Mauern im Kopf

 

Die USA wollten die Iraker befreien. Jetzt mauern sie die Befreiten ein, damit sie ihre Befreiung überleben. Über den Betonwall durch Bagdad, der Sunniten und Schiiten voneinander trennen soll. profil, 30. April 07

 

 

 

 

Jedes der Betontrümmer wiegt sechs Tonnen, ist drei Meter breit und beinahe vier Meter hoch. Nebeneinander aufgestellt werden sie eine rund fünf Kilometer lange Mauer bilden, die den Stadtteil Adhamiya im Nordosten Bagdads vom Rest der irakischen Metropole abtrennen soll. Die Mauer durch Bagdad ist die jüngste gute Idee der USA im Krieg gegen den Terror. Adhamiya ist mehrheitlich von Sunniten bewohnt. Im Rest von Bagdad dominieren die Schiiten. Die sunnitische Minderheit ist stetigen Attacken der Schiiten ausgesetzt, sunnitische Terrorgruppen wiederum nützen die Enklave als Rückzugsort und Basislager für ihre Angriffe. Seit 10. April schon stellen Soldaten der 82nd Airborn Division die „Anti-Terror-Mauer“ Stück für Stück auf. Das soll die ethnischen Spannungen besänftigen, die Sunniten schützen.

 

Die Mauer von Bagdad ist eine Metapher für das Missgeschick der USA im Irak. Von der Despotie befreien wollte man die Iraker. Jetzt, vier Jahre später, muss man die Befreiten einmauern, damit sie ihre Befreiung überleben.

 

„Die Mauer ist eines der Kernelemente unserer neuen Strategie im Kampf gegen ethnisch-religiöse Gewalt“, heißt es in einer Erklärung der US-Militärs. „Man steckt uns wie Tiere in einen Käfig“, sagt Abu Hassan, ein Arzt aus Adhamiya. „Wie sie es mit den Indianern gemacht haben“. Für die Minderheit, die die Mauer schützen soll, verwandelt sie Adhamiya in ein Sunniten-Reservat, mit ein paar Checkpoints, durch die sie rein und raus dürfen. Das Ziel ist Kontrolle – eine bestimmte Bevölkerungsgruppe an einen bestimmten Ort zu konzentrieren und dafür zu sorgen, dass sie dort auch bleibt. Man kann sagen, das geschieht zu ihrem Schutz. Aber man kann auch sagen, das ist so ziemlich exakt die Definition von Gefängnissen. „Die Mauer wird Adhamiya in ein großes Gefängnis verwandeln“, sagt Mustafa, ein Bewohner des Stadtteils.

 

Jetzt erkennen auch die Amerikaner: Die Menschen mögen Mauern nicht. Mauern haben irgendwie einen schlechten Ruf. Hätte ihnen das nicht vorher jemand sagen können?

 

Mauern sind seit jeher Symbole. Symbole der Sicherheit für die einen. Symbole des Unrechts für die anderen. Und weil sie in der Regel ihr Sicherheitsversprechen nicht halten können, weil die, denen sie als Monumente des Unrechts erscheinen, sich mit ihnen nicht abfinden wollen, sind sie in aller Regel kontraproduktiv. Sie wollen der Gewalt wehren, ziehen sie aber magnetisch an. Schließlich suggerieren sie, wenn erst die Mauer überrannt ist, dann ist die Schlacht gewonnen. Wo eine Mauer ist, da findet sich jemand, der sie zerstören will. Die ältesten Geschichten, die die Menschheit sich erzählt, handeln von Mauern.

 

Im biblischen Buch Josua ziehen die Juden bei ihrer Eroberung des verheißenen Landes sechs Tage um Jericho und blasen in die Posaunen. „Und als das Volk den Hall der Posaunen hörte, erhob sich ein großes Kriegsgeschrei. Da fiel die Mauer um.“

 

Man muss so weit nicht zurück gehen. Es ist beinahe ein Gesetz der Geschichte: Wenn die Mächtigen sich ohnmächtig fühlen, wenn ihnen nichts mehr einfällt, dann bauen sie eine Mauer. Mauern sind verführerisch. Sie scheinen als Lösung für Konflikte, ohne dass man die Ursache der Konflikte lösen muss. Sie wirken einschüchternd, sind aber in der Regel Zeichen der Schwäche.

