Das Phänomen

USA. Barack Obama, der neue Star der Demokraten, hat erste formelle Schritte zur Präsidetnschaftskandidatur eingeleitet – und versetzt Amerika in einen Obama-Taumel. Der charismatische Anwalt könnte Hillary Clinton aus dem Rennen werfen und erster schwarzer Präsident Amerikas werden. Falter, 18. Jänner 2007

 

Als Barack Obama unlängst auf einer Parteiversammlung der Demokraten in Effingham, Illinois, zu Gast war, wurde er von einem lokalen Funktionär mit folgenden Worten begrüßt: „Ich suche einen intelligenten Mann, einen mit Charisma, einen der seine Partei vereinen könnte, der Schwarze und Weiße vereinigen könnte. Kennen Sie so jemanden?“ Obama lächelte: „Kenn ich nicht. Aber wenn ich einem begegne, dann werde ich es Sie wissen lassen.“

 

Das Auditorium zerkugelte sich…

(Story Continues Below)

Obamas Video-Ansprache, mit der er die Etablierung eines Vorbereitungskomitees für die Präsidentschaftswahl ankündigt:

 

 

 

 

Denn schließlich sind sich alle Anwesenden einig: Einen solchen Wunderheiler gibt es. Eine Figur, wie sie sich das liberale Amerika vielleicht erträumt hat, auf die es aber nicht zu hoffen gewagt hat, sie existiert. Da ist einer, der die Phantasien beflügelt, wie das keiner seit Bobby Kennedys Ermordung 1968 mehr vermochte. Seitdem Obama angedeutet hat, er könne sich vorstellen, bei den Präsidentschaftwahlen 2008 anzutreten, gibt es kein Halten mehr. „Obamania“, Obama-Hysterie ist ausgebrochen. Obama zu sehen ist, „wie die Mona Lisa im Louvre zu bestaunen“, schreibt Jennifer Senior im New York Magazine: Man ist ergriffen, aber „alles was man sieht sind die Hinterköpfe der anderen Leute“. 

 

Seitdem der damals 43jährige Obama im Sommer 2004 auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten in Boston eine packende, energiegeladene Rede gehalten hat, gilt er als der kommende Stern seiner Partei. Das war damals kein Auftritt, das war eine Erscheinung. Wer die Rede mitverfolgte, wird sie sein Leben nicht vergessen. Wie da ein junger Farbiger ans Mikrophon tritt, Tausende in seinen Bann schlägt, statt Spaltung und Parteilichkeit die inklusiven Werte der amerikanischen Idee beschwört: „Neben unserem berühmten Individualismus gibt es noch ein anderes Element in der amerikanischen Überlieferung“, formulierte Obama damals: „Die Überzeugung, dass wir als eine Nation miteinander verbunden sind.“ Obama verknüpfte die sozialpolitischen Werte des „New Deal“ mit der Rhetorik der Bürgerrechtsbewegung, das Beste der amerikanischen Geschichte wurde in seiner Rede zum Klingen gebracht – und doch hörte sich das nicht altmodisch, verstaubt oder klischeehaft wie bei Jesse Jackson an. Sondern modern. Echt. Authentisch.

 

Obama war da gerade ein kleiner Lokalpolitiker, Mitglied des Senats des Bundesstaates Illinois, der seinen Aufstieg auf die nationale Bühne eben vorbereitete. Obama kandidierte für den Senat in Washington. Er gewann die Wahlen im November darauf mit 70 Prozent der Stimmen. Er ist erst der dritte Schwarze seit dem Ende des Bürgerkrieges, der einen Senatssitz eroberte. 

 

Er ist rund 15 Jahre jünger als der Durchschnitt seiner Kollegen. So einer gilt allgemein als „Freshman“, als einer, der seine beste Zeit noch vor sich hat – und zwar weit vor sich. Wer seit zwei Jahren erst die nationale Bühne bespielt und auch noch nie ein Amt in der Exekutive, etwa als Gouverneur eines Bundesstaates bekleidet hat, der braucht normalerweise mit einer Präsidentschaftskandidatur nicht einmal zu liebäugeln. Hillary Clinton etwa ist um 13 Jahre älter als Barack Obama. Die Senatorin aus New York und einstige First Lady galt bisher als der heißeste Tipp für die demokratische Präsidentschaftskandidatur. Ihre Kriegskasse ist prall gefüllt. Sie hat in den vergangenen Jahren versucht, ihr Image unter konservativeren Wählern zu verbessern – sie hat für den Irakkrieg gestimmt und ist Koalitionen mit republikanischen Senatoren eingegangen. Unter Konservativen hat sie das bisher nicht beliebter gemacht – nur unter Linken und Liberalen unbeliebter.

