„Handel mit Emotionen“

Dietmar Ecker, Medienberater von Natascha Kampusch, über Deals mit dem Boulevard, intellektuelle Doppelmoral und seinen Versuch, „den Tiger zu reiten“

 

Dietmar Ecker, 42, Chef der Medien- und PR-Agentur Ecker und Partner, gehörte zum Beraterteam von Natascha Kampusch. Ecker war früher Sprecher von Ex-Finanzminister Ferdinand Lacina, in den späten Vranitzy-Jahren hatte er den Job des Chefkommunikators der SPÖ. Zuletzt stand er dem ÖGB und der BAWAG zur Seite.

 

Nehmen wir einmal an, Sie wären nicht Medienberater von Natascha Kampusch gewesen. Würden Sie sagen, das ist alles gut gelaufen?

 

Ecker: Bevor ich zum Beraterteam stieß, hätte ich gesagt, ich würde es lieber mit den „A-Medien“ machen. Mit meinem Wissen von heute würde ich sagen, es war sehr richtig, dass wir es so gemacht haben. Hätten wir sie abgeschottet, dann hätte das die gegenteilige Wirkung gehabt. Sie wäre die Paparazzi nicht mehr losgeworden.

 

Die gleiche Wirkung hätte es doch gehabt, wenn Sie Qualitätsmedien ausgewählt hätten.

 

Ecker: Nein. Es gab ungeheure Risiken, dass sich ein Bild durchsetzt – zum Nachteil von Frau Kampusch. Erstens, dass das Bild entsteht, sie mag ihre Mutter nicht. Das klang ja schon an. Und zweitens die Spekulationen über ihr Verhältnis mit ihrem Entführer. Da musste persönlich in die internationalen Meinungsbildungsprozesse interveniert werden, vor allem über das ORF-Interview. Außerdem habe ich übrigens in den letzten Tagen einige Gelegenheit gehabt, die intellektuelle Doppelmoral der Qualitätsmedien zu studieren.

 

Beispielsweise?

 

Ecker: Ich finde es gar nicht so toll, wenn in internationalen A-Medien fünf in der Sache ahnungslose Psychologen Phantasien über Intimitäten von Frau Kampusch mit ihrem Entführer anstellen, wissenschaftlich verbrämt mit der Vokabel „Stockholm-Syndrom“. Und daneben steht ein Kommentar, der den Boulevard geißelt. Deswegen war mein Ratschlag, wir gehen gleich in die Boulevardmedien und versuchen diese direkt zu beeinflussen. Wenn wir uns anders entschieden hätten, wäre möglicherweise noch ein Problem entstanden: dann hätte es vielleicht geheißen: ‚Die Kampusch ist präpotent, die redet nicht mit Massenmedien.’

 

Wie ist das eigentlich, wenn die Meute rennt und man sieht, sie rennt auf einen zu? Gibt es in solchen Fällen drei, vier Prinzipien, die man lehrbuchhaft beachten muss, um den Tiger zu reiten?

 

Ecker: Für etwas in dieser Dimension gibt es, ehrlich gesagt, keine Lehrbuchfälle. Wir waren mit einem Hype konfrontiert, der sich innerhalb weniger Tage global aufgebaut hat. Wichtig ist zunächst die Zusammenarbeit mit guten Psychologen. Man muss sich sehr viel Gedanken darüber machen, welche Rückwirkungen die Berichterstattung auf die Betroffene hat. Zweitens: Man kann den Tiger nicht reiten, man kann nur so gut wie möglich Schaden abwenden. Drittens: Man kann die Berichterstattung am besten steuern, wenn man ein Überraschungsmoment hat. Das war in diesem Fall die starke intellektuelle Eloquenz von Frau Kampusch. Man bewegt sich in solchen Fällen in den Kategorien der Soap Opera. Es ist ja nicht nur die Frage: Was macht der Boulevard daraus? Sondern auch: Wie reagieren die Leute darauf? Und viertens: Das war natürlich ein journalistischer Grenzfall. Normalerweise gibt es das nicht, dass man die Fragen vorher durchgeht und auch noch die Endabnahme kontrolliert. Aber all das waren nur die Mittel, nicht der Zweck.

 

Was war das Ziel?

 

Ecker: Das Wichtigste war, dass der Mediendruck aufhört. Wir wussten doch, dass Natascha Kampusch bald rauskommt aus der geschützten Welt. In zwei, drei Wochen ist sie in der freien Wildbahn. Wir mussten so agieren, dass bis dahin die Meute weg ist. Das vorzubereiten, war das zentrale Ziel.

 

Gleichzeitig hatten Sie natürlich eine extrem gute Verhandlungsposition: Ein Interview, das wirklich alle haben wollten und bei dem man voraussetzen konnte, dass auch die involvierten Journalisten ihr normales menschliches Gefühl für Anstand und Diskretion nicht gänzlich abschalten.

 

Ecker: Richtig, das war eben auch eine Riesenchance, im Sinne von Natascha Kampusch steuernd einzugreifen. Diese Möglichkeit hat man in normalen Fällen so ja nicht. Wir kommen nicht darum herum, eines zu begreifen: die internationale Medienwelt ist ein Handel mit Emotionen. Und hier kann man sich immens schnell Beschädigungen einhandeln. Deswegen auch die Sache mit der Foundation. Das traf sich mit den Wünschen von Frau Kampusch, hat aber auch viel Druck von anderen Diskussionen genommen…

 

Von dem möglichen Gemurmel, dass sie jetzt ihr Martyrium versilbert?

