Himmelfahrt, live übertragen

Sterben in der News-Ära – der Medienpapst machte sogar seinen Tod zum Event. Zuletzt war er besonders für die, die nicht glauben, ein Superstar – linke Agnostiker inklusive. Weil er, "Bollwerk des Eigensinns", mit seiner dogmatischen Starrköpfigkeit immerhin für abweichende Meinungen sorgte. Falter, April 2005

 

 

Es ist etwas im buchstäblichen Sinne Ver-rücktes um das katholische Christentum. Man kann das doppelbödig nennen oder, wer’s freundlicher bevorzugt, dialektisch: Es ist geprägt von der Verachtung des irdisch Sichtbaren und gleichzeitig Wunderzeichen gnadenlos verfallen, es verdammt den Körper und ist vollständig von ihm besessen. Hochgradig vergeistigt, kann es sich doch nicht mit dem Zugriff auf die Innerlichkeit des Gläubigen begnügen – es braucht den Purpur, Pomp und Schein, sowie den Träger des Glaubens, sei’s der Pontifex, sei’s der Heilige, sei’s die Madonnenfigur. Kurzum: Das Medium. Und in seinem Anachronismus ist es da ganz postmodern: The Medium is the Message, das Medium ist die Botschaft. Papst Johannes Paul II. war insofern der ideale Pontifex Maximus der News-Ära. Ein Global Prayer, der alles, jede Reise, jede Messe, sich selbst zum Event machte. Bis zum Tode hin. Himmelfahrt mit Live-Übertragung mit stündlichem Newsflash über Atmungsstabilität und Fieberkurve – eine gelungene Performance. Charismatisch ist er gewiss schon gewesen, aber braucht jemand wirklich Charisma, um die Massen zu elektrisieren, dessen Sterben derart medial begleitet wird? Da ist die Aura schon auch, um Walter Benjamin zu ironisieren, technisch produziert.

 

Er sank in sich zusammen, "als würde er bei lebendigen Leibe zur Reliquie seiner selbst", wie es unlängst in einer schönen Sentenz im Berliner "Freitag" hiess. Er wurde verehrt, wie es vom Standpunkt eines Monotheismus, der sich ernst nehmen würde, nur obskurant genannt werden kann, was wohl nicht ohne innerem Zusammenhang mit seinem eigenen Obskurantismus war – er hat die Messiasmutter Maria angebetet, war der festen Überzeugung, diese hätte ihm beim Attentat 1981 das Leben gerettet, er hat Holzpuppen für heilig gehalten und an Wunder geglaubt. Götzendienst hat man das einmal in den früheren Tagen der jüdisch-christlichen Kulturtradition genannt. Heute scheut man sich, darüber auch nur ein Wort des Erstaunens zu verlieren, angesichts der allgemeinen Papamania um den verschiedenen Pontifex.

 

Verwunderlich ist diese Scheu natürlich nicht vollends: Dass man Toten nur Gutes nachsagen soll ist nicht die schlechteste Usance und wenn Abermillionen im Pathos erstarren will keiner gern der Ergriffenheitsverderber sein. Aber nach dem zehnten so getragenen wie flachen Kommentar über "die Würde" oder "die zeichenhafte Art" (Presse-Chefprediger Michael Fleischhacker) dieser letzten Tage und über die menschliche Größe, mit der der Papst den leidenden, siechen, wunden Leib in der Öffentlichkeit gezeigt hat, ist es auch wieder gut. Das ist schon alles nicht ganz falsch, etwa, dass er mit dem "ästhetischen Schock" (FAZ) seiner Schwäche am Tabu des Sterbens in einer Jugendkult-Gesellschaft rührte. Aber die Szene am Fenster, das erfolglose Ringen um das letzte Wort am Osterwochenende, der Vorhang, der wie von Geisterhand bewegt hinter dem stummen Schmerzensmann zuging, war auch einfach eine ziemlich gekonnte Inszenierung zum Nutzen der eigenen Firma, gestützt auf zweitausend Jahre Erfahrung in Sachen Theatralik – und mithin schlicht frivol.

