Die arrogante Weltmacht

Die Falter-Story zum Bush-Besuch 

George W. Bush’ außenpolitische Fehler sind nicht einfach Fehler, die so passieren. Es sind Fehler, die typisch sind für eine Regierung, die über das gesunde Maß hinaus von der Richtigkeit ihrer Mission überzeugt ist – und im Rest der Welt nur Idioten oder Whimps sieht.

 

Als der chinesische Premierminister Tschu En-Lai in den siebziger Jahren gefragt wurde, wie er denn die französische Revolution so einschätze – damals immerhin auch schon 190 Jahre vorbei -, antwortete der Mao-Vertraute: „Es ist zu früh, das zu beurteilen.“

 

Dieser gelassene Blick, diese Art von Geduld mit der Geschichte, ist üblicherweise ja auch den professionellen Historikern eigen. Eine Umfrage, die unlängst unter 415 führenden Geschichtswissenschaftlern der USA durchgeführt wurde, hat dennoch ziemlich eindeutige Resultate. Gefragt, ob George W. Bush’ Präsidentschaft eher ein Erfolg oder ein Misserfolg wäre, antworteten 338 Fachhistoriker – also 81 Prozent -, sie sei ein Misserfolg, nur 77 – also 19 Prozent – nannten sie einen Erfolg. Wobei unter „Erfolg“ auch Erklärungen wie die jenes Geschichtsprofessors rubriziert wurden, für den „die Bush-Regierung höchst erfolgreich in der Verfolgung ihrer desaströsen Politik“ ist. Kaum weniger – exakt 12 Prozent – halten die Bush-Präsidentschaft nicht nur für einen Misserfolg, sondern ausdrücklich für „die schlimmste Präsidentschaft in der Geschichte der Vereinigten Staaten“.

 

Nun sind, gewiss, auch in den USA die strammen Konservativen unter den Geisteswissenschaftlern in etwa so zahlreich vertreten wie die Linken unter den Unternehmensberatern, aber doch ist das Ergebnis eindeutig: bei der Bush-Regierung wird man, anders als der weise Tschu bei der französischen Revolution, nicht 190 Jahre bis zu einer endgültigen Meinungsbildung benötigen.

 

Weder muss man zu Antiamerikanismus neigen, noch einen Hang zu grellen Urteilen haben, noch eine klammheimliche Sympathie für islamistische Kopfabschneider hegen, um das Urteil abzugeben: die Bush-Regierung ist eine Katastrophe. Man kann es sich leicht machen – und sich auf die vielen, vielen handwerklichen Fehler der Regierung konzentrieren, die meist nicht nur handwerkliche Fehler sind, sondern aus einem Geist resultieren. Bush hat sich mit einer Kamarilla von Leuten umgeben, die alle so oder so ähnlich ticken wie er: Menschen mit einer ziemlich ausgeprägten Haltung und Weltsicht, die sie sich durch Fakten oder Expertenwissen nicht gerne irritieren lassen wollen. Man kann solche Leute überzeugungssichere Typen nennen, oder, wenn man es etwas böser formulieren will, ideologische Fanatiker. Der Geist, der seine Administration durchzieht, ist deshalb ein seltsamer „Anti-Establisment“-Geist: die Bush-Leute halten die Experten, Spezialisten und Beamten, sei es im Weißen Haus, Außenamt oder CIA oder die Generäle im Militär im Grunde für phantasielose „Erbsenzähler“, die Politik eben betreiben wollen, wie sie sie immer betrieben. „Rebel-in-chief“ – was wohl mit „amtsführender Rebell“ am besten übersetzt ist – heißt deshalb ein neues Buch über den Präsidenten. Dieser führe sich mit seinen Leuten in Washington auf „wie der Kopf einer kleinen Aufstandsarmee, die gerade die Hauptstadt besetzt hat“, so der Autor Fred Barnes.

 

Ob im Vorfeld oder während des Irakkrieges, ob im Umgang mit den Verbündeten: Bush-Leute umgehen die routinierten Dienststellen und richten bisweilen regelrechte „Gegen-Stäbe“ ein: deren Philosophie ist meist, dass nach kurzer Prüfung aller Optionen diejenige herauskommt, die vorher schon im Kopf der Ideologen um Bush war. Das Resultat ist dann oft ein regieren im Blindflug: Nachrichten, die nicht ins Bild passen, werden nicht oder viel zu spät wahrgenommen. Die Liste der Exempel ist lang: die berühmten „Beweise“ für Massenvernichtungswaffen wurden in einer Art Gegen-CIA im Pentagon gesammelt, negative Nachrichten aus dem Irak werden nicht weitergegeben oder ignoriert. Paul Bremer, 2003-2004 US-Statthalter im Irak, berichtet, er habe Verteidigungsminister Donald Rumsfeld über Schätzungen informiert, dass das besetzte Land nur mit 500.000 US-Soldaten stabilisiert werden könnte – und habe daraufhin vom Minister nichts mehr gehört. 

 

Die Fehler sind also keine Fehler, wie sie jeder machen kann – sondern Fehler, die typisch sind für eine Gruppe, die von der Richtigkeit ihrer Mission überzeugt ist, und zwar mehr, als gesund ist.

 

Denn natürlich ist klar: Wer effektiv regieren will, muss manchmal eine Sache durchziehen. Geschichte wird nicht von Zweiflern gemacht. Zweifler ist George W. Bush keiner, und Zweifler sind es nicht, mit denen er sich umgibt. Der Präsident selbst ist Anhänger der „Great-Man-Theory“, der Überzeugung, dass entschiedene Führer die Welt verändern können. „Es sind die Entscheidungen, die Menschen treffen, welche die Dinge bewegen“, sagte er in seiner Rede zur zweiten Amtseinführung vor zwei Jahren.

