„Ich denke schon, dass sie ein bisschen etwas tun“

"Eine der bemerkenswertesten Figuren des heimischen Journalismus", nennen mich die Kollegen vom Online-Jugendmagazin FM5. Das hört der Mensch natürlich gern. Das Interview, das sie mit mir über die österreichische Innenpolitik, moderne und unmoderne Linke, neue Spießer und mein im Herbst erscheinendes Buch gemacht haben, kann man etweder hier auf der FM-5-Page lesen oder hier unten.

 Foto: Johannes Rausch


„Seit mein ehemaliger Privatsekretär Shraga Elam, der weltberühmte Zürcher “Recherchierjournalist”, aufgehört hat, jeden meiner Schritte zu notieren und zu protokollieren, wird diese Aufgabe immer öfter von Robert Misik übernommen, einem Wiener Privatmarxisten und Korrespondenten des Kinder-Stürmer aus Kreuzberg. Misik ist nicht nur der Alptraum aller Friseure, er hat sich auch einen Namen dadurch gemacht, dass er am liebsten über Dinge schreibt, von denen er keine Ahnung hat, und über Events berichtet, bei denen er nicht anwesend war. So wie Karl May, nur weniger unterhaltsam.“ So schreibt der durch seinen jüngsten Zwischenfall in Wien (http://www.taz.de/pt/2007/02/27/a0134.1/textdruck) medial wieder wahrgenommene deutsche Publizist Henryk M. Broder auf einem Weblog namens „Die Achse des Guten“, das er sich mit anderen namhaften Autoren teilen muss.

Man merkt es bereits: Der Journalist und Autor (zuletzt erschienen: „Genial dagegen. Kritisches Denken von Marx bist Michael Moore“, Aufbau-Verlag) Robert Misik, ständiger Mitarbeiter von Blättern wie Falter, Profil, Standard und Taz, reflektiert stark. Man hat es bei ihm mit dem zurzeit wohl interessantesten linken Journalisten zu tun, der immer wieder mit seiner markanten, kritischen Schreibe in den offenen Wunden des öden Bürgertums herumstochert. Das Freie Magazin führte mit ihm ein Gespräch über die aktuelle österreichische Innenpolitik, über die Linke, über das Phänomen „Neuer Spießer“ und über den heimischen Nachwuchsjournalismus.

FM5: Was erwarten Sie sich von Alfred Gusenbauer bzw. seiner Regierungsmannschaft?

Robert Misik: Erhoffen oder erwarten? (lacht) Vielleicht sollten wir das mal auseinander halten. Jetzt haben wir eine Große Koalition. Die hat einmal einen ganz entscheidenden Vorteil: Sie ist nicht mehr die alte Regierung! Schwarz-Blau existiert so nicht mehr. Sie hat vielleicht auch noch einen zweiten Vorteil: die ÖVP ist ja in der Koalition mit der FPÖ in Richtung der FPÖ-Positionen gedriftet. Daraus folgte eine Polarisierung des gesellschaftlichen Klimas, was seine Vorteile hat, aber auch gehörige Nachteile. Nun rückt die ÖVP wieder mehr in die Mitte des Mainstreams der christdemokratischen Parteien Europas.

FM5: Dass Schwarz-Blau sozusagen Geschichte ist, liegt aber nicht primär daran, dass das Wahlergebnis nach links gerückt ist, sondern eher an internen Konflikten in der FPÖ.

Misik: Das bestreite ich ja überhaupt nicht, nur das Setting ist jetzt zum Beispiel in der ÖVP ein anderes. In der Koalition mit der Sozialdemokratie gibt es eine zum Teil andere Mannschaft als es in Schwarz-Blau gäbe oder in der Opposition. Es könnte einen gewissen zivilisierenden – man könnte sagen – resozialisierenden (lacht) – Effekt auf die Christdemokratie haben; das wäre nicht schlecht.

Zurück zur Einstiegsfrage: Ich würde mir erhoffen, dass es eine Öffnung des gesellschaftlichen Klimas gibt, für das sozialdemokratische Regierungen ja sorgen können; das hat es in der Geschichte gegeben. Dass man zum Beispiel bei der Integrationspolitik sagt: „Okay, das sind Bürger dieses Landes und nicht für immer Ausländer, selbst wenn sie seit 40 Jahren hier leben und hier geboren worden sind.“
Oder: Das derzeitige Bildungssystem verhindert, dass die, die in der Elite sind in der Elite bleiben und eben Kinder derer, die es nicht sind, nicht werden. Nicht nur das. Es kommt sogar zum Verlust an sozialer Gerechtigkeit. Da waren unsere Gesetze schon mal durchlässiger als sie es heute sind.
Und man könnte sich erhoffen, dass auf Ebene der symbolischen Politik die richtigen Signale gesendet werden. Allerdings erwarte ich da nicht viel.

FM5: Wieso nicht?

