War ja nur eine Idee…

Die Neokonservativen, die Demokratieexport und Regimewechsel propagierten, haben im Irak ihr Waterloo erlebt. Doch ihr Debakel bringt auch den linksliberalen Menschenrechtsbellizismus in ein Dilemma. taz, 23. Jänner 2007

 

Der bemerkenswerte Dialog trug sich knapp vor der Hinrichtung Saddam Husseins zu. Ob die US-Administration denn nicht befürchte, dass die Exekution weitere Gewalt im Irak auslösen könnte, wurde Tony Snow, Sprecher von Präsident Bush gefragt. Die Iraker, entgegnete Snow herablassend, „würden jeden Anlass wahrnehmen, um gewalttätig zu werden“.

 

Eine eigenartige Weise, über ein Volk zu sprechen, dem man gerade die Freiheit bringen wollte, dessen Land eben noch zum Leuchtturm der Demokratie in der arabischen Welt hätte werden sollen.  

Auch auf Seiten der neokonservativen Demokratie-Export-Ideologen ist man bitterböse auf die Befreiten. „Wir haben ihnen eine Republik geschenkt, aber sie sind nicht fähig, sie zu bewahren“, schrieb Charles Krauthammer jüngst in der Washington Post. „Die wirkliche Ursache für das Problem sind die Iraker und ihre politische Mentalität.“

Doch nicht alle Neokons geben den Irakern die alleinige Schuld am Desaster. Manche, wie etwa Richard Perle oder David Frum beklagen, eine an sich gute Idee sei durch Inkompetenz der US-Regierung diskreditiert worden. Wären ausreichend Soldaten in den Irak kommandiert, wären nicht Fehler am laufenden Band begangen worden, der Irak hätte zu einer Blüte der Demokratie werden können.

George W. Bush wiederum will von einem Strategiewechsel offenbar dennoch nichts wissen. Hatte man nach dem Wahlsieg der Demokraten und nach dem spektakulären Report der „Iraq Study Group“ um Ex-Außenminister James Baker eine Renaissance klassischer „Realpolitik“ erwartet, setzt Bush im Herbst seiner Präsidentschaft auf more of the same und Polarisierung: Noch mehr Soldaten, noch mehr Konfrontation – beispielsweise mit dem Iran. Der harte Kern der verbliebenen Neokons feiert Bush schon als „letzten Neokonservativen in der Regierung“. Der „Courage des Präsidenten, seiner Entschlossenheit, jenen zu widerstehen, die nun einen Rückzug fordern, können wir nur applaudieren“, formulierten die beiden Neokon-Masterminds William Kristol und Robert Kagen zuletzt in ihrem Leibblatt, dem „Weekly Standard“. Freilich: Auch Bush redet nicht mehr von einem „demokratischen Irak“ – das bescheidene (wenngleich ebenso utopische) Ziel ist nun ein „stabiler Irak“.

Doch die etwas unübersichtliche Debattenlage unter den Anhängern einer aktivistischen, imperialen Außenpolitik der USA macht nur offensichtlicher: die Idee, dass man mit militärischer Gewalt Demokratie exportieren, Despoten stürzen und der Liberalität eine Bresche schlagen soll, sie steht ziemlich zerzaust da. Das ist keine Kleinigkeit: vor drei Jahren noch war es vielleicht die einflussreichste politische Idee im Westen. Und sie wurde ja nicht nur vom neurechten Klüngel um den US-Präsidenten vertreten.

Die Argumentationsreihe ging in etwa so: Krieg ist nicht schön, aber es gibt Schlimmeres als Krieg – Regimes, die die Menschenrechte mit Füßen treten, Soldateskas, die Genozide anrichten. Das alte realpolitische Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten würde nur dazu führen, dass man Verbrechen toleriert. Militärische Interventionen dagegen könnten da und dort das Gute in der Welt durchsetzen und das Böse bekämpfen. Und: Ohne die ordnende Gewalt des imperialen Hegemons USA geht es ohnehin nicht.

Auch eher linksliberale Denker wie der amerikanische Publizist Paul Berman oder der kanadische Menschenrechtsprofessor Michael Ignatieff vertraten diese Meinung – oder Kernelemente derselben -, in Europa verfocht eine glamouröse Schar von Autoren, von Bernard-Henri Levy bis Hans Magnus Enzensberger diese Auffassung. Und mag der Mainstream der Linken und Linksliberalen in Europa im konkreten Fall des Irak auch eher zur Anti-Kriegs-Haltung geneigt haben, so war das, ehrlich gesagt, doch eher eine taktische Differenz. Bei anderen Anlässen – den ethnischen Säuberungen in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo -, und auch noch während des Afghanistankrieges 2001, war der linksliberale Menschenrechtsbellizismus vom Neokonservativismus mit freiem Auge schwer unterscheidbar. Das soll nicht heißen, dass es zwischen beiden keine Differenz gab, aber es war eine ziemlich kleine Differenz. 

