„Fuck off, RAF“

Die Wiener „Kunsthalle“ liefert mit Hans-Peter Feldmanns „Die Toten“ ihren Beitrag zur neu aufgelegten Debatte über die RAF – einem Faszinosum, das nicht vergehen will. Falter, 14. März 2007

 

 

Hamburg, frühe siebziger Jahre. Eine junge Frau, tief in Schwarz gekleidet. Jeden Nachmittag ging sie von der U-Bahn-Station am Fußballplatz vorbei, der Kopf stets leicht gesenkt. Und immer, wenn die Trauernde vorbeikam, wurden die Jungs am Bolzplatz merkbar stiller, berichtete unlängst einer der jungen Kicker. „Schwarz stand für den Tod.“ Irgendwann fragte einer der Burschen daheim, was es mit der jungen Frau denn auf sich hatte. „Der Mann, erschossen, von Terroristen“, war die Antwort. Der Polizist Norbert Schmid war von RAF-Leuten bei einer Personenkontrolle einfach abgeknallt worden. Last Exit Gerichtsmedizin.

 

Auf neunzig Bildern zeigt Hans-Peter Feldmann „Die Toten“. Die Toten von Studentenbewegung, eskalierendem linken Terrorismus bis zum Ende der „Roten Armee Fraktion“. Ab Donnerstag ist Feldmanns Präsentation in der Kunsthalle im Museumsquartier zu sehen, begleitet von einem avancierten Diskursprogramm (siehe Kasten). Unpathetisch Extradry werden Feldmanns Abzüge an eine Wand gepinnt. Die unrhetorische Rhetorik, ein ostentativer Kontrast zu den beredten Bildern, die den „Mythos RAF“ noch immer illustrieren. Glück für die tüchtigen Museumsmacher: Gerade ist wieder einmal eine RAF-Debatte losgebrochen, nachdem die vorzeitige Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt verfügt wurde und ein zunehmend hysterischer Streit um die mögliche Begnadigung Christian Klars entbrannte.

 

„Die RAF fasziniert noch heute“, proklamierte die Hamburger „Zeit“ vergangene Woche. Eine Behauptung, die eigentlich verrückt klingt, und die dennoch keine Beweise braucht. Die RAF ist ein Faszinosum, das einfach nicht vergehen will. Menschen endeten mit Löchern im Hinterkopf, Unbeteiligte starben im Kugelhagel. Und von den  Stadtguerilleros selbst gingen zwanzig meist junge Leute drauf – durch Selbstmord, bei Hungerstreiks, bei Schusswechsel. An sich eine abstoßende Bilanz, die durch entrückte Einlassungen ehemaliger RAF-Gefangener nicht gerade in milderem Licht erscheint. „Die Niederlage der Pläne des Kapitals … vollenden“, will Christian Klar. Welche Niederlage? Wie vollenden? Noch bizarrer Inge Viett, einst die Führungsoffizierin der hiesigen Palmers-Kidnapper. Die Ex-Terroristin nennt heute noch allen Ernstes „die Geschichte des antifaschistischen Widerstands und unsere nachfolgende Widerstandsgeschichte“ in einem Atemzug.

 

Trotzdem ist die RAF bis heute von einem seltsamen Glanz umweht. Es ist nicht leicht, über die Faszination RAF zu reden, ohne an den Legenden weiterstricken. Wie macht man den Mythos von der reinigenden Kraft der Gewalt verstehbar, ohne ihn damit gleichzeitig am Leben zu halten? Und wie weist man die Mythologisierungen zurück, ohne in die billige Distanzierungspose zu verfallen, die ganz schnell umkippt in das selbstgerechte „Ich? Ich bin dafür natürlich überhaupt nie anfällig gewesen?“

 

Wer dafür nie anfällig war und niemals anfällig sein könnte, bitte aufzeigen. Wer sich jetzt meldet, der lügt meist. Und jede Generation hat ihren eigenen Grund zum Falschsprech. „Wer am 7. April des Jahre 1977 die Karl-Marx-Buchhandlung an der Frankfurter Uni betrat“, schrieb der Essayist Rudolf Walter unlängst, „wurde von einem aufgeregten Verkäufer empfangen. ‚Buback ist erschossen worden! Findest du das gut oder blöd?’ Die Antwort wurde in eine Strichliste eingetragen. Die meisten Striche standen unter ‚gut’“. Der Buchhändler war Daniel Cohn-Bendit. Nach dem Gewaltjahr 1977 rief ein führender Kopf des „Revolutionären Kampfes“, einer sehr militanten Sponti-Gruppe, in einer legendären Rede: „Gerade weil unsere Solidarität den Genossen im Untergrund gehört, weil wir uns so eng mit ihnen verbunden fühlen, fordern wir sie auf, Schluss zu machen, die Bomben wegzulegen und Steine wieder aufzunehmen“. Der Genosse, der sich da vom „Todestrip“ der RAF-Genossen distanzierte, war Joschka Fischer. Einer der RK-Kumpel war zwei Jahre davor am OPEC-Überfall in Wien beteiligt, ein anderer ist heute Chefredakteur von Springers „Welt“.