 

Es ist eine fatale Mischung, die regelrecht die Mentalität dieser Administration in außenpolitischen Belangen prägt: da ist die Überzeugung, dass alles Schlechte nur Resultat von Verzagtheit der Guten ist; dass ein Ziel, einmal erkannt, mit allen Mitteln verfolgt werden muss; dass Amerika, stark, Führer der freien Welt, „home of the brave“, die Fähigkeit hat, eine bessere Welt zu erschaffen; dass alle, die da noch Einwände haben, winselnde Schwächlinge sind. So ticken sie im Grunde im Hause Bush, man muss da gar nicht zu grob zeichnen und zu grell malen. „The arrogant empire“, hat Fareed Zakaria, Chef von Newsweek-International, in einem großen Essay die USA unter Bush genannt. Dabei ist Zakaria bei Gott kein liberaler Whimp, der keine der Begründungen der Regierung für ihre Handlungen nachvollziehen kann. Aber er weiß, dass eine alleinige verbliebene Supermacht eher mehr, nicht weniger Überzeugungsleistung vollbringen muss als eine Großmacht in der bi- oder multipolaren Welt. „Was die Leute in aller Welt abschreckt, ist eine Welt, die von einer einzigen Nation bewegt und dominiert wird – den Vereinigten Staaten. Wir sind ihnen unheimlich und sie fürchten uns.“

 

Bush’ Amerika redet von der Verbreitung der Demokratie – und droht. Es verspricht die Verbreitung der Freiheit – und erpresst. Das passt nicht zusammen – und weil es nicht zusammen passt, kann es nicht funktionieren. Demokratischer Macht nützt militärische Hyperpower wenig, wenn sie in den Augen der Weltöffentlichkeit nicht als legitim erscheint. Und hier gilt, um das mit den Worten Zakarias zu sagen: „In der Diplomatie ist Stil oftmals Substanz.“ Bush’ Lieblingswort dagegen ist, „I expect“ – „ich erwarte“: „Ich erwarte“, von den Türken, von Teheran, von den Palästinensern…

 

Aber es geht dabei natürlich nicht bloß um Stilfragen. Die Stilfragen haben eher etwas decouvrierendes: der „schlechte Stil“ verweist auf eine Wahrheit – auf die rechthaberische Verbohrtheit konservativer Weltveränderer, die in kaum fassbaren Ausmaß unfähig sind, sich in andere hineinzuversetzen und gerade deshalb an jedem ihrer Ziele scheitern müssen. Dies festzustellen heißt ausdrücklich nicht, diese Ziele automatisch zu delegitimieren. Gerade jene, die der Meinung sind, dass die Welt ein besserer Ort würde, wenn Demokratie und Menschenrechte ein Leitfaden für die Außenpolitik wären und nicht die machtzynische „Realpolitik“; gerade jene, die auch militärische Interventionen gutheißen, um Menschenrechtsverletzungen zu stoppen und despotische Blutsäufer zu stürzen; gerade jene, die eine solche Weltpolitik des Westens befürworten würden, müssen über die Bilanz der Bush-Regierung verzweifelt sein (diejenigen, die Amerika ohnehin für den Hort des Bösen halten, können sich freuen – noch nie war dieser Hort des Bösen so unbeliebt und delegitimiert wie heute).

 

Deswegen klingen auch die liberalen Falken in den USA heute derart deprimiert. Die Regierung sei inkompetent und indifferent gegen die offenkundigsten Gründe für ihr Scheitern und völlig unfähig, Kritik anzunehmen und zur Neujustierung ihrer Linie zu nutzen, schreibt dieser Tage Paul Berman, der linksliberale amerikanische Kriegsbefürworter im deutschen Diplomatiefachorgan „Internationale Politik“. Weil die Bush Administration „viel zu sektiererisch“ ist, habe sie den Kampf um die Ideen verloren. Und zwar, weil sie die Auseinandersetzung zwischen westlicher Freiheit und islamistischen Totalitarismus „auf die simple Frage amerikanischer Hegemonie“ reduziert hat, anstelle für einen gemeinsamen – und das heißt auch: gleichberechtigten – Kampf gegen eine despotische Ideologie zu werben.

 

Selbst die liberalmilitanten Falken vom Schlage Bermans können also in der Bush-Regierung längst keine Verbündete mehr sehen. Und das, obwohl schon Berman und die Leute, die ähnlichen Gedanken anhängen, ihre blinden Flecken haben: Viel Spürsinn für das feine Gleichgewicht von Macht und Ohnmacht im globalen Rahmen, für die stetigen Verletzungen, die es bedeutet, nicht der hegemonialen Kultur anzugehören, haben ja auch Berman und seine Mitstreiter nicht. Aber doch ist Berman nicht ohne Instinkt dafür, dass der Mächtigste in der Welt den weniger Mächtigen zwar im Extremfall befehlen kann, es aber besser nicht tun sollte, wenn er sie an seiner Seite haben will.

 

Das ist eigentlich doch auch leicht einsehbar. Nur an einem Ort der Welt will das offenbar niemand begreifen: Im Weißen Haus zu Washington. Das ist unter Bush auf einem bestimmten Ton gestimmt: herrisch, megalomanisch. Man weiss wo es lang geht und lacht über die Schwächlinge – und ruiniert damit alles, was möglicherweise an Richtigem in diesem „Krieg gegen den Terror“ auch enthalten ist. Bush selbst hat vielleicht unbeabsichtigt enthüllt, was das Desaster seiner Präsidentschaft ist, als er Bob Woodward sagte, das Schöne am Präsidentendasein sei „das Gefühl, dass ich niemanden eine Erklärung schuldig bin“.

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