Ethik für das Kapital

Klaus M. Leisinger, Chemiemanager und UN-Sonderberater, meint, dass Menschenrechtsfragen längst Teil der Produktqualität sind und unmoralische Firmen am Markt unnötige Risiken eingehen. 

 

Kennen Sie von Bertolt Brecht „Der gute Mensch von Sezuan“?

 

Leisinger: Vor allem die letzten beiden Zeilen.

 

Wie lauten die schnell noch mal?

 

Leisinger: „Verehrtes Publikum, los, such dir selbst den Schluss / Es muss ein guter da sein, muss, muss, muss“

 

Ein berühmter Satz. Wie der, den die drei Götter sprechen, als sie realisieren, dass die kapitalistische Welt für gütige Menschen unbewohnbar ist: „Gute Vorsätze bringen sie an den Rand des Abgrunds, gute Taten stürzen sie hinab.“ Was sagt denn der Wirtschaftsethiker dazu?

 

Leisinger: Dass der Bertolt Brecht ein großer Literat war, aber von Wirtschaft nicht viel verstanden hat. Es kann doch nicht so sein, dass sich wirtschaftliches Handeln nur rentiert, wenn es auf unmoralische Art stattfindet. Außerdem: Wir wissen doch alle, dass das nicht stimmt. Es ist doch vielmehr so: Es gibt drei Ebenen – die Muss-Dimension, die Gesetze, daran muss sich jeder halten; es gibt Dimension zwei, die Soll-Dimension, das sind die Dinge, die sind nicht vorgeschrieben, werden aber eigentlich erwartet; und dann gibt es die Kann-Dimension – was ich tun kann, wo mir niemand etwas vorwerfen kann, wenn ich es nicht tue. Das Problem ist die Dimension Zwei. Ich kann in manchen Ländern 14jährige Mädchen 16 Stunden in der Fabrik arbeiten lassen, das ist legal – aber es ist nicht legitim.

 

Warum soll es ein Unternehmen nicht tun, wenn es nicht verboten ist?

 

Leisinger: Wenn sie international arbeiten, dann arbeiten sie mit unterschiedlichen Rechtskulturen mit unterschiedlichen Durchsetzungsintensitäten. Warum sollte ich also etwas nicht tun, was ich tun könnte? Weil ich meine legalen Risiken, meine finanziellen Risiken und meine Reputationsrisiken minimiere, wenn ich mich verantwortlich verhalte. Hinzu kommt: Die hochqualifizierten Spezialisten, die ich brauche, wollen für ein Unternehmen arbeiten, für das sie sich nicht genieren müssen. Und die Konsumenten achten auch darauf, ob ein Unternehmen Standards einhält.

 

Gilt das nicht nur für Lifestyleprodukte? Man interessiert sich dafür, wie der Turnschuh zusammengenäht wird, woher der Kupferdraht im Radio oder das Coltran im Handy kommt, interessiert doch kaum jemanden.

 

Leisinger: Wenn sie zwei Handys zur Auswahl haben und in einem ist kein Coltran drinnen, dann werden sie zu dem greifen. Wenn Sie zwei Turnschuhe von Puma und Nike zur Auswahl haben und eines der Unternehmen verletzt Menschenrechtsstandards, dann werden sie diesen Turnschuh nicht kaufen, sondern den anderen – vorausgesetzt, sie sind preislich und qualitativ im gleichen Rahmen. Schon die Tatsache, dass Sie wie selbstverständlich die Probleme mit der Coltrangewinnung in Afrika ansprechen, zeigt, dass Menschenrechtsfragen Teil der Produktqualität sind.

 

Ich weiss es, weil Coltran so ein seltener Rohstoff ist, der nur in Zentralafrika vorkommt. Wie’s in den Kupferminen zugeht, die für Siemens oder Sony liefern, kann ich gar nicht wissen.

 

Leisinger: Aber es gibt NGOs, die das herausfinden, wenn es wo wirklich schlimm zugeht. Es ist ein Faktum: Die Produktdifferenzierung hat in den letzten zehn Jahren immens zugenommen. Max Havelaar, eine Fairtrade-Company für Schokolade, Kakao, Kaffee und Tee ist in den vergangenen Jahren von einem Nischenunternehmen auf einen Marktanteil von – je nach Land – 10 bis 15 Prozent gekommen.

 

Wenn das alles so wunderbar ist, warum hungern dann immer noch Menschen, warum sterben sie an Krankheiten, an denen man nicht sterben müsste?

 

Leisinger: Ich komme aus der Pharmaindustrie. 2,5 Milliarden Menschen sind so arm, die können sich Medikamente nicht leisten. Und jetzt sind wir in dem Bereich der Soll-Dimension. Ich muss die Preise nicht differenzieren, so dass die Medikamente, die ich in Europa für viel Geld verkaufe, in armen Ländern auch erschwinglich sind – aber ich kann es tun. Und: Wir können uns das leisten.

 

Konkrete Beispiele?

 

Leisinger: Wir haben mit kostenlosen Medikamenten in den letzten Jahren 4 Millionen Leprakranke geheilt. Wir haben die Produkte. Wir können es uns leisten. Also machen wir es. Punktum.

