„Ich war so naiv“

Eric Kandel, Nobelpreisträger des Jahres 2000, über das Abenteuer Hirnforschung, seine Beziehung zur Meeresschnecke Aplysia, die Aktualität der Psychoanalyse, seine Leidenschaft zur Wissenschaft und das Verhältnis zu seiner Geburtsstadt Wien.

 

 

Ihre Autobiographie ist auch ein literarisches Denkmal für ein Weichtier – die Meeresschnecke Aplysia. An diesem Tier haben Sie ihre wichtigsten wissenschaftlichen Erkenntnisse gemacht. Verbindet Sie mit der Aplysia schon eine regelrechte Freundschaft?

 

Kandel: Oh, das ist eine ganz ernsthafte Beziehung. Aplysia ist ein wirklich bemerkenswertes experimentelles System. Zunächst, weil sie ein sehr einfaches Nervensystem hat. 20.000 Nervenzellen, in kleinen Gruppen gebündelt. Zudem sind die Zellen erstaunlich groß, mit freiem Auge erkennbar, teilweise sogar die Synapsen. Und dann ist es auch noch ein Tier, dessen Verhalten durch Lernen verändert werden kann. Für die wissenschaftliche Forschung ist das ganz großartig.

 

 

Sie haben einmal gesagt, für einen Forscher wäre ein Tier, das nur drei Gene und zehn Nervenzellen besäße, welche alle eine andere Farbe hätten, sodass man sie gut unterscheiden kann, und das gleichzeitig Altgriechisch spricht und Cello spielt, optimal…

 

Kandel: … und ich meine, dass Aplysia diese Kriterien in einem erstaunlichen Maß erfüllt. Die einfache biologische Struktur von Aplysia machte es möglich, die anatomischen Veränderungen zu beobachten, die entstehen, wenn die Meeresschnecke lernt. Später konnte ich dann die molekularen Vorgänge erforschen, die diesen Veränderungen zu Grunde liegen.

 

Wie kann man Erkenntnisse über das Komplexeste überhaupt – unser Gehirn – an einem so simplen Tier gewinnen?

 

Kandel: Es ist ein Leitprinzip der biologischen Forschung, dass Du für jedes Problem, das Du untersuchen willst, die simpelst mögliche Situation wählen sollst, um es zu studieren. Das ist es, was wir den reduktionistischen Ansatz nennen. Man hat die Gene am Beispiel der Fruchtfliege erforscht. Wir haben in der Geschichte der Biologie viel gelernt, indem wir uns intensiv mit den elementarsten Lebewesen beschäftigt haben.

 

Sie und ich, wie ähnlich sind wir der Meeresschnecke?

 

Kandel: Wir sind von ihr unermesslich verschieden – ist doch klar. Aber wir haben Reflexe, die modifiziert werden können – all das können wir an der Meeresschnecke sehr genau studieren.

 

Grundsätzlich ist der biologische Vorgang, wie man lernt und sich das Gelernte merkt, bei der Schnecke und uns Menschen gleich. Wie funktioniert das?

 

Kandel: Unser Gehirn ist durch neuronale Schaltungen, Verbindungen durch Nervenzellen, determiniert. Diese sind durch genetische Prozesse und Entwicklung konstituiert. Aber diese Prozesse bestimmen nicht die Stärke der Verbindungen. Lernen stärkt Verbindungen und verändert die Verbindungen. Die Stärke der Verbindungen entscheidet, ob etwas nur im Kurzzeitgedächnis bleibt oder in das Langzeitgedächtnis gespeichert wird. Dafür ist eine Veränderung in der Genexpression nötig. Umwelteinflüsse schalten Gene gewissermaßen ein oder aus.

 

Das heißt, wenn ich mit Ihnen spreche und mir merke, was Sie sagen, dann verändern Sie die Anatomie meines Gehirns?

 

Kandel: Exakt das ist es, was ich gerade mache.

 

Das klingt bedrohlich.

 

Kandel: Wieso das denn? Seien Sie doch froh! Das zeigt, dass ihr Gehirn gesund ist. Seit es die Menschheit auf diesem Planeten gibt, geht genau das vor sich. Allerdings: Heute verstehen wir, wie es funktioniert.