 

Weil die israelische Regierung nicht mehr wusste, wie sie palästinensischen Selbstmordattentätern Herr werden sollte, sich aber zu einer Friedensregelung nicht durchringen konnte, die sich an den Grenzen von 1967 orientiert hätte, baute sie eben eine Mauer. Die durchschnitt palästinensisches Gebiet, Vorgärten, Felder, Nachbarschaften. Für die Israelis ist das monströse Ungetüm ein „Sicherheitszaun“, für die Palästinenser eine „Apartheid-Mauer“.

 

Wo Mauern gebaut werden, durchschneiden sie nicht nur Nachbarschaften, sie vergewaltigen auch die Sprache. Als Walter Ulrbichts SED-Regime 1961 die legendäre Mauer durch Berlin bauen ließ, hieß die im DDR-Jargon „antifaschistischer Schutzwall“. Das Mauerlabyrinth, das in Belfast die protestantischen und katholischen Volksgruppen voneinander trennt, wird euphemistisch „Peace-Line“, „Friedenslinie“, genannt. Keine dieser Mauern hat irgendetwas besser gemacht. In Nordirland zeigte eine Studie, dass der innerreligiöse Hass in den Generationen, die seit dem Mauerbau erwachsen wurden, noch größer ist als in früheren Kohorten. 68 Prozent der 18- bis 25jährigen hatte noch nie eine längeres Gespräch mit jemandem geführt, der auf der anderen Seite der Mauer wohnte. Sie haben buchstäblich „Mauern im Kopf“, zwischen ihnen steht eine „Mauer des Schweigens“. Unzählige Mauer-Metaphern haben sich in unsere Sprache eingeschlichen, kaum eine von ihnen ist freundlich gemeint.

 

Die Rache der Mauern an den Mauerbauern besteht darin, dass sie, statt die Probleme zu lösen, schnell beginnen, die Probleme zu symbolisieren. Das SED-Regime wollte seine Herrschaft mit der Berliner Mauer stabilisieren. Doch, ganz im Gegenteil, der Kampf gegen die Mauer wurde zum Synonym für den Kampf gegen das SED-Regime. „Nieder mit der Mauer“ hieß dann, „Nieder mit den Kommunisten“.  Der Fall der Mauer war schlussendlich gleichbedeutend mit dem Fall der SED-Herrschaft.

 

Mauern schaffen auch eine neue Geographie. Die Mauerbauer malen sich das so schön aus: Man baut eine Mauer, mit Checkpoints, über die man von A nach B kommt. Aber die Eingemauerten sind kreativ. Sie finden sich andere Wege, von A nach B kommt man dann eben via C und D. Die Mauerbauer kränkt das, weil sie die Ströme nicht beherrschen, die Eingemauerten macht es auch nicht glücklich, weil die Wege, die sie sich finden, mühsame Wege sind. Sie fühlen sich ungerecht behandelt, weil sie, obwohl sie kein Verbrechen begangen haben, ihres Rechts auf Freizügigkeit beraubt sind. Das führt zu neuem Stress – und bisweilen zu neuen Mauern, einer Verschärfung des Kontrollregimes. Zumal Mauern assymetrische Bauwerke sind. In aller Regel hat eine Seite der Mauer größere Anziehungskraft als die andere. Nur wer auf der A-Seite ist, will auf die B-Seite. In die andere Richtung will kaum jemand – was zur Folge hat, dass die Mauern, die von der einen Seite als unüberwindlich erscheinen, von der anderen Seite gar nicht auffallen. Ein Beispiel dafür sind etwa die Stacheldrahtverhaue, mit denen sich die reiche Welt gegen den Ansturm von Migranten aus der armen Welt umgibt.

 

In Bagdad hat jetzt auch die schiitisch dominierte Regierung von Premier Nuri al-Maliki den Mauerbau verurteilt. Die „erinnert uns an andere Mauern“, schimpfte der Regierungschef. Es müsse andere Möglichkeiten geben, die Gewalt zu beenden. Die Amerikaner waren etwas überrascht, dass beide Seiten ihre guten Absichten so gar nicht würdigen wollen, und sie waren auch ein bisschen beleidigt. Vergangene Woche haben sie den Mauerbau vorerst einmal gestoppt.

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