Superuni-Mania

Bildungspolitik. Wien braucht dringend eine Superuni für Supermänner, heisst es. Elite, einst verpönt, ist wieder in. Und Masse ist Mist – darauf kann sich sogar der Punk mit dem Bankdirektor einigen. Falter, Jänner 2005

 

 

Nun haben wir sie also auch hierzulande: die Elitedebatte. "Die Zeit ist reif für eine Eliteuniversität", proklamiert eine Studie aus dem Wissenschaftsministerium. Der Standort muss, muss, muss Wien sein – und zwar bald. 50 bis 80 Millionen Euro jährlich sollen für die Aufzucht junger Geistesprinzen und -prinzessinnen locker gemacht werden. Für solche "Exzellenzzentren" mag vielleicht im Detail manches sprechen – auch wenn die Vorstellung, mit den Summen, die im Spiel sind, könne man an angloamerikanische Kaderschmieden heranreichen, einigermaßen lächerlich ist: Havard oder Stanford verfügen jährlich über zwei bis 2,5 Milliarden Dollar. So wäre eine "Eliteuniversität" nach österreichischer Schmalspurart wohl vor allem eines: ein bequemes Argument für die gegenwärtige finanzielle Austrocknung der traditionellen Universitäten und Hochschulen. Ein paar Supermänner und -frauen kommen medial immer gut. Dass die Ausbildung in der Breite skandalös vernachlässigt wird, fällt dann womöglich nicht so auf.

 

In diesem diskursiven Verfahren ist freilich eines zentral: die schleichende Rehabilitation des Begriffskadavers "Elite" und, im Umkehrschluss, die Verächtlichmachung der Masse. Bis vor wenigen Jahren war der Elitebegriff verpönt. Sowohl traditionelle und moderne Eliten hatten im 20. Jahrhundert kriminell versagt und die westlichen Nachkriegsgesellschaften waren von einem egalitären Geist durchdrungen. Die traditionellen Eliten, etwa in Wirtschaft und Verwaltung, konnten zwar ihre angestammten Positionen großflächig verteidigen und an ihresgleichen weitergeben, waren aber wenigstens verschämt darauf bedacht, dass es nicht auffällt. Erst mit der neoliberalen Wende wurde der Elitebegriff wieder positiv besetzt. Jeder kann es schaffen, hieß es jetzt. Wer nicht top ist, tut eben zu wenig – und wer die Welt von oben sieht, verdankt das seiner Leistungskraft. Man schämt sich nicht mehr der Klassenschranken, man befestigt sie mit Leistungsideologie. Begleitet wurde diese neue Spitzenleistermythologie durch eine vergnügliche Symbiose von Konkurrenzprinzip und Entertainment: Kaum ein buntes Blatt kommt heute mehr ohne Rankings aus, Superstar-Suche und Wissensquiz monopolisierten die Abendunterhaltung. Selektion ist wieder hip. Demoskopieinstitute erheben in ihren Meinungsumfragen separat die Auffassungen der "normalen" Leute und die der "Info-Elite", was immerhin Einblick in den Umstand erlaubt, dass diese "Info-Elite" gelegentlich – um es höflich zu sagen ­- recht bizarre Haltungen an den Tag legt. Individuen und Institutionen stehen unter Dauer-Evaluation, Ehrgeiz und Angst vor dem Absturz bilden eine feste Einheit. Dieser Elitenwahn strahlt weit ins linksliberale Milieu aus: "Unsere Gesellschaft braucht Eliten", proklamierte Deutschlands SPD-Kanzler Gerhard Schröder schon bei seiner ersten Regierungserklärung 1998. Alfred Gusenbauer erfand wie üblich einen sperrigen und darum schnell vergessenen Begriff: den der "solidarischen Hochleistungsgesellschaft".