 

Das könnte man als Philanthropie bezeichnen, die ihren Profiten nicht schadet. Aber viele Unternehmen machen Profite, gerade weil sie ausbeuten und Märkte zerstören. Man denke nur an das Subventionssystem im Agrarbereich. In dieser Logik können sich Unternehmen schon viel schwerer philanthropisch benehmen.

 

Leisinger: Sie haben Recht, es ist eine Katastrophe, was etwa Europa in Hinblick auf die Agrarexporte macht. Aber das ist ein politisches Problem, nicht so sehr ein unternehmensethisches Problem. Es ist ein Problem der Strukturen, die die Politik schafft.

 

Ist ein Unternehmen für alles verantwortlich, was in seinem Umfeld passiert?

 

Leisinger: Volksmund sagt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Als Unternehmer muss ich sagen: Was ich nicht weiß, macht mich heiß, ich will es wissen, damit ich nicht überrascht werden kann. Natürlich, wenn ich in Indien unternehmerisch tätig bin und Briefpapier einkaufe, kann ich nicht ausschließen, dass ganz am Ende der Produktionskette, bei den Holzfällern, Zwangsarbeit stattfindet. Aber bei wesentlichen Zulieferern und Kooperationspartnern muss ich es ausschließen können.

 

Welche Zielkonflikte kann es da geben? Ist Kinderarbeit immer schlimm? Man könnte doch auch sagen: Besser Kinderarbeit als Verhungern oder Kinderprostitution.

 

Leisinger: Da kommt man nur intelligent durch. Zunächst muss man zwischen Child Work, Child Labour und Child Exploitation unterscheiden. Child Work, wenn Kinder mitarbeiten, etwa am Hof ihrer Eltern, ist nicht problematisch. Child Labour heißt, man nutzt Kinder für Erwachsenenarbeit, zahlt ihnen aber nur einen Bruchteil des Lohnes und sie haben keine Freizeit, keine Zeit für Schule. Und Child-Exploitation ist ganz schlimm, darüber brauchen wir gar nicht reden. Diese Zielkonflikte gibt es im mittleren Bereich der Child Labour. In Bangladesh hat man Kinder aus den Fabriken rausgeschmissen um die Standards zu erfüllen. Ein Jahr später hat eine Studie gezeigt: 70 Prozent der Kinder haben auf schlechteren Stellen mit weniger Lohn gearbeitet, 10 Prozent der Mädchen waren am Strich und die anderen saßen zu Hause.

Was ist in einem solchen Fall die intelligente Lösung?

 

Leisinger: Levy-Strauß kam zu dem Schluss, wenn wir alle Kinder rauswerfen, arbeiten die in dreckigeren, gefährlicheren Fabriken. Die Company hat darum Schulen nahe den Fabriken gebaut und Kindern einen Anreiz gegeben, ihre Ausbildung abzuschließen. Das hat die Produktionskosten der Firma um etwa zwei Prozent erhöht. Verantwortliches Handeln ist also absolut nicht teuer. Es gibt also in allen Fällen intelligente und dumme Lösungen.

 

Was hat ein Unternehmen eigentlich davon, wenn es sich ethisch verhält. Okay, es bekommt keine Probleme in der Öffentlichkeit. Abgesehen davon, gibt’s sonst noch Vorteile?

 

Leisinger: Ich kann keinem Unternehmen versprechen, dass es Gewinne einfährt, wenn es sich ethisch verhält. Wenn es so einfach wäre, dass sich ethisches Handeln in barer Münze rentiert, dann hätten wir kein Argumentationsproblem – dann wäre alle Welt moralisch. Aber: Ethisches Handeln reduziert das Risiko. Es ist wie mit einer Versicherung. Sagen Sie, die Feuerversicherung rentiert sich nicht, wenn es nicht brennt? Im Falle ethischen Handelns weiß das Unternehmen am Ende des Jahres nur, was es gekostet hat, aber es weiß nie, was es vermieden hat an Kosten und an Reputationsverlust. Deshalb ist der Return of Investment schwer zu bestimmen. Und es ist auch schwer zu berechnen, welche Einkünfte der gute Ruf gebracht hat, den ein faires Unternehmen hat. Aber eines ist klar: Wenn ich auf Gütermärkten erfolgreich sein will, muss ich auch auf den  Meinungsmärkten erfolgreich sein.

 

 

Klaus M. Leisinger ist Ökonom und Soziologe und machte Karriere als Manager beim Pharmaunternehmen Novartis (früher CIBA). In dieser Funktion engagierte er sich für ethisches Engagement des Unternehmens. Heute ist er Präsident und CEO der Novartis Stiftung, Professor in Basel mit Lehrschwerpunkt Entwicklungspolitik und Unternehmensethik. Seit 2005 ist er Sonderberater von UN-Generalsekretär Kofi Annan für den „Global Compact“, dem ökonomischen Fairness- und Menschenrechtsprogramm der Weltorganisation. Vergangene Woche sprach Leisinger auf Einladung des Ludwig-Boltzmann-Institutes für Menschenrechte und der Industriellenvereinigung in Wien.

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