Hohle Flächen

Ein hippes Stilbrevier für coole Erfolgsmenschen und flotte Bobos hätte Vanity Fair werden sollen. Nach drei Nummern ist die Zielgruppe enttäuscht. Die ist freilich die unmöglichste Zielgruppe, die es gibt. Falter, 28. Februar 07

Man kann natürlich sagen, die deutschsprachige Vanity Fair ist bloß ein neues buntes Blatt aus der Vogue- oder Park-Avanue-Klasse. Mit dem Neunziger-Jahr-Deutschstar Til Schweiger, mit Gisele Bündchen (Grasser gab’s nur als Österreich-Mutation), mit der Hurley am Cover, mit Party-Talk und altbacken freigestellten Bilderchen von Halbprominenten. Möglicherweise ein Geschäftserfolg, aber sonst nicht der Rede wert.

 

Man kann natürlich auch sagen, dass der Vanity-Fair-Chefredakteur Ulf Poschardt einer dieser faltenfreien Winnertypen ist, der so von sich gibt, was auch ein durchschnittlich einfältiger Pressesprecher eines Arbeitgeberverbandes von sich gibt: dass der bundesrepublikanische Wohlfahrtsstaat eine „Sozialidylle“ ist, in der die „Bestrafung von Leistung“ oberstes Staatsziel sei, wo die Unterklassen in „Hartz-IV-Luxus“ leben, alles Faulpelze, „die es sich im sozialen Netz bequem gemacht haben“. Einer von diesen schlagfertigen Typen eben, der in Talkshows, kaum dass einer beklagt, die Globalisierung würde den Sozialstaat kaputt machen, garantiert dazwischenbellt: „Das ist ja das Gute an der Globalisierung“.

 

Aber es gibt da doch etwas Neuartiges, das natürlich nicht völlig originell, aber doch zumindest spannend ist an diesem Blatt, das bisher drei Mal herausgekommen ist – wenngleich eher im Versuch spannend, als in der Realisierung. Das ist der Versuch, Subkultur, das Hippe, das Schräge mit dem Glamour kurzzuschließen, den Underground und die Celebrities und das Rebellische mit dem Ultraradikalismus.

 

Poschardt, 39, Ex-Tempo-Autor, Ex-Süddeutsche-Magazin-Macher, hat, das bestätigen alle, die er für seine neue Wundertüte umwarb, ein Programm: Einen neuen, metropolitanen, kosmopolitischen, hybriden Stil in Deutschland zu etablieren und den zum neuen „Deutschland-Stil“ zu machen. Das ist, wie einer sagt, „seine individuelle Obsession“. Im Blatt selbst gibt es davon bisher nur Spurenelemente: Etwa in der großen Story im jüngsten Heft über die toperfolgreichen Migranten in Deutschland. Schauspieler, Regisseure, Politiker, Geschäftsführer, Professorinnen, Ebay-Chefstrategen, Geschäftsführer, die alle eines verbindet: Dass sie Einwanderer der zweiten Generation sind. Menschen, die ihre Chance auf Erfolg ergriffen haben, statt „sich frustriert in der Rolle der Versager zu heroisieren“, die werden von Poschardt und seinen Leuten hoch gefeiert. Poschardts Lebensmotto: Er unterteile seine Zeitgenossen nicht in Arm und Reich, sondern in Faul und Fleißig.

 

Ein Blatt für die „neue Generation der Leistungselite“ wolle er machen, hat Poschardt vollmundig angekündigt. Das Resultat sind ansprechend fotografierte Storys über Gründerhelden des Web 2.0, vom Myblog-Erfinder bis zu den österreichischen Jajah-Entwicklern, von den schrägen Ehrensenf-Web-TV-Leuten, bis zu den Last.FM-Erfindern.

 

Das Ziel: Ein kluges Stil-Brevier für urbane Bobos, die sich gerne unterhalten lassen, aber auch nicht völlig auf Sinn verzichten wollen. Ein Zentralorgan eines neuen Glamourbegriffs hätte es werden sollen: mit dem Chic der digitalen Boheme, voll mit coolen Thirtysomethings, ein bisschen stromlinienförmig, aber nur ja nicht zu viel Mainstream, ebenso Ideal für den Borchardt-Habitué wie für das Tresenpublikum von Café Burger und White Trash (Übersetzung für Wiener Verhältnisse: so alles zwischen Novelli, Anzengruber und Fluc). „Anspruchsvolle, informative Unterhaltung“, „hohe Hedonismus- und Konsumkompetenz“ für die „Mover“ und „Shaker“, so hört sich das in den Sprechblasen an, die Poschardt tagein, tagaus, seit dem Launch der Zeitung loslässt.

