Gekommen um zu bleiben

G-8-Gipfel. Die Anti-Globalisierer feiern die Blockadeaktionen in
Heiligendamm als Sieg gegen die „G-8-Gangster“, aber auch Gastgeberin Angela
Merkel ist zufrieden mit den Gipfel-Ergebnissen. Anatomie einer seltsamen
Symbiose.
profil, 11. Juni 2007



Pedram Shahyar kann es auch Tage danach noch kaum fassen. „Das war ein Erfolg
auf allen Linien“, jubelt der Berliner Politologiestudent: „Wer hätte das
für möglich gehalten?“ In der Tat war es ein fesselndes Schauspiel, das sich
am Mittwoch vergangener Woche in der Idylle um das Ostseebad Heiligendamm
bot. Mehr als 10.000 Protestierer, bunt, fröhlich, als Clowns geschminkt die
einen, mit Peace-Fahnen die anderen, wanderten durch Kornfelder und
Heidelandschaft, umliefen die Polizeiketten, tricksten alle Einsatzpläne
aus, schoben sich vor bis an den Sperrzaun, hinter dem die
Hochsicherheitszone beginnt, in der gerade die G-8-Staats- und
Regierungschefs eintrafen. Es wirkte leicht und war doch minutiös geplant.
„Monatelang gab es Blockadetrainings, zuletzt täglich fünf in den
Protestcamps“, erzählt Shahyar.
Am Ende wurde es ein Triumph im Bilderkrieg: friedliche Demonstranten, die
von der Polizei weggezerrt werden. Greenpeace-Leute in Schlauchboten, die
von der Wasserschutzpolizei mit ihren Schnellbooten wüst gerammt werden.
Heißluftballons mit Protestslogans am Himmel.
Damit waren auch die unschönen Bilder vom Samstag davor jäh verscheucht, als
die martialische Haudrauf-Fraktion vom „Schwarzen Block“ im nahe gelegenen
Rostock einen Steinhagel auf überforderte Polizisten losgelassen hatte.

