Abgründe des Bobotums

Wegen überraschend großer Nachfrage prolongiert: Ein Feuilleton zum "Poschardtismus", diesmal für die Sendung "Der Tag" des Hessischen Rundfunk.

Seitdem die Unterschicht von einer sozialökonomischen Kategorie zu einer kulturellen geworden ist, ist es wieder erlaubt, von oben nach unten abschätzige Blicke zu werfen. Unterschichtler, das sind doch die in farbigen Unterschichtstrainingsanzügen. Die Pommes- und Pizza-Fresser. Die mit den Unterschichtshunden. Jene kurzum, die selbst Schuld an ihrem Elend sind. Das darf heute wieder gesagt werden, schließlich hat ja sogar ein SPD-Vorsitzender gemeint, die hätten in drei Wochen einen Job, wenn sie sich waschen und rasieren würden.

 

Die Oben stellen dagegen ihre Verfeinerung zur Schau. Für die gibt es jetzt die Vanity Fair, das Magazin für die „neue Generation der Leistungselite“, wie das Chefredakteur Ulf Poschardt so unnachahmlich formuliert. Für die, die ihn nicht kennen: Das ist so ein faltenfreier Winnertyp, der die Bundesrepublik für eine „Sozialidylle“ hält, in der die „Bestrafung von Leistung“ oberstes Staatsziel sei, wo die Nichtstuer in „Hartz-IV-Luxus“ leben.

 

Das klingt nicht viel anders, als das ein durchschnittlich einfältiger Pressesprecher eines Arbeitgeberverbandes sagen würde, und auch die Spießer, die den Deutschen wieder mehr Pflichtbewusstsein, Nationalstolz und Familiensinn – kurzum: ein ebenso grundsolides wie altväterliches Wertefundament – verordnen wollen, reden ganz ähnlich daher. Und doch ist der Typus Poschardt unter den Phänotypen des deutschen Neukonservativismus eine eigene Gattung.

 

Denn es gibt ihn: Den Typus der urbanen Bobos, aufgestiegene Mittelstandsbubis, die früher Pop gehört und Müll getrennt haben und nun, weil sie sich im bundesrepublikanischen Sozialstaat langweilen, mehr Härte ins Leben bringen wollen. Wohlgemerkt: Mehr Härte ins Leben der Anderen. Die auf lässig tun, die eigene Aufgeklärtheit hervorkehren, fest davon überzeugt, sie seien etwas Besseres, weil sie an der Spitze des Fortschritts marschieren. Selbstunternehmer, die die eigene Coolness vermarkten, worauf sie doch alles Recht haben, schließlich haben sie ja Erfolg. Die Loser, die sind uncool, so der Umkehrschluss, und haben deshalb ihren Misserfolg ebenso verdient. Ist doch nur gerecht, oder?

 

Was den Poschardt-Typus vom Traditionsspießertum unterscheidet, ist, dass er den neoliberalen Neiddiskurs mit dem Geist der Revolte, mit dem Poprebellentum und dem Erbe von Punk und Nonkonformismus kurzschließt. Der Staatshass des Punk und der Verwirkliche-Dich-Selbst!-Imperativ der Gegenkultur, vertragen die sich nicht viel besser mit dem Ultraliberalismus als mit der altbackenen Sozialstaatsromantik der Sozis und dem sauren Moralismus der `68er, wird aus dieser Ecke gefragt?

 

Von den rebellischen Energien bleibt in diesem geistigen Milieu der Glaube an die „schöpferische Zerstörung“, für die der Kapitalismus sorgt, dem man deshalb freie Hand lassen soll. Vom Abenteuergeist der Revolte bleibt der erotische Kitzel angesichts der Härten der Existenz, die den Losern verordnet werden. Und von der Ich-Bezogenheit der Selbstverwirklichung bleibt ein kaltherziger Ego-Existenzialismus.

 

Wir sehen mit Schrecken: Von der Coolness zum Spießertum ist es oft gar nicht allzu weit.

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