Auf diesen Ton sind die Leute , die jetzt bei der Sozialdemokratie dran sind, zum großen Teil nicht gestimmt. Das hat etwas mit ihrer Sozialisation in diesem Apparat, mit dieser Unhippness, die diese Generation über 20 Jahre kultiviert hat, zu tun. Und ihrem Desinteresse an Fragen der symbolischen Politik und des Imaginären.
Zusammenfassend: Ich denke, dass Gusenbauer sehr wohl die Möglichkeit hätte, aus seiner Kanzlerschaft etwas zu machen: Er könnte das Land weltoffener und gerechter machen und auch die Diskurse verändern. Ob ich sehr zuversichtlich bin, dass das auch geschieht, ist eine andere Frage. Dafür bräuchte es nämlich einen wachen Instinkt für die Bedeutung des Symbolischen in der Politik.

FM5: Sie waren in den 80er Jahren bei den „Revolutionären Marxisten“ tätig und haben eine Einführung über Marx ("Marx für Eilige") geschrieben. Was man in ihren Artikeln liest, sind durchaus radikale Sachen, aber trotzdem haben Sie diese Erwartungen an die Sozialdemokratie. Wie lässt sich das vereinbaren?

Misik: Es ist ja nicht so, dass ich jetzt fokussierte Hoffnungen an die Sozialdemokratie hätte…

FM5: Aber Sie haben doch die SPÖ gewählt, oder?

Misik: Ich habe bei der letzten Wahl wahrscheinlich SPÖ gewählt, ich weiß es nicht mehr ganz genau. Es würde aber, um ehrlich zu sein, keinen Unterschied machen, wenn ich Grüne gewählt hätte; auf der elektoralen Ebene macht das keine größere Differenz.
Es ist nicht unbedingt ein Widerspruch! Natürlich würden sich meine Hoffnungen – das klingt jetzt so pastoral! – auf soziale Bewegungen stützen. Grundsätzlich bin ich undogmatisch. Wobei ich nicht von mir behaupte, ich unterstütze die Sozialdemokratie. Unter Unterstützung würde ich schon etwas Energischeres verstehen! Aber nehmen wir nur ein Beispiel in Deutschland: Natürlich würde ich mir in Deutschland, wenn ich mich entscheiden würde wollen, schon überlegen, ob – wenn wir auf der Eben der elektoralen Politik bleiben – es eher die Linkspartei ist, wo man am meisten Positives bewirkt, bei all den Schwächen, die die wiederum haben.
Aber nur zu sagen: „Ich möchte politisch sauber bleiben!“ und über die Realität des Umsetzungsprozesses mache ich mir überhaupt keine Gedanken, kann hin und wieder dazu führen, dass die anderen rankommen und dass man Schlechteres bewirkt!

FM5: Um von der tristen österreichischen Politik wegzukommen: Sie haben mit sehr vielen Leuten aus der globalen Linken Interviews geführt und es gibt global extrem unterschiedliche Bewegungen, sehr unterschiedliche Probleme mit unterschiedlichen Ansätzen. Welche Ideen, welche Länder haben das größte Potenzial linker Politik?

Misik: Das ist eine Frage, die man auf verschiedenen Ebenen beantworten muss: Auf der Eben der politischen Theorie, des politischen Nachdenkens, würde ich die Gedankengänge der italienischen Operaismus-Bewegung und den Post-Operaismus erwähnen. Diese Theorie hat als Erste auf die völlige Verwandlung der Gesellschaft durch das Ende des Fordismus geantwortet. Sie ist damit wirklichkeitstauglicher geworden. Die Linke, die aus der fordistischen Tradition stammt und deren über den Fordismus hinaus Anhänger…

FM5: Man könnte hier die SPÖ in weiten Teilen nennen.


Misik: Natürlich! Das gesamte klassische, auch links-sozialdemokratische Milieu; also gar nicht so sehr die Mainstream-Sozialdemokratie, sondern der linke Teil. Dieses Problem hat man bei der Linkspartei zum Beispiel noch viel stärker. Die hat so ein nostalgisches Verhältnis zu dem, was früher war; absurderweise: In den 70er Jahren hat man das „Scheißsystem“ bekämpft, heute wirken die 70er Jahre aus dieser Perspektive wie das Paradies. Und die kann bestimmte Befreiungsmomente, die natürlich die Auflösung des steinernen Gehäuses, des Fordismus, überhaupt nicht wahrnehmen.

FM5: Und welche Ideen faszinieren sie auf Ebene der Realpolitik?

Misik: Auf der Ebene der realen Wirtschaftspolitik oder Realpolitik in den entwickelten industrialisierten Ländern würde ich sagen, die Erfahrungen, die man mit dem skandinavischen Modell gemacht hat. Das sollte man sich anschauen; und zwar sehr genau!


