Stimmungskanonen

Rüstungspolitik. Die USA wollen in Osteuropa Raketen aufstellen, die niemanden bedrohen aber wahrscheinlich auch gegen nichts nützen. Das Ergebnis ist ein obskurer Streit zwischen den USA und Russland sowie zwischen West- und Osteuropa. profil, 26. März 2007

Stimmungskanonen

 

Rüstungspolitik. Amerika will in Osteuropa zehn Raketen aufstellen, die niemanden bedrohen und möglicherweise gar nichts nützen – dafür lösen sie jetzt schon einen bizarren Streit zwischen West- und Osteuropa sowie zwischen Amerika und Russland aus. 

 

Eigentlich gilt Deutschlands SPD-Vorsitzender Kurt Beck als einer, der für Machtbeteiligung gerne den einen oder anderen faulen Kompromiss eingeht und zu markigen Worten allenfalls dann neigt, wenn er – wie zuletzt im Dezember – einem aufsässigen Arbeitslosen am Weihnachtsmarkt begegnet. Doch dieser Tage klingt der Ministerpräsident aus der Pfalz wie ein Anführer der Friedensbewegung der achtziger Jahre. „Es ist ein Irrglaube, dass mehr Waffen zu mehr Sicherheit führen“, macht Beck auf Peacenik, und: „Wir brauchen nicht mehr Raketen.“

 

Damit hat Beck schon eine kleine Koalitionskrise in Berlin ausgelöst – schließlich will Kanzlerin Angela Merkel mit den Amerikanern noch freundlich über deren Pläne reden, auch in Polen und Tschechien Abfanggeschoße und Radartechnik für ihr globales Raketenabwehr-Projekt zu stationieren.

 

Für Beck und seine Sozialdemokraten, denen es ohnehin derzeit an publikumswirksamen Themen gebricht, ist es eine willkommene Gelegenheit, sich zu profilieren: Endlich wieder Frieden. Und eine billige noch dazu: Denn über das Raketenprogramm der Amerikaner muss in Berlin nicht abgestimmt werden.

 

Doch nicht nur in Deutschland geht es beim neuesten Raketenstreit um alles mögliche – nur nicht um die Raketen selbst. Russland will neue Stärke demonstrieren, Washington den Boss markieren, und die konservativen Eliten Osteuropas wollen sich als willige Gefolgsleute der Amerikaner präsentieren. Mag der Anlass noch so nebensächlich sein, ordentlich verrührt ergeben all diese polit-emotionalen Fragwürdigkeiten eine globale diplomatische Verwicklung.

 

Die Sache selbst ist soviel Aufhebens gewiss nicht wert. Das Raketenschild, an dem das Pentagon bastelt, geht auf die berühmte „Strategic Defense Initiative“ zurück, die von Ronald Reagan 1983 verkündet wurde. Der konservative US-Präsident träumte im finalen Jahrzehnt des Kalten Krieges davon, mit Hilfe eines raffinierten Abfangsystems Amerika unverwundbar zu machen – und zwar gegen die strategischen Interkontinentalraketen der Sowjetunion. Die rote Supermacht kollabierte freilich, bevor das „Star-Wars“-Projekt noch über die ersten Planungsphasen hinausgekommen war. Das Projekt wurde auf kleiner Flamme weiter gekocht, viel Geld wurde aber nicht investiert. Das änderte sich nach Übernahme der Bush-Präsidentschaft und insbesondere nach den Anschlägen des 11. September 2001. Ziel ist es nun, ein globales Abfangsystem zu errichten, das mögliche Raketenangriffe von Schurkenstaaten wie etwa Nordkorea und den Iran unschädlich machen soll. Das System ist ausgeklügelt – aber auch weit von Perfektionierung entfernt. Im Weltraum stationierte Sensoren sollen feindliche Flugobjekte schon kurz nach dem Abschuss identifizieren. Radarstationen am Boden sollen die Flugdaten an eine Kommandozentrale senden. Im optimalen Fall sollen im Weltraum stationierte Laserkanonen die Raketen schon in der Startphase zerschmelzen. Während der Gleit- und der Sinkphase, wenn sich die Sprengköpfe bereits von den Raketen getrennt haben, müssten Abfangraketen die Geschoße vom Himmel holen. All das hat bei Tests eher schlecht funktioniert. Im Prinzip, so hohe Militärs, ist das, als wolle man eine Pistolenkugel mit einer Pistolenkugel abschießen.