 

Noch sind die ganz in weiß gehaltenen Flure in den schicken Vanity-Fair-Etagen Ecke Friedrichstraße / Unter den Linden etwas unterbelebt – 80 Leute sollen dereinst im Vollausbau das Blatt wöchentlich machen. Alles weiß: Die Wände, die Möbel, sogar die Böden. Verbürgt ist, dass das Mitnehmen von Topfpflanzen verboten ist (störendes Grün im durchgestylten Weiß!). Dass an die Mitarbeiter Filzpantoffel ausgegeben worden wären, damit der Boden nicht zerkratzt wird, ist dagegen nur ein böses Gerücht. Wäre ja wieder auch extrem uncool, in Patschen im Büro, das würde zu sehr an die Gesundheitspantoffel von Beamten erinnern, und die sind ja das Gegenteil von Movern und Shakern.

 

Aber doch will Vanity Fair, zumindest der Idee nach, kein bloßes Lifestyle-Tratsch-Blatt sein. Das erklärt auch die seltsame Enttäuschung, die man nach drei Nummern gerade von Leuten zu hören bekommt, die sich ansonsten nicht als Zielpublikum der Hochglanzmagazine sehen würden (und deshalb naturgemäß von diesen auch nicht enttäuscht werden können). Soll das alles gewesen sein? So mager ist das Resultat des hohen Anspruchs, die marginalen Stile, das Schräge, das Subkulturelle in eine massentaugliche Bildsprache zu übersetzen? Die hochgeschraubte Hoffnung war, Vanity Fair könnte schaffen, was in den siebziger Jahren der Stern leistete, der den Normalos die 68er erklärte, mit schönen Fotostrecken über die Kommune 1 und Uschi Obermeier am Cover. Die Hoffnung war, kurzum, Vanity Fair könnte eine Art Spex für den Mainstream werden. Aus diesen Extra-Ansprüchen erklären sich schließlich auch die schlechten Kritiken für ein Blatt, das natürlich eher besser als schlechter ist als alle Konkurrenz im betreffenden Marktsegment. Die Fallhöhe ist bei Vanity Fair aber einfach eine andere als bei Gala oder Max.

 

Zumindest als Symptom freilich ist interessant, dass ein solches Scharnier zwischen Sub-, Avantgarde- und Celebitykultur überhaupt versucht wird – bis zu 50 Millionen Euro, heißt es, sei dem amerikanischen Verlagshaus Condé Nast der Marktgang wert (Auflagenziel: 120.000 Exemplare). Die Gegenkultur mit ihrem Abscheu gegenüber Kommerz und den Klagen über die „Totalökonomisierung der Kultur“ ist schließlich auch nur ein Marktsegment. Mehr noch: das Avancierte, Avantgardistische ist ein besonders produktiver Stillieferant für den Lifestyle-Kapitalismus und die „digitale Boheme“ sorgt für das, was man heute Content nennt (früher hätte man „Kreativität“ gesagt, oder einfach: Texte). Für diese Paradoxien hat Ulf Poschardt einen wachen Instinkt und das macht ihn auch zu einem der interessanteren Typen unter den Bobo-Unsympathlern. Seit Jahr und Tag versucht er, den neoliberalen Neiddiskurs mit dem Poprebellentum, Punk und Nonkonformismus kurzzuschließen. Schließlich vertrage sich der Verwirkliche-Dich-Selbst!-Pathos der Gegenkultur doch bestens mit dem Selbstunternehmertum und den Selbstvermarktungsstrategien, wie sie für den modernen Lifestylekapitalismus typisch sind. Da ist mehr dran, als den alten „Fuck-the-System“-Punks lieb sein kann: Von der Gegenkultur ist es eben nur ein kleiner Schritt zum Ego-Existenzialismus, und vom Sartre-Jüngertum über die urbane Bobo-Kultur bis zum Neospießertum führt oft ein zwar krummer, aber doch auch irgendwie gerade Weg.

 

Das schließlich ist auch die Antwort auf die Frage, die man neuerdings immer häufiger zu hören bekommt: „Warum will heute keiner mehr ein Bobo sein?“ Aber ohnehin ist der Bobo die unmöglichste Zielgruppe überhaupt: Die alte Systemkritik kann er nicht mehr hören, aber für Totalaffirmation ist er sich dann doch auch zu gut.

 

Poschardt wird, um die Quadratur dieses Kreises zu schaffen, noch üben müssen. Das Coolste an der Sache, hat eine Kritikerin erschüttert angemerkt, ist die E-Mailadresse des Chefredakteurs: posh@vanityfair.de. Nun, vielleicht wird ja noch was draus. „Schöne Oberflächen müssen nicht hohl sein“, hat Poschardt unlängst gesagt. Klar. Hohle Flächen, wär ja auch irgendwie schwierig.

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