„Wir schaffen das“

Am Freitag, 30. März 2007, 19 Uhr, habe ich in meiner Reihe "Genial dagegen" Andrea Nahles zu Gast. Das Thema, das sie sich gewählt hat, lautet: „Links geht noch was, oder?“ Kreisky-Forum, Armbrustergasse 15, 1190 Wien.

Andrea Nahles, Paradelinke der deutschen Sozialdemokratie, glaubt, dass demnächst wieder Vollbeschäftigung herrschen könnte. Ein Grundeinkommen hält sie für einen Holzweg. Hier schon einmal zur Einstimmung ein Interview aus dem Falter, 28. März 2007

 

Andrea Nahles, 36, ist Abgeordnente zum deutschen Bundestag, Präsidiumsmitglied der SPD und gilt als Hoffnungsträgerin der Sozialdemokraten. Einem breiteren Publikum wurde sie bekannt, als sie im Oktober 2005 in einer Kampfabstimmung zur Generalsekretärin der SPD gewählt wurde, worauf Parteichef Franz Müntefering zurücktrat – und Nahles wiederum ihre Wahl nicht annahm. Kommende Woche ist die eloquente SPD-Linke Gast der Gesprächsreihe „Genial dagegen“, die vom Kreisky-Forum im Kooperation mit dem Falter organisiert wird.

 

In Österreich gibt es eine Große Koalition, und spitze Zungen sagen, hier stünde ein roter Kanzler einer schwarzen Regierung vor. In Deutschland, heißt es, sei es genau umgekehrt. Ist da was dran?

 

Nahles: Wie das in Österreich ist, kann ich nicht beurteilen. Aber in Deutschland ist das ganz gewiss nicht so. In Deutschland haben wir einfach eine Kanzlerin, die mit ihrem neoliberalen Wahlprogramm grandios gescheitert ist. Sie kam bei den Bundestagswahlen nur auf knapp 35 Prozent der Stimmen, weil ein solches Programm nicht mehrheitsfähig ist. Und die SPD, obwohl man ihr eine Niederlage prophezeite, kam auf 34 Prozent. Frau Merkel hat auf diese Tatsache flexibel reagiert, und adaptiert sozialdemokratische Konzepte – insbesondere in der Gesellschaftspolitik. In der Sozialpolitik liefern wir uns Gefechte. Die SPD ist für Mindestlöhne, die CDU nicht, die CDU will Hartz-IV noch verschärfen, das wollen wir nicht.

 

Bei diesen Debatten geht es um Detailreformen. Heißt das, man muss die alten Institutionen des Sozialstaats nur adapierten – oder braucht es einen Großumbau?

 

Nahles: In der Gesundheitsreform braucht es schon einen größeren Umbau – hin zu einer Bürgerversicherung. Wir haben eine reine Beitragsfinanzierung, das heißt wir belasten einseitig Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, hier muss es mehr Steuerfinanzierung geben. Das sind keine Kleinigkeiten. Aber in einer Großen Koalition kann man sich auf große Reformen schwer einigen. In der Arbeitsmarktpolitik haben wir jetzt endlich wieder eine Orientierung auf den geförderten Arbeitsmarkt. Das ist ein Fortschritt.

 

Da hat sich die SPD gewissermaßen gegen die SPD durchgesetzt – unter Schröder hieß es Hartz, Härter am Härtesten…

 

Nahles: Naja. Hartz IV hat 900.000 Menschen aus dem Abstellgleis Sozialhilfe herausgeholt! Aber tatsächlich ist  in der Großen Koalition, auch in Kooperation mit dem Arbeitnehmerflügel der Union in einigen wenigen Bereichen mehr möglich als seinerzeit in der rot-grünen Koalition.

 

Es gibt auch eine Debatte über ein Grundeinkommen…

 

Nahles: Die gibt es. Es gibt da viele Stimmen, aber die Mehrzahl ist für eine bedarfsorientierte Grundsicherung – für die, die es benötigen.

 

Sie sind gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen, wie es immer wieder Sozialaktivisten, aber auch Grüne und Liberale ins Gespräch bringen. Warum denn?

 

Nahles: Weil wir das Ziel der Vollbeschäftigung nicht aufgegeben dürfen. Natürlich wissen wir, dass wir Vollbeschäftigung in den nächsten Jahren nicht leicht erreichen, aber es ist noch einmal ein großer Unterschied, ob wir das Ziel aufgeben. Wenn wir dieses Ziel aufgeben, wird es ganz schnell sehr schwierig, die Finanzierung für Qualifizierung, Berufsrückkehr-Hilfen, Arbeitsmarktförderung usw. zu sichern. Wenn wir das Ziel der Vollbeschäftigung abgeben, wird die gesamte Tektonik des Sozialstaates untergraben, die ja immer erwerbszentriert war.

