Der Tod, ein alter Bekannter

Er war der bedeutendste Reporter der Gegenwart, ein Liebhaber der Dritten Welt, süchtig nach Afrika: Ryszard Kapuscinski. Ein Nachruf. profil, 29. Jänner 2007

(Das Interview mit Kapuscinski aus dem Jahr 2004 lesen Sie hier.)

Der Tod und Ryszard Kapuscinski waren alte Bekannte. Schließlich hat der polnische „Reporter des Jahrhunderts“ rund 40 Staatsstreiche, Revolutionen und Kriege erlebt, nicht wenige davon aus der vordersten Reihe. Kaum eine Möglichkeit, sein Leben zu riskieren, hat er ausgelassen: er starb beinahe an Malaria, verdurstete fast in der Wüste, zerquetschte Cobras, damit die ihn nicht beißen können…

 

Der Tod und Ryszard Kapuscinski waren alte Bekannte. Schließlich hat der polnische „Reporter des Jahrhunderts“ rund 40 Staatsstreiche, Revolutionen und Kriege erlebt, nicht wenige davon aus der vordersten Reihe. Kaum eine Möglichkeit, sein Leben zu riskieren, hat er ausgelassen: er starb beinahe an Malaria, verdurstete fast in der Wüste, zerquetschte Cobras, damit die ihn nicht beißen können, kroch durch umkämpfte Häuserzeilen, um den nächsten Fernschreiber zu erreichen. Dass ihm irgendein Milizionär einen Karabiner an den Kopf drückte – das war für Ryszard Kapuscinski nahezu Routine.

 

Dabei war Kapuscinski, dessen Arbeitsplatz der Planet Erde war, das gerade Gegenteil des draufgängerischen Kriegsreporters. Um genau zu sein, sah er aus, als habe er es darauf angelegt, mit allen Reporterklischees aufzuräumen. Nicht der Thrill trieb ihn, sondern das Interesse an den „dynamischen, konfliktiven Situationen“, wie er einmal schrieb, in denen sich die Ereignisse verdichten. Diese Gier zu Sehen aber war für den Autor Kapuscinski wie eine Sucht – bis zuletzt. „Reisen Sie noch viel?“ fragte ich ihn, als ich den kleinen, schmächtigen älteren Herrn vor zwei Jahren zu einem ausgiebigen Gespräch und ausgedehnten Frühstück traf. Damals kam er, gerade 72jährig, aus Lateinamerika und sagte: „Ich muss reisen, sonst habe ich keine Vorstellung von der Welt. Alles ändert sich – ich muss das sehen, ich bin verloren, wenn ich es nicht sehe.“ Nie habe er die Gefahr gesucht, „aber ich werde Gefahren auch nicht aus dem Weg gehen.“ Schließlich könne man, mitten in Gefahren, immer auch etwas lernen, wie etwa in Kolumbien, wo er gerade herkam. Was? Kapuscinsci: „Wenn man einen Krieg beginnt, ist es sehr schwer, ihn zu beenden. Ist ein Staat einmal desintegriert, ist es furchtbar schwer, ihn wieder zu stabilisieren.“

                                                                  

Kapuscinsci war angezogen von Landstrichen, die auf solche Weise auf des Messers Schneide standen. Er berichtete für die Polnische Nachrichtenagentur PAP in den fünfziger Jahren aus China, dann aus Afrika, später aus Lateinamerika. Vor allem nach Afrika zog es ihn immer wieder. Als er das erste Mal nach Afrika kam, war gerade die Hochzeit der Entkolonialisierung, „eine Zeit massenhaften Enthusiasmus. Fiesta! Das war die allgemeine Stimmung.“ Auf den afrikanischen Optimismus folgte die Phase des „afrikanischen Pessimismus“. Die Welt verlor ihr Interesse an dem Kontinent mit den Ländern, von denen so viele in sich kollabieren. Ryszard Kapuscinsci nicht.

 

„Terrorismus, Immigration, Drogenhandel, organisierte Kriminalität: Das ist es, was der Westen heute mit der Dritten Welt verbindet“, beklagte er. Die Politik der reichen Welt sei selbstmörderisch, denn „die Menschen in den unterentwickelten Ländern wollen respektiert werden. Der Mangel an Respekt, mit dem ihnen die reichen Gesellschaften begegnen, macht sie zornig.“

 

Kapuscinsci hatte keinen Zweifel daran, dass das Gros der gegenwärtigen Weltprobleme mit diesem Mangel an Respekt zu tun hat. Dennoch hat man von ihm selten einen politischen Kommentar in engem Sinn zu lesen bekommen. Er schrieb Reportagen, und recht eigentlich beschrieb er Menschen, ihre Mentalitäten, was sie antreibt, sie dazu bringt, das zu tun, was sie tun. Vor allem hatte er einen Instinkt für die historischen Wendepunkte, die er scchon mit tiefem Verständnis aufzeichnete, bevor sie noch begriffen waren. Er war ein Meister der verdichteten Texte, aber wenn man ihn zu Komplexreduktion, also zur Vereinfachung nötigte, fühlte er sich sichtlich unwohl, entschieden der Auffassung, dass die Dinge zu kompliziert für das bloße „Meinen“ sind. Für Soundbites war er nicht gemacht.

 

In Polen längst ein Star, setzte Kapuscinsci sich in den vergangenen zwanzig, dreißig Jahren auch im Westen durch. Seine Bücher „König der Könige“, „Der Fußballkrieg“ oder „Afrikanisches Fieber“ sind längst Klassiker, mit seinem letzten Buch „Reisen mit Herodot“ stieg er weit nach oben in den Bestsellerlisten. Mit Preisen hat man ihn überhäuft. Zuletzt war Kapuscinski, der noch nie eine Zeile Fiction geschrieben hat, sogar als Kandidat für den Literaturnobelpreis gehandelt worden.

 

„In der pluralen, multikulturellen Welt unser Tage kann niemand glauben, irgendetwas könne noch in Modell sei. Es gibt interkulturellen Mix, aber keine globalen Modelle mehr“, sagte er. Europa und Amerika langweilten ihn dementsprechend. Kapuscinskis Reportageliteratur lebt vom der Versessenheit aufs eigenwillige Detail, vom Glauben an die lange Dauer von Geschichte, vom Versuch, exakt zu sein. Dabei wurde er nie penibel, sein Schreiben bewahrte immer eine gewisse Leichtigkeit.

 

„Jede Begegnung mit dem Tod muss bezahlt werden“, schrieb er in einem seiner Reportagebücher. Beim letzten Mal ist der Preis besonders hoch. Vergangene Woche starb Ryszard Kapuscinski in einem Warschauer Spital an den Folgen eines Herzinfarktes.

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