Künstler sollst Du sein!

Der Künstler, einst das Antimodell zum Wirtschaftsbürger, ist heute Leitfigur für Unternehmer, Angestellte und Neue Selbstständige: als Kreativer, der auf eigene Rechnung arbeitet. Zwei neue Bücher analysieren das Phänomen aus unterschiedlicher Blickrichtung

Es ist nicht so lange her, da galt der Künstler als der Gegenentwurf zum Geschäftsmann. Die Künstlerexistenz mit ihrem Hang zu Exzess, intensiven Erlebnissen und Grenzgängertum wurde als Antithese zur kalten Rationalität des Wirtschaftslebens verstanden, zum berechnenden Krämergeist des Bourgeois. Für die Kunstreligion eines Friedrich Nietzsche, Hugo von Hofmannsthal oder Stefan George und deren Ekel vor der „ökonomischen Klasse“ gilt dies ebenso wie für alle Spielarten der Avantgarde, mögen sie auf so schöne Namen wie Futurismus, Dadaismus, Situationismus gehört haben: Wenn sie versprachen oder forderten, die Kunst müsse „ins Leben eindringen“, dann war das als Angriff auf das Diktat des Ökonomischen, auf die fade Rationalität der verwalteten Welt gemeint. Das Versprechen auf Kreativität, Intensität, Risiko, kurzum: Leben, galt seit jeher als Programm gegen die Entfremdung des Wirtschaftslebens. Der Bohemien war das Antimodell zum gewinnorientierten Wirtschaftsbürger.

 

So gesehen ist es durchaus erstaunlich, dass der Künstler heute als Exempel für das moderne Wirtschaftssubjekt präsentiert wird. Die zeitgenössischen Managementdiskurse, die die Selbstverwirklichung im Job hochhalten, können so als paradoxe Verwirklichung der alten avantgardistischen Utopie gedeutet werden. Deren Protagonist: der Kreative, ganz Unternehmer seiner selbst, der immer schon auf eigene Rechnung arbeitet; der sich und seine Subjektivität einbringt, mit Haut und Haar, damit Neues entstehe; der Unternehmer als Schöpfer. Künstler und Unternehmer sind aus solcher Perspektive Zauberer, in deren Hand sich noch Scheiße in Gold verwandelt. Aus der Avantgardeparole von der Einheit von Kunst und Leben wird die Einheit von Kunst und Wirtschaftsleben. Aber nicht nur das heutige Ideal des Wirtschaftssubjektes ist am alten Künstlerideal modelliert, das „Kulturelle“ im weitesten Sinne zieht immer weitere ökonomische Kreise. Da ist von der „Kulturwirtschaft“ die Rede, von den „Creativ Industries“, von den „Creative Classes“ – zu denen Sänger und Werbetexter, Romanciers und TV-Moderatoren, Poeten und Popsternchen, Weltstars und Austrokokser, Webdesigner, Universitätsprofessoren, Kulturmanager, Innenarchitekten  und viele mehr gehören.

 

Gewiss kann man fragen, was der Begriff „Kulturwirtschaft“ noch bedeuten soll, wenn darunter die Women-Redakteurin genauso fällt wie Reinhard Fendrich oder der Werbefuzzi. Gewiss auch wird es bei mancher Ausstellung immer schwieriger, auseinander zu halten: Ist’s Marketing? Oder ist’s Kunst? Manche Berichte auf den Kulturseiten der Zeitungen wären im Wirtschaftsteil mindestens genauso gut aufgehoben. Und mancher Finanzminister erscheint am ersten Blick wie ein Entertainer. Aber gerade diese zunehmende Ununterscheidbarkeit von Kunst und Kommerz macht die Sache auch interessant.

