Ich bin ein Original! Begehrt mich!

Der Originalbegriff erlaubt uns zu sagen: „Dieses Kunstwerk habe nur ich.“ Er ist also ein Kapital-Begriff, kein Kunstbegriff. Ein Original-Interview mit Peter Weibel. Standard, Album, Februar 2002

 

 

Hat der Begriff des Originals heute noch irgendeine Signifikanz?

 

Weibel: Der Begriff Original ist an den Begriff des Kapitals gebunden. Dass es nichts gibt, was mit etwas anderem völlig identisch ist, wissen wir seit Leibnitz. Kein Blatt gleicht dem anderen. Es hat also mit den Imperativen des Kunsthandels zu tun, dass überhaupt das Bedürfnis entsteht, zu sagen: „Das ist das Original. Dieses Kunstwerk ist nur hier und jetzt vorhanden.“ Der Originalbegriff hat also nur Sinn im Kontext des Eigentumsbegriffs des bürgerlichen Gesetzbuches. Dennoch ist der Originalbegriff aktueller denn je: Man nimmt weite Reisen auf sich, um einen originalen Rembrandt zu sehen, man pilgert nach Paris, um die „echte“ Mona Lisa zu sehen. Es ist wie mit den Satz „Gott ist tot“. Oft wiederholt – und das Problem blieb doch. So ist es mit dem Originalbegriff. Philosophisch ist die Frage belanglos. Wenn ich Musik kopiere, wird es auch immer eine kleine Differenz geben, die Kopie nie dem Ausgangsprodukt gleichen. Aber es gibt politische und ökonomische Gründe, die Frage nach dem Original virulent zu halten.

 

Sie haben interessanterweise nur Beispiele gebracht, für die die alte Vorstellung gilt, die Vorstellung der handwerklichen Erzeugung eines künstlerischen Produkts, das dann nur einmal, hier und jetzt, existiert – und keine Beispiele, der die technische Reproduktion schon eingeschrieben haben.

 

Weibel: Die technische Reproduzierbarkeit macht den Begriff des Originals belanglos. Aber es gibt eben Bewegungen des Marktes, die darauf reagieren. Man macht ein Foto, hat ein Negativ, und könnte hundert Abzüge machen, man macht aber nur einen oder wenige – um das Unikat zu retten. Technisch und künstlerisch gibt es dafür gar keinen Grund. Das gleiche gilt für Videobänder. Man hat dann Ausstellungen, da gibt es Podeste, auf denen steht ein Fernseher, es läuft ein Video – von dem existiert nur dieses eine Band. Nichts spricht dagegen, tausende Exemplare dieses Videos herzustellen. Das ist im Grunde der Versuch, Industrieproduktionen in Handwerksproduktionen zurückzudrehen. Das ist Etikettenschwindel.

 

Sie haben das Wort Aura genannt. Dass man sich über den Begriff des Originals überhaupt Gedanken macht, ist doch ein Symptom dafür, dass es ein ewiges Streben nach Aura gibt. Früher gab es die Aura des einzigartigen Objekts, das nur hier und jetzt präsent ist. Verschiebt sich die Aura nicht auf das Künstersubjekt, das technisch reproduzierten Produkten gewissermaßen Aura verleiht?

 

Weibel: Das Wort Verschiebung ist symptomatisch  – das ist ja ein Wort aus der Psychoanalyse. Das menschliche Begehren nach Aufmerksamkeit, Besonderheit wird verschoben. Es geht in der Konsumkultur um Distinktionsgewinne. Deswegen der Originalbegriff als Krücke, um sagen zu können: Nur ich habe dieses Werk. Diese Verschiebung geht in diese Richtung: „Ich habe hier eine Lampe. Diese Lampe ist von Zaha Hadid. Die habe nur ich.“ Entscheidend ist weniger die Lampe, mehr Zaha Hadid.

 

Die Lampe muss nicht einmal einzigartig sein: Auch wenn sie hunderttausendfach existiert, funktioniert sie als Differenzgut, solange sie von Zaha Hadid ist.

 

Weibel: Die Aura Zaha Hadids umgibt dann uns. Das interessante ist: Die Konsumkultur hat die Aura nicht zerstört, die Aura ist in die Konsumkultur eingewandert. Es ist geradezu paradox: Es gibt die Reproduktion des Auratischen.

 

Das Kunstobjekt wird zur Ware, aber auch die Ware wird zur Kulturware. Was unterscheidet denn die Zaha-Hadid-Lampe von Nike-Turnschuhen, die ja auch Differenzgüter sind, dafür da, mich von anderen zu unterscheiden?