 

Das katholische Kirchenvolk hat es bewegt und auch über dessen Kreise hinaus niemanden kalt gelassen. Diese globale Ergriffenheit war nur der Höhe- und Schlusspunkt einer durchaus erstaunlichen Transformation: Der Papst, der jahrzehntelang polarisiert hat, konnte am Ende mit uneingeschränktem Wohlwollen rechnen, auch und gerade in liberalen, agnostischen Milieus. Was aber hat die Milde und Achtung, ja leise Bewunderung begründet, die Karol Wojtyla von Seiten jener entgegen schlug, die ihn lange als Verkörperung finstester Reaktion ablehnten?

 

Zunächst mag es fast so etwas wie schlechtes Gewissen gegeben haben. Während die linken und liberalen Milieus nicht gerade viel beitrugen, die antikommunistische Dissidenz in Osteuropa zu unterstützen, sah der polnische Papst in den Potentaten den Feind, der vollständig besiegt werden müsse. Seine Präsenz – und somit: seine Körperlichkeit -, spielten dabei eine wichtige Rolle. Es gibt die bekannte Geschichte, dass der Papst, wann immer er in irgendeinem Land besonders engagierte Pilger antraf, die minutenlang applaudierten und ihre Hymnen auf ihn sangen, zu den Gläubigen sagte: "Ihr macht ja mehr Durcheinander als die Mexikaner." Damit erinnerte Johannes Paul II. an seine erste Reise nach Mexiko im Frühjahr 1979, die er, so sein Biograph Andreas Englisch, "nie vergessen hat". Englisch: "Damals sangen und schrien begeisterte Mexikaner die ganze Nacht vor der Nuntiatur, in der der Papst versuchte, trotz des Krachs zu schlafen." Mexiko hatte eine eher kirchenfeindliche Regierung, und der Papst erlebte, dass er durch seine bloße Präsenz etwas verändern konnte. Damals entstanden die Pläne für seine großen Reisen – der "Marathonmann Gottes" war geboren.

 

 Vor allem seine Reisen in seine Heimat Polen – die erste und legendärste im Jahr 1979 – gelten heute als wichtige Beiträge zum Sturz des Kommunismus. Er schloss damit in gewissem Sinne an ein Verhalten an, das er bereits als Bischof in Krakau erprobt hatte. Noch heute sind die Weihnachtsmessen legendär, die er ab 1959 in Nova Huta auf freiem Feld abhielt. Jährlich wiederholte er diese Gottesdienste, bis die Regierung 1967 entnervt dem Bau einer Kirche in der Arbeitervorstadt zustimmte.

 

Dabei galt Karel Wojtyla den polnischen Kommunisten lange gar nicht als allzu harter Antipode. Seine Ernennung zum Kardinal 1967 wurde von der Regierung sogar begrüßt. Er wurde als "entschieden, aber flexibel" angesehen. Dabei war er nur taktisch raffinierter als die klerikalen Hardliner, die jeden Kontakt mit Kommunisten untersagen wollten. Und er war mutig, wenn er den KP-Leuten ins Gehege kam. "Ich habe keine Angst vor ihnen", sagte er einmal einem Gesprächspartner. "Sie haben Angst vor mir."

 

Als er im Oktober 1978 zum Papst gewählt wurde, prophezeite Juri Andropow, damals Chef des KGB, dass der Mann Troubles machen würde. Er hatte recht damit.

 

Der Rest ist bekannt: Des Papstes Inspiration für die Solidarnosc, seine Kooperation mit der CIA nach Ausrufung des Kriegsrechts – Dollars und sonstige Hilfsgüter wurde über Kirchenkanäle nach Polen geschafft -, die Schroffheit, mit dem er Entspannungsfreunden entgegentrat. Die Welt war in Blöcke aufgeteilt und der Papst, gemeinsam mit US-Präsident Ronald Reagan, Zentralfigur einer "heiligen Allianz" (wie es in dem Buch "Seine Heiligkeit" von Watergate-Aufdecker Carl Bernstein und Vatikan-Insider Marco Politi heißt), mit aller unschöner Begleitmusik, die das damals mit sich brachte: Augusto Pinochet wurde zur Audienz im Vatikan empfangen, für die Mütter der Opfer dessen Terrorregimes hatte der Pontifex Maximus dagegen keinen Termin frei, und der CIA-Chef schaute in diesen Jahren schon mal im Vatikan vorbei, mit Spionage-Satelittenfotos von sowjetischen Atomraketen unterm Arm. Aber das ist dem Vergessen anheimgefallen angesichts des allgemeinen Respektes vor Johannes Paul II. als dem Mann, "der den Kommunismus zu Fall brachte". Nur: War er das wirklich?