 

Nicht nur die biologische Anatomie unseres neuronalen Systems determiniert unser Verhalten – unsere Erfahrungen, die Gespräche, die wir führen, die Gedanken, mit denen wir konfrontiert werden, verändern umgekehrt also auch die Anatomie des Gehirns. Stellt das nicht alle simplen naturalistischen Vorstellungen in Frage?

 

Kandel: Das ist ganz wichtig. Viele Leute glauben, die Gene determinieren unser Verhalten. Unsere Arbeit zeigte, dass die Gene auch auf Verhalten reagieren. Die Genfunktion wird durch die Umwelt beeinflusst. Das hat ungeheuerliche Bedeutung für die Humanwissenschaften, hat philosophische Implikationen. In Wien, der Heimatstadt Sigmund Freuds, sollte man das verstehen.

 

Was hat Freud mit den Genen zu tun?

 

Kandel: Freud war der erste, der zeigen wollte, dass man bestimmte Erinnerungen bearbeiten kann, ihre Bedeutung verringern kann, indem man mit Menschen spricht. Als Biologe würde ich argumentieren, dass das Sprechen zu Veränderungen im Gehirn führen muss, wenn Freuds Behauptung richtig ist. Dann sollte es auch möglich sein, das Gehirn vor einer Psychoanalyse oder Psychotherapie zu photographieren – und danach. Dann könnte man feststellen, was sich verändert hat. Und genau das beginnen Mediziner gerade.

 

Die Erkenntnisse der modernen Gehirnforschung können es also ermöglichen, dass die Psychoanalyse eine exakte Wissenschaft wird, dass man die Korrektheit ihrer Postulate regelrecht messen kann?

 

Kandel: Mehr noch: Die Zukunft der Psychoanalyse liegt darin, sich mit der Biologie zusammen zu tun.

 

Sie sind selbst ja ein verhinderter Psychoanalytiker. Das Interesse an der Psychoanalyse hat Sie zur Gehirnforschung gebracht. Wie kam das?

 

Kandel: Als ich als angehender Mediziner zu einem Praktikum in das Labor des großen Neurologen Harry Grundfest kam, sagte ich ihm, ich möchte Neurologe werden, weil ich das Ich, das Über-Ich und das Es finden wolle.

 

Haben Sie das wirklich ernst gemeint?

 

Kandel: Absolut. Ich war so naiv!

 

Und dann haben Sie mit dem Über-Ich der Aplysia begonnen!

 

Kandel: Ja, so könnte man es sagen.

 

Sechzig Jahre später haben Sie – und ihre Kollegen – bewiesen, dass Freud recht hat?

 

Kandel: Die Biologie soll feststellen, wie die Dinge funktionieren. Dann wird man im Detail sagen können: Das ist richtig, das ist falsch. Freud hat eine solche Fülle von Ideen geliefert. Er war wirklich ein Gigant. Nehmen wir nur seine Einsicht in die Bedeutung unbewusster Prozesse.

 

Entspricht die Unterscheidung von explizitem und implizitem Gedächtnis, die sie machten und deren Funktionsweise sie nachwiesen, der Differenz von bewussten und unbewussten Prozessen bei Freud?

 

Kandel: Natürlich. Freuds Unbewusstes ist eine weitgefasste Kategorie, aber das implizite Gedächtnis nimmt sicherlich einen wesentlichen Platz darin ein. Wenn wir beide mit einander sprechen, dann setzen wir die Verben automatisch an die richtige Stelle…

 

…hoffentlich…

 

Kandel: Jedenfalls ist dies etwas, was keine bewussten Prozesse voraussetzt. Es ist eine Routinehandlung. Wenn wir Fahrrad fahren, ist die richtige Betätigung der Pedale eine Routinehandlung. Ein Großteil unserer Handlungen beruht auf solchem impliziten Wissen. Wir wissen heute auch, dass die expliziten und die impliziten Erinnerungen in unterschiedlichen Teilen des Gehirns gespeichert werden.