 

Die einen wurden Terroristen, die anderen sind gefeierte Pioniere der Zivilgesellschaft. Walter: „Wer von denen, die dabei waren, sitzt heute in schwarz-grünen Stadtparlamenten? Im Bundestag? Im Hamburger Institut für Sozialforschung.“ Die nachträgliche Entmischung war eine schmerzhafte Sache, gewiss. Und die Revolutionäre, die hart am Hochsicherheitstrakt vorbeigeschrammt waren und dann in den Institutionen hochgeschwemmt wurden, hatten es nicht leicht: Jahrzehnte mussten sie sich als „Terroristenfreunde“ beschimpfen lassen. Die Folge: Einerseits Distanzierung. Andererseits hartnäckig schlechtes Gewissen gegenüber denen, die im Knast versauerten, während man sich selbst im Dreireiher entfaltet hatte. Natürlich war da irgendwann die feste Überzeugung, dass der bewaffnete Weg der falsche Weg ist. Immer aber auch die bohrende Frage, ob am Beginn dieser Überzeugung nicht Bequemlichkeit stand.

 

Ein Emo-Cocktail, der die überschießenden und ambivalenten Reaktionen in der Generation derer erklärt, für die die RAF-Leute, bevor sie abtauchten, Teil „unserer“ Szene waren. Und der auch erklärt, warum man die Wortmeldungen zum Komplex RAF aus dieser Generation so oft so unehrlich empfindet.

 

Es gab diese Gewaltfaszination, den Gruppendruck, die Psychodynamik in linken Zirkel, in denen derjenige als der bessere Revolutionär gilt, der den Mut für die irrere Aktion aufbringt, bis die Gewalt nicht nur das Mittel ist, das die Zwecke heiligt, sondern der Zweck selbst. Deshalb auch die nachhaltige Irritation, die von Andreas Baader ausgeht, der virilen Zentralfigur der RAF, einer Art Alain Delon des Linksterrorismus. Einen „Dandy des Bösen“ hat ihn Karin Wieland genannt. Er war kein Hippie, kein Kopfmensch und auch keine Mao-Imitation, sondern ein Borderliner, der wie aus einem Nouvelle-Vague-Film entsprungen schien. Schön, wild, unzivilisiert. Diese Gewaltfaszination, formulierte Jan Philipp Reemtsma vergangene Woche in der „Zeit“, führte dazu, dass es vielen so schwer fiel, „die Wirklichkeit der RAF angemessen zu beschreiben: als eine Reihe sinnloser brutaler Gewalttaten“. Da ist schon etwas dran, aber doch wirkt wiederum auch der Energieaufwand, mit dem Reemtsma und seine Mitstreiter des Hamburger Instituts für Sozialforschung seit Jahren versuchen, die „Motive“ der RAF-Leute zu dekonstruieren und ihre Taten auf die schiere Lust an Machtausübung und Gewalt zu reduzieren, irgendwie verdächtig. Ob da nicht jemand mit überschießender Rhetorik etwas abzutrennen versucht, indem Terrorismus zum „Kult der Gewalt“ umgebogen wird – und damit entpolitisiert?

 

Dass man das Böse mit einem großen, gewaltigen Knall erst aus der Welt schaffen muss, um die Welt für das Gute reif zu machen – diese Vorstellungsreihe ist tief eingeschrieben in die linke Kulturgeschichte. Die französische Revolution erkämpfte die Menschenrechte with a little help of the Guillotine, und Wolf Biermann besang Che Guevara als „Jesus Christus mit der Knarre“. Zu leicht macht man es sich, wenn man allein die RAF als „Terrorsekte“ abtut. Eher hat sie realisiert, was viele phantasierten.

 

Das Gewaltfaszinosum hat noch andere Gründe. In postmodernen Konsumkapitalismus mit seiner leeren, homogenen Zeit, breitet sich so etwas wie eine existenzielle Langeweile aus. Eine sich selbst ermächtigende Terrorgang erscheint da noch Ex-Post als Einbruch der Intensität, der politischen Leidenschaften in die Fadesse, als verlockende Möglichkeit, die ewigen Mittelwege zu durchkreuzen. „Bist du bereit zu Fighten?“, soll eine von Andreas Baaders Lieblingsphrasen gewesen sein. RAF steht heute wieder, wenngleich als seltsam entleertes Zeichen, für „Action“, „Risiko“. Reinhard Mohr hat die RAF-Idealisierung in Teilen der Radical-Chic-Milieus denn auch als „Reflex auf die große gesellschaftliche Leere nach dem Bankrott der geschichtsoptimistischen Utopien und Visionen“ gedeutet.

 

Die Mythen sind nicht totzukriegen. Auch nicht durch den kühlen Hinweis auf die zynische Menschenverachtung, auf die Ignoranz von Leid, die schnell erreicht waren, sobald die Grenze zum „bewaffneten Kampf“ überschritten war. Killer schaffen keine gerechte Gesellschaft. Aber wäre es nur die RAF gewesen, die Politik in den Kategorien des Militärischen, von Stellungskrieg, Front, Konfrontation, „letztem Gefecht“, dachte, es würde kein Hahn mehr nach ihr Krähen.

 

Vor ein paar Jahren beendete der Schreiber eines Leserbriefes an die Berliner taz seine Einsendung mit den daraufhin legendär gewordenen Worten: „Fuck off, RAF.“

 

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