstrakten Leere des moralischen Perfektionismus herumzuschlagen. Ich möchte die Menschenrechte in die praktische Welt der Politik bringen. Ich gehen die Fragen nach: Wie können wir Menschenrechtsfragen behandeln, um zwischen größeren und kleineren Übel zu wählen? Und wie können wir dafür sorgen, dass das kleinere Übel nicht zum großen Übel wird? Irak ist so ein Fall, in dem ich die Auffassung vertrat, eine unilaterale US-Invasion ist ein kleineres Übel verglichen mit der Alternative, die Hände in den Schoß zu legen und Saddam an der Macht zu lassen. Ich war in Halabdscha, ich war im Nordirak, ich habe gute Gründe gesehen, die diese Auffassung stützen. Deshalb bin ich noch lange nicht verantwortlich für die Irrtümer und die Vergehen, derer sich die politische und militärische Führung der USA schuldig gemacht haben. Man kann Despoten wie Saddam stürzen und ihren Ländern den Weg in die Demokratie ebnen, ohne Folter, ohne dass man Plünderungen einfach zusieht, ohne dass man Zonen der Rechtlosigkeit wie in Guantanamo etabliert.

 

Nur könnte man einwänden, wenn man Kriege mit Werterhetorik rechtfertigt, zum Krieg der Guten gegen das Bösen stilisiert, dann ist es nur mehr ein Schritt bis zur Überzeugung, dass das hehre Ziel alle Mittel rechtfertige, und von da ist es nur mehr ein kleiner Gedankensprung bis nach Guantanamo und bis zur Legitimierung von Folter…

 

Ignatieff: Man kann sich im moralischen Relativismus sicher einrichten, der in etwa sagt: Wer sind wir, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, wir, mit unseren kolonialistischen Sünden? Wer sind wir, im Irak zu intervenieren? Klingt gut, aber was man dafür kriegt, ist Wien 1994 – ein gutes, risikoloses Leben, während eine Flugstunde entfernt ein Genozid stattfindet. Ein unerträglich hoher Anteil der europäischen Linken vertritt genau solche Auffassungen. Da vermischt sich eine antikoloniale mit einer kulturrelativistischen Rhetorik und einem Generalverdacht gegen den Liberalismus, mit der Konsequenz, dass nur die hergebrachte, bourgeoise Gemütlichkeit in den westlichen Metropolen verteidigt wird, für die andere anderswo die Kosten zu tragen haben. Ich sage: Es gibt keine sichere Seite! Dieser provinzielle, antiamerikanische Isolationismus muss sich fragen lassen, warum er nur andere der gefährlichen Welt aussetzen will. Ich habe nichts mit Bush am Hut, ich bin ein linksliberaler Demokrat, ich habe Kerry gewählt, aber: eine dumpfe Kritik an Bush führt zu gar nichts!

 

Der Punkt gegen eine bequeme Wegschau-Linke ist leicht gemacht. Dennoch bleibt die Frage, ob es nicht Kurzschlüsse der Werterhetorik geben kann. Sie selbst haben doch bereits vor fünf Jahren davor gewarnt, zu viel über Werte zu reden – Menschenrechte sind Rechte, keine Werte, haben Sie damals sinngemäß gemeint. Die Werterhetorik, sehen wir nun, endet schnell im "Kampf der Kulturen"…

 

Ignatieff: An dieser Deutung ist etwas dran. Im Englischen haben wir diese starke Unterscheidung zwischen "Right" und "Good". Deswegen mag ich das Konzept der Menschenrechte – weil es verschiedene Konzepte des "guten Lebens" verteidigen kann. Freiheit der Versammlung, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit können nicht nur mit westlichen Inhalten gefüllt werden, sondern mit vielen. Wenn man den Schwerpunkt auf "Werte" legt, dann ist nicht mehr weit von der Auffassung, es gäbe nur einen Weg für den Nahen Osten, es gäbe nur ein System. Im Irak wird der Rahmen von demokratischen Rechten sicherlich mit anderen Inhalt gefüllt als bei uns im Westen. Man könnte sagen, wenn wir die Rechte verteidigen, schaffen wir die besten Bedingungen, damit ein Maximum an verschiedenen Versionen des Guten in friedliche Konkurrenz miteinander treten kann.

 

Um zum Schluss zu kommen: An einer Stelle in ihrem Buch sagen Sie, "gelegentlich müssen Freiheiten in Zeiten der Gefahr geopfert werden". Doch, wo endet das? Die Erfahrung der letzten drei Jahre zeigt doch, dass wir, wenn wir mit der Aufweichung Beginnen, dann enden wir in Abu Ghreib und mit der Folter.

 

Ignatieff: Wir müssen die Grenzen sehr genau beachten, die nie überschritten werden dürfen. Das ist es, worum es mir geht. Ich bin geschockt über die Memos, die unter der Ägide von Gonzales aus dem Weißen Haus herausgingen, die die Folter legitimieren. Aber wie verhindern wir das? Indem wir das Folter-Verbot in die Verfassung schreiben werden wir so etwas nicht verhindern. Wir verhindern es, indem wir dafür sorgen, dass die verschiedenen demokratischen Institutionen funktionieren, die sich gegenseitig in Schach halten. Die Folter-Memos wurden von Beamten an Zeitungen weitergereicht; die Folterbilder von Abu Ghreib wurden den Medien zugespielt, von Soldaten; das Militär selbst hat die Übergriffe untersucht; der Oberste Gerichtshof ist in Hinblick auf Guantanamo eingeschritten; der Kongress hat eine Untersuchung gestartet. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sage nicht, alles ist wunderbar. Aber das System funktioniert. Allerdings: Wir können unsere Freiheit schnell verlieren und es ist die Freiheit der Anderen, mit der es immer beginnt.

 

In Situationen, in denen man nicht moralisch sauber bleiben kann, wird die Ethik meist suspendiert; sie meinen aber, gerade in solchen Momenten wird die Ethik wichtig.

 

Ignatieff: Gerade wenn es dreckig wird, wenn man in Lagen kommt, in denen man sich leicht die Finger schmutzig macht, müssen wir besonders klar denken. Ich bin ein hundertprozentiger Liberaler. Ich will, dass unsere freien Gesellschaften überleben. Es gibt Leute, die diese Freiheit zerstören wollen. Sie müssen geschlagen werden. So einfach sehe ich die Sache.

 

 

 

 

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