 

In der Psychoanalyse ist, etwas vereinfacht gesagt, das Unbewusste der Ort, wo die Probleme sitzen – für Sie sind die impliziten Erinnerungen etwas, ohne die wir praktisch nicht vernünftig existieren könnten. Ist das nicht eine wichtige Differenz?

 

Kandel: Wir würden ohne das implizite Gedächtnis an den einfachsten Routinehandlungen scheitern. Aber natürlich ist es auch der Ort, an dem Konflikte ausgetragen werden, wo Repression passiert, wo wir Druck ausgesetzt sind.

 

Wie weit ist denn die Gehirnforschung heute wirklich? Wir wissen doch nicht einmal, wie komplexe Sinnenswahrnehmungen zu einem kohärenten Bild zusammen gefügt werden – geschweige denn, dass wir sagen könnten, wie ,Bewußtsein’ funktioniert.

 

Kandel: Wenn man bedenkt, wo wir 1950 standen, haben wir fantastisch viel erreicht. Bedenkt man, was wir nicht wissen, dann haben wir noch sehr, sehr viel vor uns. In der Medizin verstehen wir Depressionen nicht, wir verstehen die Schizophrenie nicht. Das heißt nicht, dass man sie nicht behandeln kann, aber wir verstehen nicht, woher sie kommen.

 

Dennoch gibt es heftige Debatten, ob die Gehirnforschung nicht unser Menschenbild verändert. Ist der ,freie Wille’ nur eine Illusion?

 

Kandel: Ich sehe eigentlich das Problem nicht. Alles ist Biologie. Der freie Wille ist ebenfalls Biologie. Ich kann von diesem Stuhl aufstehen und raus gehen. Natürlich beruht das auf Biologie, aber doch bin ich es, der entscheidet, ob er geht.

 

Es gibt doch das berühmte Libet-Experiment. Das suggeriert: Bevor Sie sich bewusst und frei entscheiden, baut sich in neuronalen Schaltkreisen ein Aktionspotential auf. Ihr Gehirn beginnt mit dem Aufstehen, bevor sie sich dafür entscheiden. Nicht Sie entscheiden, Ihr mentaler Apparat entscheidet.

 

Kandel: Aber mein mentaler Apparat, das ist doch ,Ich’! Auch mein Herz ist ,Ich’. Gut, es ist auch eine Pumpe, aber es ist auch ,Ich’. Den Menschen fällt es schwer zu verstehen, dass alle mentalen Prozesse aus einem Organ kommen, dem Gehirn. Was Libet zeigte, ist: Es gibt Prozesse im Gehirn vor unserer bewussten Entscheidung. Das heißt aber nicht, dass wir das Resultat dieser Prozesse nicht kontrollieren.

 

Dann ist die Debatte über den freien Willen also doch eine sinnlose Debatte?

 

Kandel: Wenn ich Ihnen jetzt einen Faustschlag versetze, kann ich mich doch nicht darauf hinaus reden, dass mein Gehirn das getan hat. Das ist doch absurd.

 

Warum dann diese Aufregung? Ist es, um Freud zu paraphrasieren, eine narzistische Kränkung, dass wir ,nur’ Materie sind?

 

Kandel: Wenn wir das akzeptieren, ist klar: Es gibt keine Seele. Beim Körper haben die Menschen das Problem nicht mehr. Wenn ich sage, das Herz ist eine Pumpe, sagen die Leute: Klar. Wenn man ihnen sagt, ihr Gehirn ist ein komplexer Mechanismus, der alle Gedanken und Gefühle produziert, sind sie geschockt.

 

Fühlt sich nicht auch die Geisteswissenschaft angegriffen?

 

Kandel: Es gibt die Meinung, dass, wenn wir eine biologische Auffassung vom Menschen haben, diese nicht mehr als moralische Subjekte funktionieren. Leider hat das zwanzigste Jahrhundert gezeigt, dass eine philosophische Auffassung vom Menschen nicht garantiert, dass dieser als moralisches Subjekt funktioniert. Heute wissen wir, wie die biologischen Prozesse ablaufen, die auch Moral, das Über-Ich, konstituieren.