 

Aber so heißt es weiter: Vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist nur, wer einen Job hat. Können Sie das wollen?

 

Nahles: Aber es ist doch so, dass die Menschen Arbeit eben nicht als Zwang, als Entfremdung erleben – auch wenn es entfremdete Arbeit gibt –, für sie ist Arbeit ein Ticket in die Gesellschaft, sie wollen sich gebraucht sehen. Auch wenn sie harte, schwere Arbeit verrichten. Das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Viele Erwerbslose, auch wenn sie ein Grundeinkommen bezögen, würden sich daher als Bürger zweiter Klasse fühlen. Und noch ein Punkt: Ich bin für eine Grundsicherung, aber ich finde nicht, dass es gegen die Menschenwürde ist, dass der Bedarf auch nachgewiesen werden muss.

 

Nehmen sie dann nicht in Kauf, dass man Menschen, die ohnehin keine Chance haben, auch noch am Arbeitsamt schikaniert?

 

Nahles: Ich bin gegen Schikaniererei. Es gibt diese bürokratischen Böswilligkeiten…

 

…wenn Arbeitsamtsspitzel daheim vorbeischauen, und nachsehen, ob nicht ein Lebensgefährte im Bett liegt, der das Familieneinkommen bestreiten könnte…

 

Nahles: Solche Dinge haben wir abgestellt. Diese Schnüffelei ist vorbei. Nur, unser Sozialstaat lebt von einem Konsens: Unterstützung bei Bedürftigkeit. Aber natürlich bin ich für Unterstützung, die über dem Niveau von Hartz-IV liegt.

 

Die Anhänger des Grundeinkommens sagen, das ist eben das Problem, dass die Menschen ihr Selbstwertgefühl nur aus der Arbeit beziehen. Sie meinen, gerade diese Mentalität muss geändert werden, wenn in manchen Regionen 20 Prozent der Menschen arbeitslos sind. Ist das Ziel der Vollbeschäftigung nicht längst nur eine Lebenslüge?

 

Nahles: Nein. Wir schaffen das. Schon aus demographischen Gründen werden wir in Deutschland ab 2012 nicht 5 Millionen Arbeitskräfte weniger haben. Natürlich wird das teilweise kompensiert, aber dennoch wird das Druck vom Arbeitsmarkt nehmen. Es wird weiter Arbeitslosigkeit geben, aber es wird auch immensen Arbeitskräftemangel geben. Deshalb brauchen wir einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung. Da müssen wir investieren. Die Frauenerwerbsquote muss gehoben werden, die älteren Arbeitsnehmer rechtzeitig qualifiziert werden.

 

In Bildung investieren, in Kinderbetreuung, in die Jungen investieren: Das sagt heute schon jeder. Da ist die Frau von der Leyen noch viel eloquenter als Sie. Gibt es da noch einen Unterschied zwischen der Christdemokratie und einer linken Sozialdemokratin wie ihnen?

 

Nahles: Erstens werden die Dinge ja nicht falsch, nur wenn die Anderen endlich auch einsehen, was richtig ist. Außerdem ist es in der Praxis so, dass alle von der CDU regierten Länder Studiengebühren eingeführt haben. Die sind für Bildung, wenn man sie sich privat leisten kann. Das ist nicht die SPD-Linie. Das gleiche gilt für Weiterbildung: Staat, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen für die Finanzierung sorgen. Es braucht öffentliche Infrastruktur. Da gibt es bisher nur Lippenbekenntnisse. Und wir brauchen mehr geförderte Arbeit, mehr Bürgerarbeit – also steuerliche Begünstigung von wichtigen ehrenamtlichen Tätigkeiten. Es braucht einen geförderten halb privaten, halb öffentlichen Sektor.

 

Außerhalb Deutschlands sind sie schlagartig bekannt geworden, als sie zur Generalsekretärin der SPD kandidierten, gewählt wurden, worauf Parteichef Franz Müntefering zurücktrat – und Sie dann auch gleich. Schon erholt von der Karrieredelle?

 

Nahles: Ja. Das war nicht selbstverständlich. Die Partei hat mich sehr schnell rehabilitiert. Ich wurde mit einem sehr guten Ergebnis in den Parteivorstand und ins Parteipräsidium – also die engere Parteiführung – gewählt. Das war sehr wichtig für mich.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.