Der Barde und der Krieg

Wolf Biermann wird am 15. November 70 Jahre alt. Chapeau und Gratulation! Aus diesem Anlass ein kleines Stück aus der taz vom 15. November und zwei größere Stücke von mir aus der "Berliner Zeitung" aus dem Jahr 1996. Eine LP-Kritik und der Geburtstagsgruß zum Sechziger.

 

 

Biermann zum Siebzigsten. War der Dichter mit seinem Plädoyer für einen Menschenrechtsbellizismus Anfang der 90er Jahre Avantgarde? Und warum sind er und die deutsche Linke sich dann bis heute nicht grün?

 

 

Es war das Frühjahr 1991, die US-geführte Allianz hatte gerade die Operation „Desert Storm“ begonnen, die die irakischen Truppen aus Kuweit vertreiben sollte, da schrieb Wolf Biermann in der damaligen Ost-taz: „Damit wir einander richtig verstehn: Ich bin für diesen Krieg am Golf.“ Und: „Wer mich heute fragt: Willst du den totalen Frieden? – dem sage ich nein danke.“ Damals hing die westdeutsche Linke noch ziemlich flächendeckend weiße Bettlaken als Zeichen ihrer pazifistischen Standhaftigkeit aus den Fenstern, dass Deutschland sich „nie wieder“ an Kriegen beteiligen dürfe war Konsens von links bis rechts und für spätere grüne und sozialdemokratische Bellizisten galt als ewig unumstößlich, dass sich deutsche Soldaten an keinen Out-Of-Area-Einsätzen, also Operationen außerhalb des Nato-Bündnisgebietes je beteiligen dürfen – und seien es bloß Hilfsdienste über den Wolken, in den Awacs-Aufklärungsflugzeugen.

 

War Biermann, den viele spätestens zu diesem Zeitpunkt für einen krausen Barden hielten, also wieder einmal Avantgarde?

 

Nun, er war nicht der einzige, der so dachte, aber er war, zusammen mit Hans Magnus Enzensberger, der Lauteste aus dem alten linken Juste Milieu. Knapp gesagt, lautete Biermanns Argumentationslinie so: Wenn Genozide geschehen oder Blutsäufer herrschen, dann hilft der Pazifismus den Völkermördern und Folterfürsten. Militärische Gewalt kann ihr Gutes haben, wenn es Demokratien sind, die Diktatoren wegräumen – vorexerziert beim Krieg der Alliierten gegen Nazideutschland. Der Antiamerikanismus der Friedensfreunde selbst ist fragwürdig, eine Umkehrung des alten Traums vom deutschen Sonderweg. Die Solidarität deutscher Linker mit den Arabern und die Ignoranz gegenüber den Sicherheitsbedürfnissen Israels steht in einer schlechten, alten, deutschen Tradition. Statt: „Die Juden sind an allem schuld“, heißt es nur eben jetzt: „Die Israelis (und die Amerikaner) sind an allem schuld.“

 

Zumindest Teile dieser Argumentationsreihe haben sich danach ziemlich weit durchgesetzt in den linken Milieus. Diese Haltung bestimmte die Politik der rot-grünen Regierung in den Kosovo-Kriegstagen. Und zumindest auf einem Grünen Bundeskongress stimmte einer Mehrheit für diese Politik. Erst mit dem zweiten Irakkrieg vor drei Jahren kam es wieder zu einer markanten Verschiebung: Die meisten hielten ihn für ein imperialistisches Abenteuer der USA, eine Minderheit unterstützte ihn. Biermann auch. Ist der siebzigjährige Barde auch diesmal Avantgarde?

 

Unterzieht man die Texte und Reden Biermanns zum Nahostkonflikt einer Hermeneutik der Einfühlsamkeit, wenn man also versucht, sie auch in ihren Übertreibungen und polemischen Wucht zu verstehen, so könnte man urteilen: Der Mann ist einer, der richtig irrt – im buchstäblichen Sinn. Der irrend richtig liegt.

 

Es graut ihm vor der Apologie einer Appeasement-Politik, die, wie er in seiner jüngsten Gastvorlesung in Jerusalem und Haifa formulierte, den Despoten suggeriert, sie kämen „elegant davon“. Wenn in Deutschland jemand Israel kritisiert, wegen dessen „unverhältnismäßigen“ Vorgehen, dann riecht er den neualten Moder des Antisemitismus. „Deutschland verrät Israel“, war die Rede in der „Zeit“ übertitelt.

 

All das ist wahr und falsch zugleich. Die Welt sortiert sich, in die, die für die USA, für Bush, die Neocons, für Israel, für den Krieg gegen den Terror sind – und in die, die gegen die USA, gegen Bush, gegen Krieg, gegen Antiislamismus sind. Wer Teil einer dieser Meinungsgemeinschaften ist, der hat trübe Freunde mit im Boot. So macht auch Biermann richtige Punkte und liegt falsch zugleich.

 

„Ich bin kein Jude. Die aus mir einen hätten machen können, sind alle ermordet worden“, sagte Biermann noch 1991. Aber natürlich kann man nicht davon abstrahieren, dass Biermann der überlebende Sohn eines von den Nazis ermordeten jüdischen Kommunisten ist. Viele mit einer ähnlichen Geschichte wie Biermann – Überlebende, die als Junge zu den Kommunisten stießen, was auch eine Verdrängung der jüdischen Identität war -, fühlen heute in Europa eine wachsende Bedrängung und in Nahost eine existentielle Gefährdung Israels. „Ich bin kein Jude“, das würde Biermann heute wohl nicht mehr sagen.

 

Wie real die Bedrängung und Gefährdung ist, ist die eine Sache – die Realität des Gefühls ist die andere. Antisemitische Grundierungen linker Argumentationsreihen, die Ambivalenz eines allzu selbstgerechten Pazifismus, sie tragen wenig dazu bei, dieses Gefühl zu verscheuchen. Die politischen Urteile, andererseits, die auf Basis dieses Gefühls formuliert werden, sie schrammen freilich auch hart an den Realitätsverlust. Dass Israel heute weniger Freunde hat als früher, ist wohl nicht ernsthaft zu behaupten: Soviel Apologie wie der Libanonkrieg dieses Sommers hätten sich die Strategen des Libanonkrieges des Jahres ’82 gewünscht. Und auch wenn Biermann nicht ganz falsch liegt mit seiner Kritik der kontinentaleuropäischen Anti-Irakkriegs-Haltung des Jahres 2003, bleibt doch die Frage: Hat der Sturz Saddams die Welt besser und Israel sicherer gemacht?

 

Biermann war vor 15 Jahren in einem gewissen Sinne Avantgarde, weil er als einer der ersten laut sagte, dass Kriege manchmal nötig und sogar dann unterstützenswert sein können, wenn die USA an ihnen beteiligt sind. Aber wie immer mit den Avantgarden ist es so, dass sich ihre Pointe erledigt hat, wenn sie sich durchsetzen. Heute ist dazu zu sagen: Kriege, die die Welt besser machen wollen, müssen sich schon fragen lassen, ob sie effizient im Sinne ihres Postulates sind.

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