 

Da kommen zwei Bücher, dieser Tage erschienen, gerade recht. Der französische Soziologe Pierre-Michel Menger analysiert die frappierende Wandlung des Bildes vom rebellischen und subversiven Künstler hin zum „schöpferischen Menschen“ als einer „modellhaften Figur des neuen Arbeitnehmers“. Menger: „Durch eine gewisse innere Verwandtschaft gelten die Künstler zusammen mit den Wissenschaftlern und den Ingenieuren als der harte Kern einer ‚kreativen Klasse’ bzw. als eine fortgeschrittene gesellschaftliche Gruppierung, als ‚Experten symbolischer Kommunikation’, als eine Avantgarde zur Erneuerung des hoch qualifizierten Beschäftigungssektors. Metaphorisch“, so Menger, „werden die zentralen Werte der Künstlerkompetenz – Fantasie, Spiel, Improvisation, atypisches Verhalten und sogar kreative Anarchie – regelmäßig auch auf andere Produktionsbereiche übertragen. Zudem ist die Kunst, man denke an Tourismus, Kulturmanagment, Werbung, Kunstmessen, Popindustrie etc. „selbst mittlerweile ein bedeutender Wirtschaftssektor und als solcher Teil der Ökonomie“.

 

Kurzum, so Menger: „Die aus dem 19. Jahrhundert ererbte Vorstellung, die den Idealismus und die Selbstaufopferung des Künstlers gegen den berechnenden Materialismus und die Arbeitswelt ausspielten und der Figur des originellen, provozierenden und rebellischen Künstlers die Gestalt des konformistischen und spießbürgerlichen Bourgeois entgegenhielten, hat ausgedient.“

 

Menger analysiert es mit Staunen, mit Spaß auch an der kurisosen Volte und doch kritisch reserviert. Ganz anders dagegen Adrienne Goehler, die einstige Berliner Kultursenatorin und vielbeschäftigte Kulturfunktionärin. Der Bedeutungszuwachs der Kultur werde von der Politik noch nicht ausreichend begriffen, klagt Goehler, sonst würde sie deren Ressourcen besser nutzen, um die Gesellschaft zu einer „Kulturgesellschaft“ umzubauen: „Von einem lenkenden Staat zu einer denkenden und tätigen Gesellschaft.“

 

Was das sein soll, sagt sie zwar nicht genau, aber man kann es sich diffus etwa so vorstellen: Im Ausprobieren und Nutzen, was funktioniert (sowie: bleiben lassen, was nicht funktioniert), seien die Kulturkreativen ja perfekt spezialisiert – und genau das ist es, was moderne Gesellschaften brauchen, um funktionstüchtig zu bleiben. Mag man Goehlers Euphorie auch ein wenig übertrieben finden, so sind ihre Motive gewiss ehrenwert (sie fordert mehr Ressourcen für die Künste), und die von ihr präsentierten Indikatoren für die nationalökonomische Bedeutung der Kreativwirtschaft durchaus imposant: Die Kulturberufe stellen in der BRD mehr Arbeitsplätze als die traditionell zentrale Automobilindustrie, die jährliche Wertschöpfung liegt bei 30 Milliarden Euro – ist also mit dem gesamten Energiesektor vergleichbar.

 

In den USA werden den „Cultural Creatives“ bei einer Gesamteinwohnerzahl von 300 Millionen Menschen rund 50 Millionen Menschen zugerechnet – in etwa die Einwohnerzahl Frankreichs. Stellt man diese große Zahl in Rechnung sowie den Umstand, dass „Soft Skills“, „kulturelle Kompetenzen“ und Ähnliches in der Wissensgesellschaft von entscheidender Bedeutung werden, so ist es kein Wunder, wenn sich die „Kreativwirtschaft“ als Leitbranche durchsetzt. Und somit Werte wie Kreativität, Autonomie, Selbstverwirklichung – früher Vokabel des Rebellischen – zu Leittugenden im Wirtschaftsleben werden, auch weit über die Grenzen der Kreativbranchen hinaus.