Der Irakkrieg ist deshalb nicht nur ein Debakel für Bush’ neokonservative Kamarilla. Er markiert auch ein Problem für den Menschenrechtsbellizismus. Pointiert gesagt hat die Malaise, in die die USA geraten sind, eine gute und eine schlechte Seite. Die gute Seite: In vorschnelle militärische Abenteuer wird sich so bald niemand stürzen wollen. Die schlechte Seite: Der nächste autoritäre Herrscher, der einen Teil seiner Bevölkerung massakrieren will, darf sich vergleichsweise sicher fühlen – sicherer als das, beispielsweise, Milosevic durfte. Auch, weil USA, Nato und EU militärisch an der Grenze ihrer Kapazitäten angelangt sind – aber nicht nur deswegen.

Sondern auch, weil sich die Meinung wieder durchsetzt, dass man mit Krieg bestimmte Dinge ziemlich leicht tun kann – Armeen besiegen, Diktatoren stürzen –, andere Dinge aber nur ziemlich schwer: demokratische Kultur kann man in Gesellschaften, die Demokratie nie kannten, nicht hineinbomben. Besonders aussichtslos ist das Unterfangen, wenn eine Gesellschaft nur von einem autoritären Staat zusammengehalten wurde, ansonsten aber in ethnische und regionale Fragmente zerfällt. Es ist lebensgefährlich, in einer Diktatur zu leben. Aber es ist mindestens ebenso lebensgefährlich, in einem „failed state“ – einen „gescheiterten Staat“ – zu leben. Den „Befreiten“ tut man keinen großen Gefallen, wenn man ihre Despotie in einen „gescheiterten Staat“ verwandelt, wie das die USA mit dem Irak getan haben.

Grundsätzlich birgt freilich jede militärische Intervention die Gefahr in sich, ein in machttechnischer Hinsicht intaktes Staatswesen in einen „failed state“ zu verwandeln, in dem Chaos, Anarchie, endemische Gewalt um sich greifen. Weil das im Irak offenkundig geworden ist, beginnt sich auch der Begriff des „Realismus“ wieder zu wandeln. Bis in die achtziger Jahre galt die kalte, auf Stabilität orientierte diplomatische Bündnisstrategie als „realistisch“ – die nannte man damals „Realpolitik“. Irgendwann in den neunziger Jahren schien die militärische Logik den Adel des Realismus auf ihrer Seite zu haben. Als realistisch galt, die Ursache von Konflikten mit bewaffneter Macht zu beseitigen, die Anhänger von Verhandlungslösungen schienen plötzlich als Illusionisten, als Verwandte der verpönten Gutmenschen. Das dreht sich jetzt wieder.

Es ist gut, wenn die Skepsis gegenüber der vermeintlich schnellen, einfachen militärischen Lösung wieder wächst. Aber es liegt darin auch eine Gefahr. Die Gefahr nämlich, dass die Welt beim nächsten Srbrenica wieder tatenlos zusieht.

Ein Gedanke zu „War ja nur eine Idee…“

  1. Lieber Herr Misik!
    Womöglich war ja das Zusammenbrechen des „Ostblockes“ 1989 ein maßgeblicher Grund, dass ein bellizistisches linkes oder linksliberales Gedankengut überhaupt erst in einer breiteren Öffentlichkeit entstehen konnte. Vor 1989 hatte ja so gut wie jede Auseinandersetzung irgendwie eine Kalte-Krieg-Komponente, und da war dann doch immer die Angst da, dass sich aus einem kleineren Krieg dann doch der große, heiße Atomkrieg entwickeln könnte. Hier sei auch quasi kulturhistorisch an Filme aus den frühen Achtzigern erinnert wie „The Day After“ oder der bessere „Threads“, die ja auch ein solches Szenario in Ansätzen durchspielten. Vor 1989 hatte man also auch als linker Europäer Angst vor Krieg, nach 1989 war das ja nicht mehr so. Und im jugoslawischen Zerfallskrieg (den vor der NATO-Einmischung begann) zeigte sich, wie weit es mit dem Pazifismus der Linken her war. Und da darf ich mich selber nicht ausnehmen, denn auch ich glaubte (fälschlicherweise), dass eine militärische Intervention zu Gunsten der bosnischen Muslime notwendig wäre.
    Die Rechte (mit Neocons etc.) wird immer schnell beim Kriegführen sein, die Linke, nun ja, ich glaube, die „echten“ Pazifisten sind auch da nicht wirklich die Mehrheit.
    Nun noch was anderes: Sie schreiben, dass in einem >>>“failed state“ Chaos, Anarchie, endemische Gewalt um sich greifen.

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