Die Schröder-Revival-Tour

Erst Macht, dann Markt. Gerhard Schröder läßt einen Hype um seine Memorien inszenieren, und schon gibt es ein Nostalgie nach dem abgewählten Kanzler. Ein Beitrag für die Sendung "Tageszeichen" auf WDR 3 und für den Standard, 28. Oktober 2006

Hören kann man das ganze auch Hier

 

 

Kanzlerin Angela Merkel hat in der Internet-Community für einige Beachtung gesorgt, weil sie als erste Regierungschefin eines großen Landes wöchentliche Internet-Fernsehansprachen – so genannte Videocasts – produzieren und ins Netz stellen lässt. Die kann sich, wer will, auf den Computer laden oder auf den i-Pod überspielen. Das Beste daran: Diese Merkel-Videos können mit einem simplen Delete-Befehl auch wieder gelöscht werden.

 

Ihrem Vorgänger kommt man dieser Tage nicht so leicht aus. Der Mann, der als Brioni-Kanzler die vorderste Vorderbühne der deutschen Politik in Bonn betreten und als Gazprom-Gerd in Berlin wieder verlassen hat, der hat sich gerade wieder auf Tournee begeben – auf die große Schröder-Revival-Tour. Unterm Arm hat er die druckfrischen Ausgaben seiner Autobiographie. Vorabdrucke gibt es in „Spiegel“ und „Bild“ – letzterer hat der Herr Altkanzler, der lieber Herr Schröder genannt werden will, sogar ein launiges Werbevideo besprochen, das wiederum in der Bild-Zeitung als „kultig“ angepriesen wird. Der Werber wirbt und wird vom Beworbenen beworben – schöner könnte kaum illustriert werden, wie selbstreferentiell das Geschäft mit der Aufmerksamkeit ist. Dazu gibt’s Auftritte bei Beckmann & Co., ausschweifende Gespräche mit Wickert, Lesungen, Signierstunden usw, usf. Eine Million Euro soll der Ex-Kanzler vom Hoffmann & Campe Verlag erhalten haben, für den sich der Deal erst ab 160.000 verkauften Exemplaren zu rechnen beginnt. Dafür, dass diese Zahl übersprungen wird, ist der Marketingfachmann zuständig, der gerade Eva Herrmann mit ihrer Heimchen-am-Herd-Prosa durch’s Dorf getrieben hat.

 

So gibt’s also: Einen Hype. Endloses Getöse. Das Schröder-Festival. Mit einem Wort: Das Übliche. Und in einer gut geölten und geübten Hype-Kultur wie der unseren hat auch schon die Hype-Kritik ihren festen Platz, sie hechelt hinter dem Hype mit der gleichen Gewissheit hinterher wie der Pudel dem Herrchen. Sind für den Hype das Fernsehen und die bunten Blätter zuständig, so ist die Hypekritik das Geschäft des bedächtigen Feuilletonisten. Insofern ist die Hypekritik nicht das Andere des Hypes, sie gehört zu ihm dazu. Man kann sagen: Der Hypekritiker verdient am Hype wie der Gehypte. Allerdings: deutlich schlechter. Vielleicht macht ja das die Feuilletonisten manchmal so grüblerisch und übellaunig.

 

Blickt man hinter den Hype, so mag man darüber streiten, ob da irgendetwas Interessantes zu entdecken ist. Zunächst natürlich ein Mann, der nach sieben Jahren Kanzlerschaft mit 61 Jahren auf’s Altenteil geschickt wurde – zu früh für die Rente, zu energiegeladen für den Ohrensessel. Der sich, wie alle Abgewählten, von der Geschichte irgendwie schlecht behandelt fühlt. Der noch einmal erklären will, dass er mit seiner Agenda 2010 und seinen Hartz-Reformen weder den Sozialstaat demontieren noch die Armen quälen, sondern eine, wie er schreibt, „an den Bedingungen des neuen Jahrhunderts angepasste, aber durch und durch sozialdemokratische Politik“ betreiben habe wollen – und der demonstrativ großzügig und ostentativ schmallippig einräumt, möglicherweise wären „auch eigene Fehler“ dafür verantwortlich, dass dies ziemlich wenige Leute so sahen wie er, jedenfalls deutlich zu wenig, als zu seiner Wiederwahl nötig gewesen wären.

 

Man könnte natürlich sagen, dieser Ex-Kanzler ist eine reichlich nervige Figur: man könnte darauf hinweisen, dass er eine erratisch-technokratische Politik machte, dafür abgewählt wurde, dass er schon immer mehr den eigenen Glanz als die Seele seiner Partei im Auge hatte, dass er dann alle negativen Urteile bestätigte, in dem er, kaum Privatier, bei Gazprom anheuerte, sich als hochdotierter Festredner von Hedge-Fonds mieten ließ und jetzt für schnell hingeschluderte Memoiren ein Dreißig-Jahres-Einkommen eines Durchschnittsverdieners einstreift. Könnte man sagen. Man würde dem Phänomen Schröder damit aber auch wieder nicht gerecht.

 

Vielleicht muss man Schröder den großen Unverstandenen der deutschen Politik nennen, einen Mann der Widersprüche. Einerseits ein kraftvoller Rambo, der sich den Weg nach oben hochboxt, und doch immer auch ein Fähnchen im Wind ist; ein eigensinniger Charakter, und doch einer, der nicht viel mehr als die Verkörperung eines bestimmten Zeitgeistes in einer bestimmten Epoche war; ein Political Animal mit ausgezeichneter Witterung für Trends, das in entscheidenden Momenten der Instinkt verließ; einer, der verstand, dass man in Zeiten gesellschaftlichen Wandels, der Auflösung der Kernschichten, der Transformation der Arbeitsgesellschaft, die Sozialdemokratie modernisieren muss, und der es dann doch nur zu einer technokratischen Agenda brachte, die weder modern noch sozialdemokratisch war. Einer, der oft die richtigen Reflexe hatte. Und der oft das Falsche machte. Einer, man soll auch das nicht gering schätzen, der noch als Kanzler eines der mächtigsten Länder der Welt frei von allem Dünkel war. Einer auch, der große Momente hatte. Und der dann doch kläglich scheiterte.

 

Wie das geschehen konnte, ist eigentlich noch nicht hinreichend erklärt. Der Lebensroman, der Gerhard Schröder von ganz unten nach ganz oben brachte, was ohne Fleiß, Talent und Zielstrebigkeit nicht zu schaffen ist, schlägt irgendwo unmerklich um – bis er als Kanzler in eine Epochenwende stolperte, hin- und hergebeutelt wird. Vielleicht wurde diese ursozialdemokratische Figur, dieser Letzte, der die „mit-Fleiß-können-wir-es-schaffen“-Kultur der Arbeiterbewegung noch verkörperte, einfach zur falschen Zeit Kanzler – in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre, mit ihrem Modernitätsfuror und ihren New-Economy-Blasen, mit ihren „der-Wirtschaft-freie-Bahn“-Parolen und ihren paradigmatischen Gestalten, den Tony-Blairs oder Bill-Gates. Und womöglich wurde er von einer medialen Öffentlichkeit, die den Krawall und die Provokation der eigenen Partei mit Aufmerksamkeits-Krediten belohnt, einfach auch verzogen. Wahrscheinlich haben wir uns Gerhard Schröder am besten als tragisch verschwendetes Talent vorzustellen – als einen, der sich vergeudete.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.