 

Wie weit entfernt sind wir denn eigentlich davon, Krankheiten wie Alzheimer heilen zu können?

 

Kandel: Gerade jetzt gibt es neue Versuche, Alzheimer und die altersbedingte Erinnerungsschwäche – was nicht das gleiche ist, aber sich im Anfangsstadium exakt gleich äußert – zu heilen. In ein paar Jahren wird es Medikamente geben.

 

Was ist zu erwarten?

 

Kandel: Wir werden die altersbedingte Erinnerungsschwäche bis zu einen hohen Grad ausschalten können. Mit Alzheimer werden wir gute Chancen haben, die Krankheit bekämpfen zu können, wenn man sie im Anfangsstadium therapiert.

 

Sie haben mit Memory Pharmaceutical eine eigene Firma, die in diese Forschung involviert ist, die mehrere hundert Millionen Dollar wert ist. Ist das nicht ein Kultursprung, vom Forscher zum Unternehmer?

 

Kandel: In Amerika haben die meisten Forscher Kontakt mit Unternehmen. Wir forschen, um Medikamente zu entwickeln. Aber ich führe das Unternehmen nicht. Ich bin nicht der CEO, ich bin, was man einen Key Adviser nennt. Schlussendlich, was macht das Unternehmen? Es forscht. Es ist also nicht so ein Kultursprung. Aber eines ist aufregend: Ich erforsche nicht mehr nur an der Aplysia, wie das Gedächtnis funktioniert, sondern arbeite daran mit, dass aus diesen Erkenntnissen Medikamente werden, die Menschen helfen.

 

Sie stehen selbst noch im Labor?

 

Kandel: Aber klar! Ich bin 76 Jahre alt und ich kann arbeiten, solange ich will. Niemand kann mich in die Rente schicken. Das ist der Unterschied zwischen Europa und USA. In Europa werden Forscher, die noch aktiv sein wollen, in die Pension verabschiedet. Das ist deprimierend.

 

Sie wirken so jugendlich – ist das die Leidenschaft für die Wissenschaft?

 

Kandel: Sicher, ich habe solch ein Glück! Ich habe einen wunderbaren Forschungsgegenstand gewählt, der auf der einen Seite beherrschbar ist, auf der anderen nicht so bald endgültig gelöst. Das hält mich frisch.

 

Demnächst kommen Sie wieder nach Wien – die Stadt, aus der man Sie vertrieben hat, als Sie neun Jahre waren.

 

Kandel: Dennoch habe ich eine Liebe zu der Stadt. Ich liebe diese Kultur, die Juden und Nichtjuden in Wien im 19. Jahrhundert geschaffen haben. Ich liebe Otto Wagner, ich sammle Klimt, Schiele, Kokoschka, ich mag Mahler. Dieser schreckliche Antisemitismus, der immer da war, der unter Hitler explodierte und dessen Bodensatz auch heute nicht übersehen werden kann, der bedrückt mich natürlich.

 

Zur Person:

 

Eric Kandel, 76

wurde in Wien geboren. Seine Eltern, Wiener Juden, hatten ein kleines Spielwarengeschäft. Nach dem Anschluss wurden sie 1939 in die Emigration gezwungen. Kandel machte in den USA Karriere als Neurophysiologe, er ist Professor an der Columbia University. Im Jahr 2000 erhielt er den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.

 

 

 

Geist ist Natur

Die Autobiographie Eric Kandels ist auch eine Einführung in das Abenteuer der Neurowissenschaften.

 

Was wäre die geistesgeschichtliche Tradition ohne das Vorurteil, Geist und Natur stünden sich gegenüber, wenn schon nicht als Antipoden, so doch als getrennte Welten? Die Hirnforschung hat dieses Theorem längst durch das Postulat ersetzt: Geist ist Natur. Fühlen, Denken, Erinnerungen, Meinungen und Macken – nichts als biochemische Vorgänge in neuronalen Schaltkreisen. Ein Artikel wie dieser – Produkt neuronal determinierter Abläufe. Beim Autor. Und beim Leser.

