Re-Branding of a Nation

Der Fussball-WM-Essay: Dass die Deutschen plötzlich als „fröhlich“, „verspielt“ und „liberal“ gelten, zeigt, dass Nationen heute auch nicht anders funktionieren als Marken: Sie haben ein Markenimage, das man renoviert, wenn das alte aus der Mode kommt.

 

Nationen sind heute nicht nur Landstriche mit Grenzen und Einwohnern, die eine gemeinsame Geschichte haben und – meistens – eine gemeinsame Sprache sprechen, sie sind auch, da sie im globalen Wettbewerb mit anderen Nationen stehen: Marken. Natürlich hat man Nationen auch früher schon mit sanften Attributen wie „Mentalität“ zu beschreiben (und von anderen abzugrenzen) versucht, aber das ist doch etwas anderes als die Arbeit am „Image“, die heute jeder Wirtschaftsstandort braucht. Die Erfolge von Tourismus und Kulturindustrie, die Investitionen globaler Unternehmen, die Entscheidung etwa, eine Konzernzentrale in einer bestimmten Stadt anzusiedeln – all das hängt wesentlich, wenn auch nicht ausschließlich, vom Image eines Landes ab. Hinzu kommt natürlich, dass Werbung, Marketing und Warenbewusstsein die Zeitgenossen kulturell so sehr prägen, dass auch Dinge, die keine Waren sind, durch das Markenprisma betrachtet werden – also auch Nationen. Was immer man im Konsumkapitalismus bewirbt, man bewirbt es natürlich wie eine Ware. Weil im Konsumkapitalismus vor allem Images verkauft werden, werden ganze Innenstädte zu „Brand Zones“. Rem Koolhaas hat das in seinem „Project on the city“ ausführlich gezeigt (nachzulesen im Harvard Design School Guide to Shopping). Schlecht steht es um Städte mit schlechtem Stadtmarketing, ganze Regionen arbeiten an ihrem Markenkern (Tirol etwa baut seine Eigendefinition um Begriffe wie „eigenwillig, freiheitsliebend, echt, stark, stolz“ auf). Die USA verkaufen sich seit jeher schon erfolgreich als „die Marke Freiheit“ (so das lesenswerte Wiener Stadtforschungsmagazin dérive), die Insel jenseits des Kanals neuerdings als „Cool Britannia“.

 

Bundesländer basteln sich Logos und Flaggen repräsentieren den Markenkern – je unverwechselbarer, desto besser. Stars and Stripes, der Union-Jack, das verschachtelte grün-gelb-blau der brasilianischen Fahne, funktionieren nicht unähnlich wie der Nike-Swoosh – jeder kennt und erkennt sie, und jeder hat ein Bild im Kopf, das sie repräsentieren.

 

Marken, die aus der Mode kommen oder ein Imageproblem haben, müssen einen schwierigen und riskanten Prozess des Re-Branding einleiten. Nicht anders Nationen, wenn sie Werte oder Charakteristika in ihrem Markenkern haben, die nicht mehr als erstrebenswert gelten. Wobei angesichts des bisher Gesagten übrigens gar nicht angenommen werden soll, dass die Annäherung von Nationen und Waren nur in eine Richtung vor sich geht, dass also nur die Nationen warenförmig werden – das Umgekehrte ist ebenso der Fall. Denn auch die „Güter“ verändern sich in Richtung Gemeinschaftsstiftung. Schließlich verliert der Gebrauchswert von Waren ja seine Bedeutung, was wichtiger wird ist das Warenimage. Eine Ware wird global dann am erfolgreichsten sein, wenn sie eine virtuelle Gemeinschaft repräsentiert, der möglichst viele Menschen angehören wollen. Natürlich ist der iPod ein ganz praktisches Produkt, aber er wird erst zum Mega-Seller, wenn Abermillionen Menschen das Bedürfnis haben, zur coolen iPod-Community zu gehören. Es ist die Pointe am Branding: Es stiftet Markenidentität, weil Konsumenten nicht Güter, sondern Identitäten erwerben wollen. Mit anderen Worten: Es operiert mit Sehnsüchten, die weit raffinierter sind als die bloße Gier nach einem Gebrauchsgegenstand.