 

Interessant und entscheidend ist, dass das reanimierte Elitenkonzept auf höchst fruchtbaren Boden fällt. Von Hoch- bis Subkultur gilt: Mainstream will keiner sein, Masse ist Mist. Der antiegalitäre Furor fällt mit der Tür ins Haus. "Dass der Mainstream verachtenswert sei, ist wahrscheinlich der größte Konsens, der sich in der Gegenwartskultur finden lässt", schreibt der deutsche Poptheoretiker Diederich Diederichsen im eben erschienen Jahrbuch 2004 von Theater heute. Der Rebellengestus, der am Anbeginn der Popkultur stand, ist heute verallgemeinert, Differenz und Dissidenz ein weit begehrtes Gut, jeder will sich abgrenzen von der Masse: Mainstream ist "beleidigend für einzigartige Individuen" (Diederichsen). In der postfordistischen "Wissens-" und "Optionengesellschaft" pflegt jeder seine Distinktionsbedürfnisse. So mancher schrille Clubbesucher zieht sein Selbstgefühl daraus, zu Musik zu tanzen, von der er überzeugt ist, dass andere sie nicht verstehen. Für avancierte Diskursjockeys der Hochtheorie gilt ähnliches. Sich von anderen abzugrenzen, wurde derart zur Norm, sodass am Ende sogar die Abgrenzung von der Abgrenzung als Normverstoss durchgeht und die Pflege spießiger Bürgerlichkeit, womöglich leicht ins dandyhafte gedreht, auch noch als hip gilt. Kurzum: Dass Masse scheiße ist, das ist wahrscheinlich das einzige, worauf sich der gepiercte Post-Punk mit dem Direktorium der Deutschen Bank einigen kann.

 

In einer derartigen Diskurslage sind Kurzschlüsse und Paradoxien selbstverständlich vorprogrammiert. Wenn die Verachtung des Mainstreams selber zum Mainstream geworden ist, muss die Abgrenzung natürlich immer neue Kapriolen schlagen. Schon die 68er-Generation, derem Geist nun von allen Seite die Schuld an Bildungsmisere und Nach-Unten-Nivellierung gegeben wird, hat das Prinzip der Gleichheit verfochten, war aber am erfolgreichsten in der Zerstörung der Uniformität der Nachkriegsgesellschaft. Und zu den amüsanteren Aspekten dieses paradoxen Settings zählt gewiss der Umstand, dass die stetigen Vorträge über die Notwendigkeit von Kreativität, Einzigartigkeit, Leistung und Elite meist von Männern gehalten werden, die alle die gleichen grauen Anzüge, die gleichen Krawatten und die gleichen Frisuren tragen, die alle gleich aussehen und alle gleich reden.

 

Nichtsdestoweniger hat der mächtige Siegeszug von Differenz und Distinktion dazu geführt, dass heute hoffnungslos gestrig wirkt, wer den neuen Elitismus in Frage stellt. Man fängt gewissermaßen ganz von vorne an, wenn man versucht, ein paar Dinge auseinanderzuhalten: dass die Menschen verschieden sind und spezielle Talente spezielle Förderung verdienen erzwingt nicht notwendigerweise brutale Selektion und die Etablierung immer neuer Hierarchien – zwischen Spitzen-, Durchschnitts- und Massenunis beispielsweise. Insbesondere dann nicht, wenn das erwartbare Resultat einer solchen Operation ein Kahlschlag in der Breite ist. Ohnehin gehört einiges dazu, Selektion und Elitenbildung als Antwort auf die Bildungsmisere zu propagieren, ist doch das Ergebnis aller einschlägigen Studien, PISA voran, dass nicht zuviel Gleichheit, sondern zu wenig Gleichheit, zuviel Selektion zur massenhaften Verschwendung dessen führt, was man heutzutage "Humankapital" nennt. Ohnehin ist es mit der unterstellten Durchlässigkeit der modernen "Leistungsgesellschaft", mit der der grassierende Elitismus Hand in Hand geht, nicht weit her. Der soziale Status der Eltern hat etwa in Österreich und Deutschland einen viel größeren Einfluss auf die Lebenschancen ihrer Kinder als in den meisten westlichen Industriestaaten. Der Hannoveraner Soziologe Michael Hartmann hat in seiner Studie "Der Mythos der Leistungseliten" (Campus, 2002) nachgewiesen, dass vier Fünftel der Spitzenfunktionen in der deutschen Wirtschaft von Leuten eingenommen werden, deren Eltern schon auf solchen Posten saßen. "Wer an der Leistungsfähigkeit unseres Bildungssystems interessiert ist", sagt Hartmann nun, "der müsste über eine Anhebung der Hochschuletats in der Breite nachdenken. Und nicht über Elite-Unis".

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