 

Ja und Nein. Sein Einfluss konzentrierte sich sehr stark auf Polen. In der eher agnostistischen Tschechoslowakei, dem orthodoxen Russland und der protestantischen DDR konnte man mit einem römischen Pontifex keinen Regimekritiker hinter dem Ofen hervorholen. Andererseits hatte die Krise der kommunistischen Orthodoxie in Polen Signalwirkung für den gesamten Ostblock, auch wenn man anderswo mit den katholischen Polen nicht viel zu tun haben wollte. Noch 1989 legten viele antikommunistisch-revolutionär gestimmten Tschechen wert darauf, mit dem frömmelnden Plebejertum der Solidarnosc nicht in einem Topf geworfen zu werden (auch weil man sich auf die eigene Arbeitsmoral etwas zugute hielt, während Solidarnosc ein Synonym für’s Streiken war – und damit ein bißchen für Faulheit). Kurzum: Polen war der erste Stein, der aus der Mauer gebrochen wurde. Johannes Paul II. hatte daran seinen Anteil. Wenig war das gewiss nicht.

 

Mit dem Untergang des Kommunismus veränderte sich das Bild des Papstes. Nur lag das nicht so sehr an seinem Anteil an der "demokratischen Revolution", sondern daran, dass die Welt des ideologischen Kampfes unterging, die Ordnung der rivalisierenden Weltanschauungen. Der westliche Liberalismus hatte gesiegt. Plötzlich gab es in der politischen Arena, in der Öffentlichkeit der entwickelten Länder nur mehr leicht variierende Spielarten einer Meinung – den demokratischen Liberalismus. Pensée Unique, "Einheitdenken", nennen das die Franzosen. Und während der polnische Papst zuvor als Repräsentant der reaktionärsten Strömungen des Konservativismus wahrgenommen wurde, erschien er plötzlich als jemand, der immerhin noch eine abweichende Meinung zum herrschenden Einheitsbrei formulierte. Was früher noch aufregte, war plötzlich zu liebenswürdiger Starrköpfigkeit geworden. Man hat da eine gewisse Bewunderung für schräge Eigensinnigkeit, so wie man auch den Zeugen Jehowas immerhin noch positiv anrechnen mag, "dass sie ohne Angst vor Blamage mit dem Wachturm in der Hand in der Fußgängerzone stehen", wie das die Frankfurter Rundschau formulierte.

 

Diese Milde ist natürlich das Resultat der Siegesgewißheit der liberalen, hedonistischen Moderne. Die Kirche ist zur Außenseiterin in der Moderne geworden. Und Außenseitern, die den Kopf hochhalten, zollt man gerne Respekt – solange sie als ungefährlich gelten. Der prophetische Mahner sorgt wenigstens für Abwechslung, wie jeder andere interessante Sonderling auch. Noch die seltsamste Meinung kann dann immerhin mit liberaler Lässigkeit genommen werden, so nach dem Motto: "Darf er doch sagen. Schließlich ist er der Papst." So wurde Karol Wojtila, wie das der "Zeit"-Journalist Jan Roß in seiner Hagiographie "Der Papst" formulierte, ein "Bollwerk des Eigensinns", Illustration des Widerstandspotenzials des Unzeitgemäßen. Darum aber, weil die Papstadoration längst mehr um die exzentrische Geste der vom Mainstream abweichenden Meinung als um den Buchstaben der vertretenen Lehre selbst handelte, kam es zu dem Paradoxon, dass der Papst "gerade bei jenen zum Star wurde, die nicht glauben" (Andrea Roedig).

