Politik der Gefühle

Österreich: Warum die Große Koalition aus denselben Gründen, die sie eigentlich notwendig machen würden, kaum mehr möglich ist. taz, 1. November 2006

 

 

Zu einem der kulturpessimistischen Standards zählt das Lamento, dass sich die großen politischen Lager programmatisch immer mehr angleichen, geradezu ununterscheidbar werden. Dass das nicht unbedingt dazu führen muss, dass die politische Welt spannungsärmer, weniger ressentimentgeladen würde, sieht man dieser Tage wieder in Österreich.

 

Dort war die Rechtskoalition unter Volksparteichef Wolfgang Schüssel Anfang Oktober abgewählt worden, die Sozialdemokraten (SPÖ) mit ihrem bislang recht glücklosen Vormann Alfred Gusenbauer an der Spitze wurden überraschend stärkste Partei. Da, aufgrund der Spaltung der bisher mitregierenden Rechtsnationalen in das „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) und die alten Freiheitlichen (FPÖ) nun fünf Parteien im Parlament sitzen, ist eine Regierungsbildung tricky. Rot-Grün hat ebenso wenig eine Mehrheit wie ÖVP und BZÖ. Und mit der rechten Kerntruppe, der FPÖ, will niemand koalieren.

 

So schien eine Große Koalition der alleinige Ausweg. Übrigens spricht nicht nur der Mangel an realistischen Alternativen für eine solche Variante: das Publikum hat nach sechs Jahren Schwarz-Blau genug von Experimenten. Die Rechtsregierung hat das Klima vergiftet und das Land polarisiert. Eine gewisse Phase der Konsensproduktion müsste da nicht unbedingt schaden.

 

Aber gerade diese Polarisierung scheint diese Regierungsvariante unmöglich zu machen. Die Spitzenrepräsentanten von SPÖ und ÖVP hassen sich regelrecht. Hinzu kommt noch, dass das ÖVP-Verhandlungsteam vor allem aus jenen Männern und Frauen besteht, die das Land in den vergangenen Jahren recht selbstherrlich regierten – und denen es schwer fällt, diesen Absturz zu verdauen. Jetzt haben sie die Einsetzung zweier parlamentarischer Untersuchungsausschüsse durch SPÖ, Grüne und FPÖ genutzt, die Gespräche auszusetzen. Schon wird die Möglichkeit einer Minderheitsregierung der SPÖ (möglicherweise mit Grünen-Beteiligung) erwogen, mit der Perspektive von Neuwahlen innerhalb weniger Monate.

 

Das wäre für die ÖVP freilich eine noch unattraktivere Variante – SPÖ und Grüne würden in solch einem Fall wohl deutlich zulegen. Möglich, dass diese Aussicht die Volkspartei doch noch in die ungeliebte Koalition zwingt.

 

Robert Misik

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