 

Für Adrienne Goehler sind die Kulturkreativen die Avantgarde, und wenn es da und dort noch knirscht, dann deshalb, weil die verknöcherten Sektoren – voran die Politik – mit der Kultur der „Verflüssigungen“ nicht mithalten. Freiberuflertum, Flexibilität und Autonomie werden mit Unsicherheit bestraft, weil die klassischen Sozialsysteme noch immer auf die allgemeine Lohnarbeitsgesellschaft zugeschnitten und auf riskantere Lebensformen nicht eingestellt sind. Pierre-Michel Menger dagegen fragt sich, ob die Aushebelung kollektiver Sicherheitssysteme nicht gerade das Ziel der Propagierung des Künstlerhabitus ist. Künstlertugenden wie Individualität und Unverwechselbarkeit der Persönlichkeit vertragen sich schlecht mit Gleichheitskulturen. Gerade die Welt von Kunst, Theater, Film, Pop ist ja jener gesellschaftliche Bereich, in dem Erfolgs- und Gehaltsungleichheiten nicht nur akzeptiert sind, sondern auch große Faszination ausüben und ostentativ zur Schau gestellt werden. Es ist die Welt der Celebrities. Wie der Sport ist auch die Kunst ein „The-Winner-Takes-It-All“-Markt. Soll heißen: Es gibt ein paar Spitzenverdiener, während die meisten nahezu leer ausgehen. Im Sport entscheiden in der Regel Hundertstelsekunden und geringe Vorteile über mehrere Millionen Euro Einkommen, in der Kulturwelt bisweilen noch mysteriösere Kriterien.

 

Der Hauptpreis freilich ist die Ausnahme, der Regelfall sind die „Intellos précaires“, wie die Franzosen sagen. „Ich-Unternehmertum, free-lancing und die sonstigen atypischen Beschäftigungsarten sind die vorherrschenden Formen der Arbeitsorganisation im Bereich der Kunst“ (Menger) und machten sich über deren Feld hinaus breit. Wie in „vollständigen Konkurrenzmärkten“ üblich, ist das Risiko nicht gesellschaftlich geteilt, sondern vom Einzelnen getragen. Anders als in der Hochfinanz steht dem Risiko aber die extrem geringe Wahrscheinlichkeit außergewöhnlicher Gewinne gegenüber. Zu hoffen ist eher auf nichtmaterielle Entschädigungen, etwa – gemessen am materiellen Status – erhebliche Reputation, angenehme Arbeitsbedingungen, geringe Arbeitsroutinen und anderes. Der Status des Kreativen ist für Menger gewissermaßen die Karotte, mit der die Prekarität schmackhaft gemacht wird.

 

Mengers eher dunkel tönende Analyse und die mehr fröhlich-optimistische von Geohler sind, wenn man so will, die blinden Flecken des jeweils Anderen. Denn gewiss ist das alles sehr ambivalent. Der Kapitalismus war seit jeher vom Antikapitalismus begleitet und eine dessen mächtigste Spielarten war das, was die beiden französischen Sozialwissenschaftler Luc Boltanski und Ève Ciapello die „Künstlerkritik“ nennen – Kritik an Entfremdung, am Unauthentischen, am Konsumismus und daran, dass die Beschäftigten in der Produktion wie Maschinen behandelt würden. Diese Kritik hat die moderne Managementtheorie aufgenommen und sich im „Neuen Geist des Kapitalismus“ (so der Name der bahnbrechenden Studie von Boltanski und Ciapello) nutzbar gemacht. Das „Neomanagment“ reagierte gerade auf die „Bedürfnisse nach Authentizität und Freiheit, die historisch von der Künstlerkritik getragen wurden“. Damit werden die reale Freiheitsgewinne nicht dementiert – doch freilich ist auch eine rein affirmative Haltung fehl am Platz.

 

Wenn der „Bourgeois Bohemien“ zur neuen Leitfigur des Wirtschaftslebens wird, dann wird das Lebenskünstlertum verallgemeinert. Zum Prinzip der Ökonomie erhoben zeigt es freilich bisweilen seine Schattenseite. Dann ist die Kunst der Stunde – die Überlebenskunst.

 

Pierre-Michel Menger: Kunst und Brot.  Die Metamorphosen des Arbeitnehmers. UVK-Verlag, Konstanz, 2006, 97 Seiten, 15,40 €

 

Adrienne Goehler: Verflüssigungen. Wege und Umwege vom Sozialstaat zur Kulturgesellschaft. Campus Verlag, Frankfurt / New York, 276 Seiten, 25,60 €

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.