 

Bisher haben die USA Radar- und Abfangvorrichtungen in Kalifornien, in Alaska, in Japan, Großbritannien und Grönland installiert – insgesamt zwölf Abfangraketen. Bis 2012 soll das System funktionieren. Um ein lückenloses Abwehrschild über die Nordhalbkugel zu spannen, braucht es Anlagen in Mittel- und Südeuropa. Darum haben die USA mit Polen und Tschechien offiziell Verhandlungen aufgenommen. Die Radarstation soll nach den Pentagon-Plänen im böhmischen Dorf Trokavec installiert werden, die Anlagen für zehn Abfangraketen möglicherweise in Polen. Klar ist nur eines: Gegen die strategische Atommacht Russland mit ihren tausenden Kurz-, Mittel- und Interkontinentalraketen – und ihren zig-tausenden Sprengköpfen – sind die zehn Abfangraketen wohl kaum gerichtet. Das sieht auch der Chef der russischen Spezialstreitkräfte, Juri Solowjow, so: „Sie werden unsere ballistischen Interkontinentalraketen wohl kaum treffen können.“ Dennoch warnt der General vor einem „Wettrüsten“.

 

 

Kurzum: Das Raketenschild hilft, wenn überhaupt, gegen ein künftiges Atompotential von Ländern wie Nordkorea oder den Iran, solange die höchstens über eine Handvoll Trägerraketen verfügen. Ob es besonders sinnvoll ist, darin Milliarden Dollar zu investieren, darüber kann man mit Recht kontrovers diskutieren. „Höchstwahrscheinlich wird das Raketenschild nie gebraucht werden, aber schon seine bloße Existenz provoziert Spannungen“, meint der US-Sicherheitsexperte David Osborn. Man kann auch die Frage aufwerfen, ob durch die Abfanganlagen in Kalifornien und Alaska nicht China strategisch geschwächt werden soll – die aufstrebende asiatische Weltmacht verfügt gerade über zwei Dutzend Interkontinentalraketen, die die USA erreichen können. Aber ein „Wettrüsten“ in Europa, ein „neuer Kalter Krieg“ gar – wie ihn Russlands Präsident Wladimir Putin schon beschwor –, wird wegen der „Star-Wars“-Pläne des Pentagon wohl nicht ausbrechen.

 

So geht es denn auch mehr um Prestige, um Allianzen und um das globale Poker von Groß- und Mittelmächten.

 

Die USA demonstrieren, indem sie die Raketen- und Radarstationierung in Osteuropa ostentativ als bilaterale Angelegenheit zwischen Washington und den betreffenden Ländern behandeln, dass sie als globale Hegemonialmacht Einwände anderer Nationen nicht kümmern. Selbst Josef Joffe, der US-freundliche Herausgeber der Hamburger „Zeit“ moniert, „die Bushisten“ hätten das Problem vermeiden können, „wenn sie nicht wieder ihren alten unilateralistischen Reflexen gehorcht hätten“.

 

Russland fühlt sich prinzipiell gekränkt, wenn die USA mit ihrer Militärtechnologie weit nach Osteuropa vorrücken, das sie immer noch als ihr Glacis betrachten.

 

Die antikommunistischen Eliten in Osteuropa nützen wiederum nach Jahrzehnten – wenn nicht, wie im Fall von Polen, Jahrhunderten – russischer Dominanz jede Gelegenheit, ein Stück weiter gegen Westen zu rücken. Moskau hoffe doch, sagte Polens Premier Jaroslaw Kaczynski jüngst unverhohlen, „Polen möge wieder unter die russische Einflusssphäre kommen. Aber nach der Stationierung einer Abwehrbasis wären die Chancen, einen solchen ungebührlichen Einfluss zu nehmen, auf Jahrzehnte verbaut.“ Ähnlich klingt Prags Grüner Außenminister Karl Schwarzenberg: „Russland hat uns nichts zu verbieten.“

 

In Westeuropa schließlich fürchtet man unabhängig vom eher unbedeutenden Anlassfall, dass Amerika und Russland irgendwann wieder zur alten Konfrontations-Konstellation zurückkehren können – und außerdem ist man in Berlin und Paris über den arroganten Herrenreitergestus der US-Regierung ohnehin nicht erfreut.

 

Man solle doch ein Raketenschild innerhalb der Nato aufbauen, meint etwa Berlins Kanzlerin Angela Merkel, noch immer auf Ausgleich bedacht. Das sei doch seit 2002 Nato-Absicht, erwidert die Bush-Regierung – nur habe sich seither gezeigt, dass dafür nie und nimmer die Mehrheit der Nato-Allierten gewonnen werden könne.

 

Damit mag Washington in diesem Fall sogar Recht haben. Freilich: Die Bush-Leute haben in den vergangenen Jahren oft genug bewiesen, dass sie an Mitsprache kein Interesse haben. Das rächt sich nun.

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