Land ohne Staat

Somalia. Äthiopiens Militär vertreibt die Islamisten aus Mogadischu. Das ist weniger ein „Krieg gegen den Terror“ als ein Sieg des Chaos. profil, 2. Jänner 2006

Manche Feldzüge laufen erstaunlich glatt. Dann scheinen Kriege schnell zu Ende zu sein – obwohl sie in Wirklichkeit gerade erst beginnen. Der flotte Sieg der Truppen der somalischen Übergangsregierung und der äthiopischen Armee gegen die somalischen Islamisten, der sich Ende vergangener Woche abzeichnete, könnte ein solcher Phyrrussieg sein. „Wir haben unsere Führung und alle unsere Mitglieder aus der Hauptstadt abgezogen“, sagte Scheich Sharif Ahmed, der Führer der Islamisten, vergangenen Donnerstag gegenüber „Al Jazeera“. Und tatsächlich: Von den meist jugendlichen Milizionären des „Rates der islamischen Gerichte“ (UIC), die davor nicht nur die Metropole Mogadischu kontrolliert hatten, sondern weite Teile des geschundenen Landes, war mit einemmal nichts mehr zu sehen.

Die Islamisten haben die Verteidigung ihrer Hochburgen einfach aufgegeben – gegen die hochgerüstete äthiopische Armee, die mit Kampfjets, Hubschraubern und Panzern vorgegangen war, hätten die bunt zusammen gewürfelten Islamistenmilizen mit ihren Pick-Up-Trucks ohnehin keine Chance gehabt. Jetzt bereiten sie sich womöglich auf einen Guerillakrieg vor.

Mit der Intervention Äthiopiens geht das somalische Drama in den nächsten Akt. Wenn es einen Landstrich gibt, der als Synonym für einen „gescheiterten Staat“ gelten kann, dann ist das das Land am Horn von Afrika. Seit dem Sturz von Militärdiktator Siad Barre 1991 hat Somalia keine Regierung mehr, die diesen Namen verdiente. Es zerfiel in kleine Puzzles, die von Warlords oder Clans kontrolliert wurden – oder, noch schlimmer, von gar niemandem.

Seit 16 Jahren herrscht praktisch Anarchie, ein Machtvakuum, das die Nachtbarmächte stetig zur Einmischung einlädt, und das ebenso regelmäßig von halbherzigen und gescheiterten Stabilisierungsversuchen der internationalen Gemeinschaft unterbrochen wurde. Eine UN-Intervention endete im schmählichen Hals-über-Kopf-Abzug der US-Truppen (im Film „Black Hawk Down“ dramatisiert), die Installierung einer Übergangsregierung im Jahr 2004 blieb ein halbherziger Akt. Viel mehr als die Kleinstadt Baidoa, in der sie residierte, und ein paar umliegende Dörfer kontrollierte Somalias anerkannte Regierung nie. Dass sie von vielen Somalis als Marionette Äthiopiens angesehen wurde, hob ihre Autorität im Land auch nicht gerade.

Der Siegeszug der islamistischen Bewegung des „Rats der islamischen Gerichte“ im vergangenen Frühjahr und Sommer erklärt sich aus dieser Spirale von Chaos und ausländischer Intervention. Das Bündnis, das muslimische Moderate, Frömmler und radikale Dschihadisten umfasste, aber auch Clans, die sich durch die Übergangsregierung nicht ausreichend repräsentiert fühlen, versprach ein Ende ausländischer Einmischung und ein Ende des Chaos. In weiten Teilen der Bevölkerung wurden sie daher mit offenen Armen empfangen: Besser irgendeine Ordnung als gar keine. Im Juni nahmen die UIC-Milizen Mogadischu ein, bald hatten sie Süd- und Zentral-Somalia unter Kontrolle.

Doch die Stellvertreterkriege waren damit nicht zu Ende. Für Äthiopien, traditionell christlich dominiert, aktuell zu rund 50 Prozent christlich, zu 50 Prozent muslimisch, ist ein radikalislamisches Regime an seinen Grenzen ein Sicherheitsrisiko. Dass der „Rat der islamischen Gerichte“ Ansprüche auf traditionell somalische Gebiete in Kenia und Ostäthiopien anmeldete, goss weiteres Öl ins Feuer. „Das ist unakzeptabel für Äthiopien“, sagt Ken Menkhaus, einer der führenden amerikanischen Afrikaexperten, der auch die UN berät. Eritrea wiederum, Äthiopiens traditioneller Erbfeind, unterstützte die Islamisten mit Waffen.

Äthiopien, dessen Premier Meles Zenawi als einer der engsten Statthalter der USA in Afrika gilt, zögerte nicht, die Probleme am Horn von Afrika in den großen Rahmen des „Kampfes gegen den Terror“ zu pressen. Die Islamistenführung in Mogadischu wurde zu einem ostafrikanischen Al-Kaida-Regime stilisiert, obwohl die harten Dschihadisten nur einen kleinen Teil des bunten UIC-Bündnisses darstellten. Dass die Radikalen mit wachsender Eskalation an Einfluss gewannen – so forderte ein Mullah unlängst, alle zu köpfen, die nicht fünf Mal am Tag beten – trug seinen Teil bei. Die USA gewährten Äthiopien Militärhilfe, bildeten Soldaten aus – dass US-Berater direkt am Feldzug der vergangenen Tage teilnahmen, wird aber abgestritten. „Offiziell haben wir niemanden in Somalia“, sagt Kelley Thibodeau, Sprecherin des US-Militärs in Äthiopien. Überzeugende Dementis klingen anders.

Mag der Vormarsch der äthiopischen Truppen der vergangenen Woche den Islamisten auch eine militärische Niederlage bereitet haben, so stattete er sie aber mit einem politischen Trumpf aus. Gegen ein amerikanisch-äthiopisches Marionettenregime in Mogadischu wird sich unter den Somalis, die kaum etwas derart hassen wie ausländische Bevormundung, vortrefflich agitieren lassen.

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