 

Schon ist Barack Obama auf informeller Wahlkampftour. Offiziell ist er vor allem auf Promo-Reise für sein neues Buch: „The Audiacy of Hope“ – „Die Verwegenheit der Hoffnung“. Darin spinnt er sein Thema fort, das Thema, das ihn in Boston innerhalb einer halben Stunde zu einer Berühmtheit machte – dass Amerika ein besserer Platz werden kann, wenn sich alle dafür engagieren. „Es ist einfach, zynisch zu sein“, sagt er da eins ums andere Mal vor prall gefüllten Häusern. „Es ist einfach, die Zeitungen aufzuschlagen, und sich zu sagen, es läuft viel schief, aber es ist nun einmal nicht zu ändern. Was schwierig ist, was Verwegenheit braucht, das ist die Hoffnung.“ Obama: „Die Welt, müsste nicht so sein, wie sie ist.“

 

Nicht nur in solchen Momenten ist Obama schwer zu fassen: Mal klingt er wie ein linker Weltverbesserer, mal wie ein Prediger des amerikanischen Traums, mal wie ein kommunitaristischer Theoretiker und mal wie einer, der von der grassierenden Politikverdrossenheit profitiert, nach dem Motto: „Wenn die Parteien nur nicht gegeneinander arbeiten würden…“ In seiner Partei ist er eher links – so war er von Beginn an ein Gegner des Irakkrieges –, in Habitus und Jargon aber doch ein Mann der Mitte. „He’s real“, „er ist echt“, sagt Jay Rockefeller, Obamas Senatorenkollege aus West Virginia. „Er hält die Demokraten-gegen-Republikaner-Politik für ein Gift, und seine Hoffnung besteht darin, dass wir darüber hinauswachsen“, schrieb das New York Review of Books über Obamas neuesten Bestseller. Obama ist ein „Phänomen“, so der Rezensent, ein Attribut, „das für jene wenigen Menschen reserviert ist, die befähigt sind, unsere kollektiven Phantasien zu begeistern.“

 

Ein Schuss Prediger, ein Schuss Professor, ein Schuss Filmstar, zieht Obama jetzt durch die Lande. In Iowa und New Hampshire war er schon. Die beiden Staaten spielen in den Primaries, den Vorwahlen, traditionell eine Schlüsselrolle. „Ich glaube, ich muss wieder einmal nach Iowa kommen“, sagte Obama in Iowa. Jeder verstand die Anspielung.

 

Wo er hinkommt, eine bunte Mischung. Städtische Liberale, junge Schwarze aber auch weiße Farmer mit Stiernacken und roten Backen. Er begeistert die Leute auch in den Kleinstädten, „in denen man normalerweise auf einen Farbigen reagiert, indem man die Fensterläden hinunter lässt“ (New York Magazine). Und das, obwohl sich Obama, im Unterschied zu Politikern wie Condolleeza Rice und Colin Powell, die versuchten, im weißen Establishment aufzusteigen, von der Kultur des „Black America“ nicht distanziert hat. „Ich bin in der afroamerikanischen Gemeinschaft verwurzelt, aber ich bin nicht durch sie begrenzt“, formulierte er einmal in einem Interview.

 

Obamas offizielles Promitionvideo von der

Homepage seiner Präsidentschaftskampagne.

 

 

Obama hat in Columbia und Harvard Jus studiert und danach Angebote eleganter Anwaltskanzleien ausgeschlagen um sich als kleiner Bürgerrechtsanwalt in Chicago einen Namen zu machen. Eigentlich ist er gar nicht Afroamerikaner, sondern Afrikaner und Amerikaner – womöglich macht gerade das die entscheidende Differenz aus. Sein Vater kam aus Kenia in die USA, um hier zu studieren. Er verliebte sich in eine junge weiße Frau aus einer Arbeiterfamilie aus Kansas. Einen Großteil seiner Jugendjahre verlebte Barack Obama bei seinen Großeltern. Der Großvater verdiente seinen Lebensunterhalt als Arbeiter bei Ölfirmen und auf großen Farmen in Kansas. Obama hat das gewisse „Es“, schafft es, mit jungen Schwarzen, aber auch mit weißen Farmern umzugehen, als wäre er einer ihresgleichen. „Die sind wie meine Großeltern“, sagte er einmal einem erstaunten Reporter des New Yorker.

 

Seit Obama Topfiguren wie Robert Gibbs, den Kommunikationsdirektor von John Kerrys Präsidentschaftswahlkampf oder Pete Rouse, den Kabinettschef des früheren Demokraten-Fraktionschefs Tom Daschle engagiert hat, zweifelt kaum mehr jemand daran, dass es dem farbigen Aufsteiger ernst ist mit seinem Versuch, schon 2008 das Weiße Haus zu erobern; solche Spitzenleute heuern normalerweise nicht im Büro eines Jung-Senators an. Und dass das Rennen für Obama mitten in seiner ersten Senatorenperiode zu früh kommt, ist auch keineswegs gesagt. Gewiss, nur zwei Männer haben es in den vergangenen hundert Jahren geschafft, vom Senatorenfrischling gleich zum Präsidenten aufzusteigen.

 

Einer davon war John F. Kennedy.

Ein Gedanke zu „Das Phänomen“

  1. So wie sich das anhört, wäre das ein Segen für die westliche Welt, und endlich der Kurswechsel der schon zu Bushs zweiten Amtsantritt dringend notwenig gewesen wäre.
    Aber schön zu sehen, dass ein authentischer Mensch versucht die Stufen zu erklimmen und dies mit Botschaften die einem humanistischem Weltbild entsprechen (und das genaue Gegenteil von Bushs Visionen sind.)
    Wo kann ich ihn wählen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.