 

Wer etwas lernt – etwa, einen Satz in Erinnerung behält –, bei dem werden zusätzliche synaptische Verbindungen zwischen Gehirnzellen gelegt. Im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden Erinnerungen, wenn der Kern dieser Gehirnzellen ein Protein produziert, welches diese synaptischen Verbindungen überdauern lässt. Kurzum: Wer etwas im Gedächtnis behält, dessen Gehirnanatomie wird verändert.

 

Als Eric Kandel sich vor rund 50 Jahren entschloss, doch nicht Psychoanalytiker, sondern Hirnforscher zu werden, war das menschliche Gehirn noch weitgehend eine Black Box. In diesen 50 Jahren hat Kandel dieser manche ihrer Geheimnisse entlockt. Wie Erinnerungen funktionieren geht auf seine bahnbrechenden Entdeckungen zurück. Dafür erhielt Kandel, als Kind Wiener Juden geboren, 1939 von den Nazis vertrieben, in den USA zu Ruhm gekommen, im Jahr 2000 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie. Jetzt ist Eric Kandel wieder in Europa, um seine Lebenserinnerungen vorzustellen. „Auf der Suche nach dem Gedächnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes.“

 

Kandel beschreibt, wie er selbst, aufgewachsen im psychoanalytisch begeisterten Umfeld seiner Eltern, sich für die Neurophysiologie entscheidet – weil er wissen wollte, wo das Ich, das Über-Ich, das Es säßen. Tatsächlich hat Kandel bis heute dem psychoanalytischen Denken eine gewisse Treue gehalten – das Interesse für unbewusste mentale Vorgänge, die Dezentriertheit der mentalen Apparatur, die ohne „Kommandohöhe“ funktioniert, verbinden die Neurowissenschaft mit der Psychoanalyse. Doch Kandel beschreibt mehr als seinen eigenen Weg in die Biologie. Er beschreibt hundert Jahre Gehirnforschung – als intellektuellen Krimi. Heute wissen wir – auch dank Kandel – wie die Kommunikation zwischen Zellen verläuft, wo Informationen im Gehirn verarbeitet und wie sie gespeichert werden; wo das explizite Gedächtnis sitzt – also das, welches dem Bewusstsein zugänglich ist -, wo das implizite, das für Routinehandlungen zuständig ist. Wir wissen auch, dass es im Hirn keine „Schaltzentrale“ gibt, in der die eingegangenen Informationen zusammengefügt werden – die Verarbeitung unterschiedlich lokalisierter Informationen zu einer kohärenten Wahrnehmung erfolgt eher in Form eines dezentralen Netzwerkes, das spärliche neuronale Signale zu einem Muster, einem bedeutungsvollen Bild zusammenfügt.

 

Als Forscher, der sich auf das Gedächtnis spezialisierte, hat Kandel nachgewiesen, dass geistige Vorgänge biologische Veränderungen produzieren: dass Lernen neuronale Schaltkreise verändert – und zwar, indem es die Genfunktion beeinflusst. Auch die Gene sind also nichts Fixes, sondern von Umwelteinflüssen gesteuert.

 

Kandel beschreibt das in seinen Lebenserinnerungen so amüsant, wie das bei dem Thema möglich ist. Er lässt die Leser teilhaben an seiner nun schon jahrzehntelangen Freundschaft mit der Meeresschnecke Aplysia, an deren einfachen neuronalen Strukturen er wichtige Erkenntnisse gewann; und auch ein wenig an den Macken in der Scientific Community mit ihrem manchmal bubenhaften Wissendrang. Freilich: Lockeres Geplauder ist nicht der Generaltron, auf den diese Autobiographie gestimmt ist. Kandel geht hart an die Grenzen dessen, was ein interessierter Laie verstehen kann.

 

Er belohnt die Mühe mit etwas mehr verständigem Staunen über die Maschine Hirn, die durch einige Millionen zarter sensorischer Nervenfasern mit der Welt „dort draußen“ verbunden ist, dieses wunderliche Organ, das über sich selbst nachdenken kann – und sich dabei auch noch verändert.

 

Robert Misik

 

Eric Kandel: Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes. Siedler Verlag, berlin 2006, 450 Seiten, 25,70 €

 

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