 

Ecker: Man soll die Nachsicht der Leute, selbst mit jemandem, der etwas durchgemacht hat wie Natascha Kampusch, nie überschätzten. Das Mitleid kann schnell in Neid kippen. Um beim Bild des Tigers zu bleiben: Es gibt den internationalen Medientiger. Und es gibt den Tiger der globalen Massenemotionen. Andererseits wussten wir natürlich, dass Frau Kampusch nicht morgen schon völlig gesund sein wird und sie wird auch nicht so schnell alles nachholen, was ihr entgangen ist. Das wird Jahre brauchen, bis sie ein normales Leben führen kann. Dafür braucht sie ökonomische Rahmenbedingungen, um so weit zu kommen.

 

Stimmt es, dass Natascha Kampusch Botin oder Redaktionsassistentin bei der „Krone“ werden soll, wie der „Spiegel“ schreibt?

 

Ecker: Nein, die Krone hat nur die Möglichkeit angeboten, wann immer Frau Kampusch will, kann sie eine Ausbildung oder einen Job haben. Das finde ich sehr korrekt.

 

Wie weit kann man in so einen Fall die Geschichten steuern? Die Fragen wurden approbiert. Auch jeder redaktionelle Text?

 

Ecker: Naja, nicht jede Einleitung, nicht jeder redaktionelle Vorspann. Aber alles was Frau Kampusch gesagt hat und das Gespräch betraf. Da wurde, wenn nötig, jeder Satz korrigiert. Darüber hinaus gab es eine Vereinbarung, dass alles was erscheint die Würde und die besondere Lage von Frau Kampusch berücksichtigt.

 

Klingt gefährlich unpräzise, wenn man sich mit dem Boulevard einlässt…

 

Ecker: Wenn man sich die Ergebnisse ansieht, dann muss man sagen, dass das „Krone“ und „News“ hochanständig gemacht haben. Ich bin mir nicht so sicher, ob das so gewesen wäre, wenn wir uns für Qualitätsmedien entschieden hätten.

 

Das heißt, nur wenn man in so einen Fall offensiv in den Boulevard geht, hat man die Möglichkeit, ihn zu zivilisieren?

 

Ecker: Sagen wir so: die gleichzeitige Steuerung und Befriedigung des Informationsbedürfnisses ist nur über breite Massenmedien möglich. Durch die anständige Behandlung dieses Themas durch „Krone“ und „News“ ist ein Rahmen gesetzt.

 

Dass die „Krone“ heute meist „Natascha Kampusch“ titelt, und nicht wie üblich in solchen Fällen verniedlichend „Natascha“, ist das auch vertraglich geregelt?

 

Ecker: Es war die Voraussetzung für die Kooperation, dass man diese junge Frau mit Würde behandelt. Mit allen Implikationen von Würde. Das ist ein Resultat davon.

 

Wie genau sahen die Vereinbarungen aus?

 

Ecker: Ich hatte von den Psychologen das Plazet für drei Interviews innerhalb von drei Tagen. Damit musste ich einerseits das Weltinteresse so befriedigen, dass der Mediendruck weg ist und außerdem die ökonomische Grundlage von Frau Kampusch sichern. Und ich brauchte dahinter stehende Konzerne, die die internationale Verwertung überhaupt organisieren können. Das schaffte der ORF im elektronischen Bereich. Und das schaffte die WAZ für die Printinterviews. All das musste innerhalb eines halben Tages stattfinden. Das ist auch eine logistische Herausforderung.

 

Dass „Österreich“ einfach das TV-Interview nachdruckte, war aber schon ein starkes Stück.

 

Ecker: Das ist jetzt Sache der Medienanwälte. Ich denke, man sollte da keinen nachträglichen Krieg losbrechen. Der Medienberater hat verständlicherweise sowieso kein so großes Problem damit, wenn eine große Zeitung ein Interview genau so nachdruckt, wie es autorisiert ist.

 

Dass die medienrechtlichen Aspekte von Gabriel Lansky vertreten werden, zu dessen Mandantenkreis auch involvierte Unternehmen zählen, ist kein Fall von Unvereinbarkeit?

 

Ecker: Ich bin dafür nicht verantwortlich, habe mit dieser Lösung aber kein Problem. Die Klage gegen „News“ führt ein anderer Anwalt. Klar, es ist optisch unschön. Aber faktisch ist es kein Problem, wir können alle professionell arbeiten.

 

Wie stark ausgeprägt ist das erstaunliche Medienbewusstsein von Frau Kampusch wirklich?

 

Ecker: Wenn Du acht Jahre in einem solchen Loch bist und die Medien sind Dein einziger Kontakt zur Außenwelt, dann schärft das das Medienbewusstsein. Natascha Kampusch hat ein starkes Sensorium für Gefährdungen. Sie hat eine starke Persönlichkeit, geschärft durch den Überlebenswillen der letzten Jahre und diese Energie hat sie auch bei den Interviews angewandt. Dahinter ist natürlich extrem viel Leid.

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