Wir Latinos

 

Mit Evo Morales und Hugo Chavez hat die westliche Linke wieder zwei Darlings aus Lateinamerika. Sie repräsentieren die Sehnsucht nach einer Alternative und rufen doch auch kolonialistische Imagos ab: die vom guten Eingeborenen, der noch Zugang zum „Echten“ hat. taz, Mai 2005

 

 

 

 

 

Der Mann ist von entwaffnender Ehrlichkeit: „Ich habe eine Menge Probleme, die finanziellen und administrativen Aspekte zu verstehen“, sagte Boliviens Präsident Evo Morales vor einigen Wochen. Einer, der offen eingesteht, dass er „es“ nicht kann! Ein ehemaliger Koka-Bauer, der in buntem Pullover oder speckiger Kunstlederjacke über das diplomatische Parkett stapft und der auch noch auf Konzepte setzt, die seit zwanzig Jahren als hoffnungslos Out gelten! Der jetzt auch noch die Erdgas- und Öl-Vorkommen nationalisiert! Man hätte sich also erwarten können, dass sie ihn allesamt entweder zum Clown erklären oder zum neuen Feind der Welt: die Neoliberalen, für die Freiheit vor allem Freiheit und Rechtssicherheit für Investoren heißt; die lahmen Libertärlinken, die von Staatsbesitz nichts mehr halten, seitdem sie die Erfahrung machten, dass man bei privaten Telefonfirmen billiger telefonieren kann als früher bei den staatlichen Telekomunternehmen. Schließlich haben wir ja gelernt: Zu Kapitalismus und freier Marktwirtschaft gibt es keine Alternative und wenn sich der Staat ins Marktgeschehen einmengt, dann geht’s immer böse aus.

 

Aber, erstaunlich, erstaunlich: Niemand lacht über Evo Morales. Niemand verteufelt ihn. Im Gegenteil. Fast ist der Gewerkschaftsführer indigener Abstammung so etwas wie der neue Star am internationalen Parkett. „Ihr habt geglaubt, wir Indianer haben alle Federn am Kopf“, scherzte Morales vergangene Woche vor der versammelten Presseschar beim EU-Lateinamerikagipfel. Dabei kenne er sich aus mit der Welt und ihren Problemen. Zum Beweis fügte er hinzu: „Wenn dieser österreichische Sänger nicht soviel Kokain verbrauchen würde, hätten wir in Bolivien weniger Probleme.“

 

Der Wiener Bänkelsänger Reinhard Fendrich war da gerade als Kokainist aufgeflogen.

 

Samstag vormittag besuchte Morales den österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer. Der entstammt selbst eher dem linksliberalen Rand der Sozialdemokratie und lud seinen Amtkollegen sogleich ganz unsteif zum Spaziergang durch den benachbarten Volksgarten, einen beliebten Lungerplatz für Studenten und junge Familien. Ein kleines Mädchen ließ Morales von ihrem Eis schlecken. Später dann, vor einer mehrtausendköpfigen Menge linker Globalisierungskritiker und Lateinamerika-Solidarischer in der Wiener Stadthalle rief Morales: „Ich kann immer noch nicht glauben, dass Evo Präsident ist.“ Und: „Ich bin einer von Euch.“

 

Mit Morales und dem leicht caudillohaften Hugo Chavez aus Venezuela gibt es wieder zwei Darlings der internationalen Linken. Jetzt sind wir wieder alle Lateinamerikaner. Das hat seit gut vierzig Jahren schon Tradition. Beginnend mit der kubanischen Revolution, der Guerillatheorie, über Guevarismus und Tupamaro-Verehrung setzte es sich fort mit den Hoffnungen, die auf Salvador Allende ruhten, später der Nicaragua-Solidaritätsbewegung und „Waffen für El-Salvador“.

 

Ganze Generationen wuchsen auf mit den Gedichten Pablo Nerudas, den Liedern Victor Jaras, mit dem Che-Poster im Jugendzimmer, mit Guantanamera und El Condor Pasa. Vom realen Lateinamerika war da das imaginäre nicht immer leicht unterscheidbar, das Lateinamerika, das ein Utopia der westlichen Linken war. Eine Folie der eigenen Sehnsüchte: Dort war noch eine kämpferische Kultur, die man hier vermisste. Man reiste zur Kaffeeernte nach Nicaragua und das war nicht nur solidarische Hilfsbereitschaft: an der Seite sonnengegärbter und fröhlicher Campesinos sollte eine Wirklichkeit gefühlt werden, zu der verzärtelte westliche Metropolengewächse keinen Zugang mehr haben. Lateinamerika – das war auch Chiffre für das Authentische.

 

Und so sind auch Chavez und Morales heute Symbolfiguren, Posterboys, Projektionsflächen. Chavez – der Ex-Putschist, Fallschirmspringerhauptmann. Der Krieger für das Gute. Morales, der bitterarme Indioführer. Der Echte. Noch in der Zuneigung zu Lateinamerika schwingt so eine gewisse ethnozentristische Projektion mit, ist noch der Antikolonialismus eingefärbt vom kolonialistischen Blick.