 

Weibel: Das ist der Preis, den man für diese Verschiebung bezahlt: Wenn Konsumartikel auratisch aufgeladen werden, werden sie selten. Ja, dann kommen Künstler erst auf die Idee, Lampen zu machen. Die Unterscheidung von Funktionsobjekt, dem Designobjekt und dem autonomen Kunstobjekt wird aufgehoben. Aber das ist eben keine Bewegung, die das auratische zerstört, sondern eine Bewegung zur Rettung des Auratischen. Aber dafür gibt es einen Preis: Die Unterscheidungen, etwa zwischen Funktionsobjekt und Kunstwerk, werden geschliffen. Das heißt aber auch: Die Kunst wird zerstört.

 

Was bedeutet diese Verschiebung vom Objekt zum Künstlersubjekt eigentlich für die Künstler? Das heißt doch, das Objekt zählt viel weniger, mehr zählt die Idee.

 

Weibel: Da kommt der Begriff „intellectual property“ ins Spiel. Das geistige Eigentum hat bisher nichts gegolten. Die Ideen waren schlecht bezahlt, die Ausführung wurde gut bezahlt. In der Kunst jedenfalls. In der Werbebranche ist da anders. Die wirkliche Welt ist da weiter, die künstlerische Welt ist reaktionär. 

 

Wenn ich die Idee übernehme, mit anderen Ideen kombiniere, sie verforme – bin ich dann ein Dieb, ein Fälscher?

 

Weibel: Ganz und gar nicht. Man muss die Begriffe Kopie, Aneignung, Plagiat demokratischer sehen. Es gibt in der Kunst keine grandiose Originalität. Jeder übernimmt und führt fort: Das ist übrigens nichts Neues, das ist seit Jahrhunderten so. Die sogenannte originelle Neuerung ist immer ein Derivat. Es gibt unzählige Menschen, die zu einer Problemstellung beitragen. Das ist in der Naturwissenschaft so, das ist in der Entwicklung der Kunst nicht anders. Die Kunstgeschichte, die entlang der „großen Künsterpersönlichkeit“ geschrieben ist, ist lächerlich.

 

Der alte Brecht-Satz, er habe ein gelassenes Verhältnis „zu Fragen des geistigen Eigentums“ ist und bleibt ein genialer Satz?

 

Weibel: Die Idee vom Originalgenie ist absurd. Und so schlägt auch der Originalbegriff absurde Volten. In der Fotografie gibt es den Begriff des „Originalabzugs“. Ein seltsames Wort, bei dem man sich fragt, was das sein soll. Das heißt, wenn ich ein Negativ aus dem Jahre 1966 habe und einen Abzug aus dem Jahre 1966, dann ist das ein Originalabzug, wenn ich heute von exakt diesem Negativ einen Abzug mache, ist das kein Originalabzug. Der Originalabzug ist aber viel, viel mehr wert. Absurd! Übrigens ist diese Rückständigkeit vor allem eine Sache der bildenden Kunst, die Musik ist da viel weiter.

 

Inwiefern?

 

Weibel: Hier kennt man seit Jahrzehnten die Cover-Versionen, und das, was die moderne DJ-Kultur macht, gehört hier auch dazu: Es wird verformt, tradiert, übertragen – vorhandenes Material wird permanent umgeformt. Man hat ein entspanntes Verhältnis zum Original.

 

Die schriftstellerische Textproduktion kennt dieses entspannte Verhältnis nicht – da ist das Copy-and-Paste-Prinzip verpönt.

 

Weibel: Und das trotz der Montagetechniken, von denen auch der moderne Roman lebt. Es gibt ganze Studien, die nachweisen, wie Umberto Eco etwa für „Im Namen der Rose“ ausführliche Passagen – bis zu zehn Seiten – von anderen Büchern übernahm. Aber natürlich: Die Literatur ist die Kunstgattung, die sich noch am meisten sperrt gegen die Auflösung des Unikatbegriffes. Wenn jemand etwas abschreibt, gibt es einen Skandal.

 

Oft mit Recht: Ist es nicht schwer, eine Grenze zu ziehen, zwischen dem, was noch als Bearbeitung von Material durchgeht und was einfach der Versuch ist, eine fremde Arbeit als die eigene auszugeben?

 

Weibel: Die Grenzfälle sind aber auch die interessanten Fälle. Wesentlich ist, dass ich das sogenannte Original in etwas anderes verwandle. Überarbeitung heißt immer, Tradition schaffen.

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