 

Anders gesagt: Gerade dann, wenn man die vom Papst vertretenen Meinungen als ziemlich abwegig einschätzt, kann man ihm die Bewunderung nicht versagen, dass er sich sichtlich keinen Deut darum scherte, was die Welt von seinem schrillen Urteil hielt. Diese Bockigkeit hatte fast etwas Rebellisches, nicht unähnlich dem Punk, dem die scheelen Spießerblicke auf die Sicherheitsnadel in der Wange auch schnuppe sind. Allmählich wurde auch der Papst cool – Clerical Chic, sozusagen. In den letzten Jahren haben sich über Karol Wojtylas Illiberalität höchsten noch reformerisch gestimmte Katholiken gegrämt – echte Liberale und Agnostiker aber schon lange nicht mehr.

 

Mit Sicherheit half auch, dass die Aufklärung im Lager der Aufklärer selbst ins Gerede gekommen ist. So sorgte sich Jürgen Habermas, weltliches Oberhaupt der Frankfurter Schule, darum, dass die "säkulare Vernunft" entgleisen könne, wenn sie alles für möglich hält und niemand ihr mehr Grenzen setzt; andere wiederum beklagen die spirituelle Leere der westlichen Moderne; und die Postmodernisten sind wiederum dem cartesianischen Subjekt gegenüber kritisch – dieses vernünftige Subjekt existiere nicht, die Individuen sind ja durchfurcht, dezentriert, von Ideologie gemacht, nicht Herr im eigenen Haus, so die Gewissheit des postmodernen Denkens.

 

Diese moderne Vernunftkritik zeigte sich an die Vorstellungen von Johannes Paul II. anschlussfähig, auch wenn der nicht von einer postrationalistischen Position aus argumentierte, sondern aus einer vormodernen antiaufklärerischen Haltung heraus, wie zuletzt in seinem umstrittenen Buch "Erinnerung und Identität". Wenn der "Mensch allein, ohne Gott entscheiden kann, was gut und was böse ist, dann kann er auch verfügen, dass eine Gruppe von Menschen zu vernichten ist", zog der Papst darin eine deutliche Spur von der Auflösung religiöser Bindungen hin zu Genozid und Holocaust. Damit nicht genug, sprach er auch das Böse in der Gegenwart an, nämlich "die legale Vernichtung gezeugter, aber noch ungeborener menschlicher Wesen. Und diesmal handelt es sich um eine Vernichtung, die sogar von demokratisch gewählten Parlamenten beschlossen ist, in denen man sich auf den zivilen Fortschritt der Gesellschaft und der gesamten Menschheit beruft". Die Fristenlösung ist also noch verdammenswerter als die Gaskammern, weil sie nicht von einem despotischen Regime organisiert (wie das bei der Shoah der Fall war), sondern demokratischen Gesellschaften und damit vom Mehrheitswillen sanktioniert ist. Skandal hat das längst keinen mehr ausgelöst.

 

Karol Wojtyla war ein freundlicher, blitzgescheiter, an der Welt interessierter Mann, warmherzig im persönlichen Umgang, jovial und charmant sowieso – dies jedenfalls ist das einhellige Urteil aller jener, die seine Bekanntschaft machten oder ihm nahe standen. Er war auch untypisch für einen Mann des Klerus – an Literatur und Theater interessiert, ein Sportler, vital, gewissermaßen: männlich. Er war radikal modern und unmodern zugleich, fast ein konservativer Revolutionär. Er war insofern Traditionalist, als er – um ein in anderem Zusammenhang geprägtes Wort zu benutzen – nicht die Asche, sondern die Flamme anbetete. Aber die Meinungen, die er propagierte, waren auch: verklemmt, reaktionär, dogmatisch, autoritär. Davon können die absehen, die Seiner Heiterkeit ohnehin nur ironisch begegneten, als Pop-Star unter anderen. Für die, denen sein Wort etwas bedeutete, war die Sache schon weniger lustig.

 

Sein letztes Wort übrigens, ließen die vatikanischen Spindoktoren verbreiten, sei "Amen" gewesen. Was kann man dem noch hinzufügen? 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.