 

Das Imaginäre hat natürlich seine Verankerung in der Wirklichkeit und wirkt auch ein auf die Wirklichkeit. Lateinamerika heute ist das Exempel, dass der Neoliberalismus mit seinen Gegenkräften rechnen muss. Argentinien, Brasilien, Uruguay werden von „gemäßigten“ Linken regiert, die der Conditio der internationalen Geschäftswelt wo möglich entsprechen wollen; Kuba, Venezuela, Bolivien von „radikaleren“ (oder: „populistischen“), die eine konfrontativere Gegenposition zum Mainstream der globalisierten Eliten einnehmen.

 

Morales selbst repräsentiert eine „Allegorie unausrottbarer Widerständigkeit“, wie der aus Bolivien stammende Berliner Philosoph und Autor Hugo Velarde schreibt: 54 Prozent wählten den einstigen Trompetenspieler, Lama-Treiber, Kleinhändler, Fußballers aus Orinoco, einem verschlafenen Dorf an der Peripherie der Minenprovinz Oruro. „Morales begann seine politische Karriere im subtropisch verborgenen Chapare-Gebiet von Cochabamba, wohin es ihn während der sechziger Jahre verschlug. Nach 1989, als die Mineros so massenhaft entlassen wurden wie nie zuvor und sich zum Überleben im vorsichtig prosperierenden Chapare ansiedelten, wurde Morales ihr Sprecher, bald ihr Führer, der ‚Führer der Koka-Parias’, wie man ihn gern abfällig nannte, jener ,Parias’, die jetzt Boliviens Geschicke in die eigenen Hände nehmen.“ Als Präsident hat er sein Gehalt von 4360 $ auf 1900 $ gekürzt, auch seine indes weltberühmte Kleiderordnung ist natürlich eine politische Botschaft: „Ich komme aus dem Volk, ich kleide mich wie das Volk.“ 33 Jahre nach dem Sturz Allendes verspricht mit dem 47jährigen Morales wieder ein Präsident eines Andenstaates „Sozialismus in Demokratie“. 

 

Faszinierend und verstörend auch: Hugo Chavez, das Rauhbein. Er hat die freiheitlichste Verfassung verabschieden lassen, die es in Lateinamerika gibt – aber darin auch die Position des Präsidenten gestärkt. Er poltert gegen Höchstrichter und freie Presse – aber er lässt sie auch gewähren. Praktisch alle Zeitungen sind in den Händen seiner Gegner, sie versuchten ihn einmal wegzuputschen, einmal strengten sie eine Abstimmung für seine Absetzung an. Nichts tat er, sie daran zu hindern. Allein: Er gewann diese Abstimmung. Er zelebriert paternalistische Caudillotum, seine ehrgeizigen Sozialreformen basieren aber im wesentlichen auf Überweisungen von Finanzmittel an dezentrale „Missiones“ in den Elendsviertel – an den staatlichen Institutionen vorbei. Der Staat fördert – besteht aber nicht auf Kontrolle. Gleichzeitig inszeniert sich Chavez in seiner TV-Sendung „Alo Presidente“ und gängelt die urbane Intelligenz. Die Sozialreformen werden ermöglicht durch die hohen Einnahmen aus dem Ölgeschäft. Der hohe Ölpreis hilft dem karibischen Sozialismus ungemein. Die Gewinne wandern jetzt nicht mehr auf amerikanische Konten der Oligarchen, der Reichtum wird etwas besser verteilt. Das ist positiv. Ob es Modellcharakter hat, ist schon mehr zu bezweifeln. Der Reichtum ist ja nicht Folge produktiver Investitionen, sondern des Rohstoffreichtums. Da kann man natürlich fragen, was für ein soziales Modell es sein kann, dessen Voraussetzung darin besteht, dass man im Öl schwimmt?

 

Über all das kann man diskutieren, der abgeklärte Linksliberale ist aber oft zu vorschnell mit dem „Totalitarismus“-Verdacht zur Stelle. Richtig schrieb Hugo Velarde in Richtung einer solchen Kritik an den Konzepten von Leuten wie Chavez und Morales: „Dies mag ein schlechtes Programm sein und den ,postmodernen Linken’ nicht schmecken, aber ,totalitär’ ist es nicht, sondern die Neuauflage einer verschleppten national-demokratischen Revolution.“

 

Vor drei, vier Jahren wäre wohl noch angesichts solcher Tendenzen die Gefahr des Kommunismus an die Wand gemalt worden, zumindest hätte man Leute wie Morales eine Gefahr für die Wirtschaftswelt, für Prosperität und Globalisierung genannt. Heute sind diese Delegitimationsversuche selten und seltsam lau. Das ist vielleicht da Überraschendste – und Signifikanteste – an der ganzen Chose. Sie erfüllen auch eine Erwartung. Selbst die Propagandisten des Neoliberalismus haben ihre Postulate von der „Alternativlosigkeit“ der herrschenden Ordnung offenbar schon satt. Nach zwanzig, dreißig Jahren Privatisierungen hat ist einfach nicht mehr zu übersehen, dass die Versprechungen der Liberalisierung nicht aufgehen und es legitim ist, andere Rezepte zumindest auszuprobieren – und dass diese Legitimität bei denen am Größten ist, deren Ressourcen bisher besonders schamlos geplündert wurden, die am berühmten freien Weltmarkt die schlimmsten Erfahrungen von Unfairness machen mussten.  Der berühmte Pendelschlag: Nach dem Postulat: „There is no alternative“, nun die Gegenwendung: „There must be an alternative.“

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