FM5: Um zu einem aktuellen gesellschaftlichen Phänomen, der sogenannten „Neuen Bürgerlichkeit“, zu kommen: In Bezug auf das von Ihnen im „Falter“ rezensierte, von Christian Rickens verfasste Buch „Die neuen Spießer“. Warum sind diese neo-konservativen Gedanken im deutschsprachigen Raum so tragfähig?

Misik: Also erstens ist das mal ein Medienphänomen! Ich glaube nicht, dass jetzt deutlich mehr Menschen in die Kirche gehen, deutlich mehr Menschen Tischgebete sprechen. Man könnte vielleicht sagen: Es sind letzte Zuckungen von etwas.

Es gibt, glaube ich, zwei Phänomene innerhalb dieses Kontexts der neuen Spießigkeit. Das eine ist diese altväterliche Spießigkeit – alte Werte, zurück zur Familie, Frau an den Herd – die können wir vernachlässigen. Das sind eher Leute, die Ressentiments gegen die Wirklichkeit, die eben heißt Globalisierung, Verbreitung des Konsumismus, des Hedonismus, etc. haben und damit Abwehrkämpfe führen.
Das andere Phänomen – und das finde ich im Moment interessanter – ist quasi eine Art von neuer Spießigkeit, die ihre Einflüsse auch aus der Geschichte der Gegenkultur heraus nimmt. Wir müssen ja leider feststellen, dass sich bestimmte Motive der Gegenkultur – „Ich will mein eigener Herr sein!“ – ganz gut unter den Hut des Neoliberalismus bringen lassen.

Der Postfordimus braucht genau solche Subjekte, die alle Unternehmer ihrer selbst sind, zum Teil unter widrigen Bedingungen Selbstausbeutung machen, aber teils auch unter guten Bedingungen, sich selbst vermarkten. Dieses Milieu lebt gewissermaßen in einem Widerspruch. Nämlich einerseits zu sagen: „Mit diesem furchtbaren Kapitalismus und Kommerz will ich nichts zu tun haben – ich bin die Gegen- und Subkultur!“ Und in Wirklichkeit ist man quasi einer der wesentlichen Träger des postfordistischen Kapitalismus.


FM5: Sie sprechen jetzt die „BOBOS“ (bourgeois Bohèmians) an.

Misik: Genau, das sind die „BOBOS“. Solange sie noch „BOBOS“ waren, haben sie dieses Dilemma in der Schwebe gehalten. Aber in diesem Milieu gibt es Tendenzen hin zu einer zunehmenden neoliberalen Hartherzigkeit. So quasi: "Wir „Digital Boheme“ sind ja alle fleißige Leute, kümmern wir uns doch nicht mehr um die Loser!“ Und das würde ich schon als die Art des „BOBO“-Spießertums bezeichnen, die entbehrlicher ist.


FM5: Zum Abschluss: Was kann man sich von Ihrem im Herbst erscheinenden Buch „Kulturalisierung der Ökonomie“ erwarten?

Misik: Mein neues Buch wird sich, kurz gesagt, dem Lifestylekapitalismus widmen. Allgemein wird eine Ökonomisierung der Kultur beklagt. Dabei wird gerne übersehen, dass es sich dabei auch um eine Kulturalisierung der Ökonomie handelt.
In vielerlei Hinsicht. So kaufen wir, wenn wir eine Ware kaufen, heute doch meist den Lifestyle-Aspekt, und weniger deren praktischen Gebrauchswert. Der wird ohnehin vorausgesetzt und würde die eine Ware von den vielen anderen noch nicht unterscheiden. Wir kaufen mit den Waren auch unsere Identität zusammen. Motto: Ich bin Adidas, Du bist Armani.
Ein anderer Aspekt dieser neuen Qualität der Kulturökonomie ist natürlich, dass Werte aus der Künstlerwelt in die Wirtschaftswelt einwandern: Kreativität, Ungezwungenheit, das Provokative – das waren früher Werte, die konträr zu den Werten des Ökonomischen standen, heute sind sie Imperative im Wirtschaftsleben. Und es gibt unzählige weitere Aspekte, die Anlass geben, von einem veritablen Kulturkapitalismus zu reden. Ich bin sicher nicht der erste, dem das auffällt. Aber in meinem Buch versuche ich, dieses Kulturparadigma erstmals umfassend zu analysieren.


FM5: Vielen Dank für das Gespräch!

Ein Gedanke zu „„Ich denke schon, dass sie ein bisschen etwas tun““

  1. bin gespannt auf das neue buch. zum thema ökonomisierung der kultur und vice versa ist das buch des züricher stadtgeographen Philipp Klaus: Stadt, Kultur, Innovation. Kulturwirtschaft und kreative innovative Kleinstunternehmen in der Stadt Zürich; Seismo Verlag, Zürich 2006, 256 Seiten, Euro 26.50 sehr interessant. arbeitet am besipiel einer stadt und auch etwas empirisch. er untersucht den switch der jugendbewegung hin zu zürich als party-stadt etc. ist auch als einführung ins thema ganz gut geeignet.

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