 

Was derzeit rund um die Fußball-WM vor sich geht, kann deshalb unschwer als ziemlich einzigartiger Höhe- und Schlusspunkt eines „Re-Branding of a Nation“ gedeutet werden. Die Marke Deutschland verbindet sich mit Attributen wie „fröhlich“, „freundlich“, „cool“, „liberal“ und das ohne die bisherigen Markencharakteristika wie „verlässlich“ oder „sicher“ zu verlieren. Zufall ist das alles nicht: Kurse in „Branding Germany – Wie verkaufe ich Deutschland?“ kann man schon auf Fachhochschulen belegen.

 

Der Begriff „Branding“ in diesem Zusammenhang stellt übrigens gar nicht in Abrede, dass sich die Deutschen verändert haben. Er sagt darüber gar nichts aus. Branding zielt aber nicht auf die „Wirklichkeit“ der Veränderung ab, sondern wesentlich auf die Veränderung des Images. Wobei – tricky! – ohnehin gilt, dass es kaum etwas Wirklichkeitsmächtigeres als Image gibt, wirkt das äußere Bild doch auf das Selbstbild und damit auf das Verhalten der Subjekte zurück.  

 

Schon 1999 hat Wally Olins, der britische Marketingpapst schlechthin, in einem Buch („Trading Identities: Why countries und companies are taking on each others’ role“) die Anverwandlung von Staaten und Konzernen analysiert – und begonnen, Länder statt Firmen zu beraten. Besonders angewiesen auf seinen Rat scheinen Problemmarken wie Rumänien oder Serbien zu sein. Doch auch der „Deutschland-Brand“, sagte Olins schon vor Jahren, „ist sehr interessant“. Abgesehen vom Image-Malus der NS-Vergangenheit sei deutsche Kreativität vor allem mit Ingenieurs-Kreativität verbunden. Deutschland, so Olins, „wird mit Autos assoziiert: Effizienz, sehr hohe Qualität, schlechtes Marketing, sehr teuer. Keinerlei emotionale Inhalte. Das bedeutet, Hugo Boss und Jil Sander wurden nicht wahrgenommen…“ Er würde, so Olins, das Verspielte und Künstlerische unter den deutschen Stärken stärker herausstellen.

 

Übrigens ist Nationen-Branding gar nicht teuer. Und zwar, weil Tourismuswerbung in jedem Fall gemacht wird, es ohnedies Passkontrollen gibt, Polizisten überall Uniformen tragen, jedes Plakat eine bestimmte Typographie hat, jede Regierung mit ihren Bürgern und den Bürgern anderer Staaten kommuniziert – und Fußballteams ohnehin unterhalten werden. Re-Branding verlangt nur, dass all diese Arten, eine Nation zu präsentieren, einem kohärenten Ziel unterworfen werden. Staats-Branding bedeutet, so gesehen, Geld, das ohnehin ausgegeben wird, sinnvoller auszugeben.

 

Nationale Identität wie Markenidentität zu behandeln, liegt im Trend einer Zeit, die alles ökonomisiert und in der die politischen Diskurse den Eindruck erwecken, Gemeinwesen hätten wie Firmen zu funktionieren. Gerade stolze Nationen ohne bewusstes „Imageproblem“ stößt das bitter auf. Nationen haben doch „eine Natur“, „eine Substanz“, können doch nicht re-branded werden wie Waschpulver! Und Bürger sind doch etwas anderes als Mitarbeiter einer Firma – dass letztere sich oft der Corporate Identity ihres Unternehmens anpassen wie Jünger einer Sekte, kennt man ja. Was übrigens, wenn der Bürger dem Markenimage seiner Nation so gar nicht entspricht oder entsprechen will? Nun ja, das ist, bei aller Neuartigkeit des Nationen-Branding, ein Problem, das optimistische Österreicher, unromantische Russen, hässliche Brasilianerinnen und unintelligente Juden immer schon hatten. Und verweist auf das, was die Nation von der Markenfirma letztendlich weiter unterscheidet: Ich kann ihr in der Regel nicht so leicht kündigen und bei einer anderen anheuern, wenn ihr Image irgendwie nicht zu meinem Charakter und meinen Sehnsüchten passt.

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