Der brillante Pedant

Gordon Brown, demnächst Londons Premier, gilt als genialer Wirtschafts- und Sozialpolitiker. Dass es ihm an Glanz fehlt, muss kein Nachteil sein. Denn Blender haben die Briten nach Blair ohnehin satt. profil, 14. Mai 07

 

Eines jedenfalls kann man jetzt schon mit Gewissheit sagen: Der Stil in Downing Street 10 wird sich dramatisch ändern, wenn Tony Blair Anfang Juli sein Amt räumt und Gordon Brown seine Stelle einnimmt. „Brillant“, ein „Workoholic“, ein „Stratege“, das sind die Attribute, mit denen der bisherige Finanzminister charakterisiert wird – aber der 56jährige gilt auch als „Pedant“, dem jedes Talent fehle, „im Licht der Öffentlichkeit zu glänzen“ (The Guardian). Brown ist ganz anders als Blair, der früher sein Kumpel war und im vergangenen Jahrzehnt sein Rivale. Während Blair mit seiner umgänglichen Art die Briten bezaubern konnte, gilt Brown im öffentlichen Auftritt als gefühlsarmer Holzblock und im innerparteilichen Umgang als autoritärer Knochen.

 

Ebenso sicher wie die Stilrevolution im Londoner Regierungsbezirk ist aber auch, dass sich an der vielgerühmten, erfolgreichen Wirtschafts- und Sozialpolitik des Labour-Kabinetts kaum etwas ändern wird: Denn die hat schon in den vergangenen zehn Jahren Brown bestimmt – der „mächtigste Finanzminister der britischen Geschichte“, wie ihn der Observer nannte. Während Blair eher der Überflieger war, der die rechten Worte zur rechten Zeit suchte, der Mehrheiten mit seinem Charme gewinnen konnte, sich aber für die Feinmechanik des tagtäglichen Regierungshandelns nicht allzu sehr interessierte, füllte Brown das Vakuum.

 

Brown war es, der die Truppen im Griff hatte und seine Leute an entscheidenden Posten patzierte. Das kommt ihm jetzt zupass. Obwohl viele in der Labour-Party fürchten, ein Mann mit einem solch eklatanten Mangel an sozialen Kompetenzen wie Brown könne nie und nimmer Wahlen gewinnen, wird der bisherige Schatzkanzler wohl ohne gröbere Reibereien zum Blair-Erben ernannt werden. Alle anderen potentiell aussichtsreichen Kandidaten haben bereits abgewunken – zuletzt erklärte David Miliband, der neue Jungstar der Partei, er würde gegen Brown nicht antreten.

 

Aber womöglich ist einer wie Brown ohnehin der rechte Mann zur rechten Zeit. Die Gefallsucht, das notorische Politikmarketing der Spindoctoren, haben die Briten nach 10 Jahren Blair satt. Ein kühler Politmechaniker wie Brown hat da den Vorteil, im Kontrast als ernsthafter Mann zu wirken. Schließlich ist Brown ein Realist, der mit einer Mischung aus strenger Budgetdisziplin, antizyklischer Investitionspolitik und massiver Förderung der sozial Schwachen in vielen Politikbereichen beträchtliche Erfolge vorweisen kann. Die Wirtschaft wuchs in den vergangenen zehn Jahren stetig, die Kinderarmut wurde wirksam bekämpft, Millionen Jobs sind entstanden, die Beschäftigungsquote ist signifikant angestiegen – er machte eine liberale Wirtschaftspolitik, die auch die Investoren beklatschten, bewahrte aber auch so etwas wie sozialdemokratischen Stallgeruch.

 

Brown ist einer der Politiker, der das Kunststück zuwege bringt, als Realist und Pragmatiker zu gelten, ohne als visionsloser Technokrat zu erscheinen. Für viele, sagte er jüngst in einem Interview, gilt „Politik als die Kunst des Machbaren. Für mich ist sie die Kunst, das Erstrebenswerte machbar zu machen“. Brown glaubt daran, dass man mit kluger Politik die Welt besser machen kann. „Ich bin überzeugt, dass das Morgen besser als das Heute sein kann“. Für viele gilt er deshalb keineswegs als Prototyp des Mittelwegs-Wischi-Waschi, das Blair verkörperte, sondern als eine Art moderner Linker. Selbst Oskar Lafontaine, Deutschlands Ex-SPD-Chef und nunmehriger Linkspartei-Führer, hat den Brown-Kurs immer als Exempel präsentiert, dass eine ambitionierte Wirtschaftspolitik auch in der Globalisierungsära noch realistisch ist.

 

Unmöglich ist es nicht, dass Brown das Ruder für seine Labour-Party herumreißen kann. Zwar hinterlässt ihm Blair eine derangierte Partei, die bei den jüngsten Regionalwahlen gerade noch auf 27 Prozent der Stimmen kam – die Konservativen erreichten 41. Aber aufmerksam haben die Strategen vermerkt, dass Labour seinerzeit, als die Tories regierten, bei Regionalwahlen 47 Prozent erreichte. Somit seien die Konservativen noch ein gehöriges Stück weit von dem Punkt entfernt, von dem seinerzeit Blair zu seinem ersten Parlamentswahlsieg gestürmt ist. Die nächste Unterhauswahl ist 2009 fällig.

 

Freilich: Brown wird kämpfen müssen, wenn er mehr als nur ein Kurzzeit-Premier bleiben will. Dass er vor Ambition strotzt, darf vorausgesetzt werden. Schon 1994, als Blair den Parteivorsitz übernahm, galt Brown als der eigentliche Anwärter, wurde aber vom Jüngeren, mit dem er bis dahin ein eingeschworenes Duo bildete, ausgebremst. Seither rankten sich Gerüchte, Blair habe Brown versprochen, er werde im Gegenzug rechtzeitig für ihn den Weg zur Nachfolge freimachen, wenn er ihm den Vortritt lasse. Dass er 13 Jahre würde warten müssen, damit hat Brown damals wohl nicht gerechnet. „Fühlen Sie sich von Blair betrogen?“ fragte ihn unlängst eine Interviewerin. „Darauf antworte ich nicht“, erwiderte Brown. „Das wäre nicht hilfreich.“

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.