Dichtgemacht. Zu all dem kam der symbolische Sieg der Protestierer: Der
Landweg zum Gipfel war blockiert. Auch wenn die Staatslenker ohnehin per
Helikopter eingeflogen wurden – ihr Tross und das Pressecorps mussten von
der Marine mühsam auf dem Seeweg in die Gipfelzone gebracht werden.
„Block-8“, war die Parole, „Heiligendamm dichtzumachen“ das Ziel. Dass das
fast spielerisch gelingen würde, hätte aber kaum jemand gedacht. „Wir haben
gewonnen“, freut sich Shahyar, der im Koordinationsrat des Netzwerkes Attac
sitzt und eineinhalb Jahre investiert hat, um die Blockaden zu
orchestrieren.
Bloß, was ist das für eine Art „Sieg“? Kein Kind in Afrika ist vor dem
Verhungern gerettet, und das Schicksal keines einzigen Arbeitslosen wird
dadurch leichter, weil tausende Demonstranten es bis zur befestigten
Wehranlage schafften. Seit acht Jahren schon laufen Globalisierungskritiker
bei jedem hochkarätigen Gipfeltreffen gegen „den Neoliberalismus“ Sturm.
Alles begann, als 1999 Zehntausende völlig überraschend die Tagung der
Welthandelsorganisation WTO in Seattle lahm legten. Es folgten die Blockaden
des Weltwirtschaftsforums in den Bergen von Davos, die schweren
Auseinandersetzungen beim EU-Gipfel in Göteborg und die massiven Krawalle
bei der G-8-Tagung in Genua 2001 – damals starb ein 23-jähriger Demonstrant,
dem ein Polizist ins Gesicht geschossen hatte. Aber was haben sie erreicht,
außer, dass sich die Premiers und Präsidenten in immer entlegeneren
Tagungsorten abschotten? Anders gefragt: Bringt das etwas, außer schönen
Bildern und fetten Schlagzeilen?
Die G-8-Führer mögen sich mit Stahlzaun, Stacheldraht und Bannmeilen gegen
die Demonstranten abschotten, aber deren Themen entkommen sie nicht. Alles,
was dem Globalisierungskritiker gut und teuer ist, wurde auch am Gipfel
verhandelt: globale Gerechtigkeit, Kapitalkontrollen, der Klimawandel. Das
Verhältnis von Globalisierungskritikern und G 8 ist widersprüchlich und
durchaus symbiotisch – mögen die Protestler auch von der Gewissheit beseelt
sei, die Gruppe der acht habe keine Legitimation. G-8 steht in ihren Augen
für eine Zusammenrottung von Globalschurken, die sich zu einer
„Weltregierung“ aufschwingen, die Ausbeutung der Dritten Welt orchestrieren,
Kriege vorbereiten und überhaupt die Welt so organisieren, dass die Reichen
immer reicher und die Armen immer ärmer werden.
Doch wie häufig bei hoch symbolischen Auseinandersetzungen sind auch die
G-8-Lenker und die No-Globals auf seltsame Weise verfreundete Feinde. Viele
der Probleme, die die Protestierer anprangern, gibt es auch deshalb, weil
die G-8 gerade keine Weltregierung sind. Weil die Staatenlenker zu
zerstritten sind, um sich auf präzise Maßnahmen zu einigen, und weil die
Weltwirtschaft viel zu komplex geworden ist, als dass sie von den
Regierungschefs von acht Ländern noch wirksam gesteuert werden könnte.
Umgekehrt heißt das: Viele der Forderungen, die etwa das linke Netzwerk
Attac propagiert, wie etwa eine Steuer auf Finanzspekulationen oder eine
Kontrolle der Hedgefonds, aber auch ein fairer Marktzugang für Afrika,
ließen sich allenfalls dann erfüllen, wenn sich ein paar Führungsmächte
entschieden darauf einigen könnten.¬
Die G-8 und ihre Kritiker, das sind Antipoden, aber auch seltsam
kommunizierende Welten. Auf der einen Seite die Eminenzen: Sie mögen sich
von den Demonstranten gestört fühlen, die zugleich eine Versicherung ihrer
Relevanz darstellen. Auf der anderen die Protestierenden, für die Gipfel
eine gute Demo-Gelegenheit sind. „Gegen die Mächtigen“ stehe er hier, sagte
ein Attac-Aktivist draußen vor dem Zaun, „weil diese Leute für die ganze
Scheiße verantwortlich“ seien. Er klang nicht so, als ob er das wirklich
glaubte.

Punktsieg für Merkel. Mittendrin in der Hochsicherheitszone stand Angela
Merkel, die Gastgeberin, neben ihren Gästen, aber richtig mächtig dürfte sie
sich dabei wohl nicht gefühlt haben. Ihre Gipfelagenda hatte sie mit einer
Fülle wichtiger Themen überfrachtet. Wirksame Zielmarken für den Klimaschutz
wollte sie beschließen lassen, die Hilfe für Afrika – beim G-8-Gipfel in
Schottland vor zwei Jahren feierlich abgenickt –, sollte endlich in Fahrt
kommen, und am liebsten hätte sie noch einen Konsens darüber hergestellt,
dass hochspekulative Hedgefonds künftig zu mehr Transparenz gezwungen werden
sollen.
Aber kaum einer ihrer Gäste wollte ihr einen Erfolg gönnen. US-Präsident
Georg W. Bush mag von präzisen Zielvorgaben zur Drosselung der Erderwärmung
nichts wissen, die USA und Großbritannien sperren sich gegen Kontrollen für
institutionelle Investoren.
Immerhin, am Ende setzte die Kanzlerin ein Progamm von 60 Milliarden Dollar
durch, die Afrika im Kampf gegen Aids und andere Infektionskrankheiten
helfen sollen, zudem wurde das vor zwei Jahren abgegebene Versprechen
erneuert, die Entwicklungshilfe bis 2010 zu verdoppelt. Dazu kommt eine vage
Vereinbarung zum Klimaschutz, in der die Staatslenker bekunden, die
Halbierung des Ausstoßes von Treibhausgasen bis 2050 „in Betracht zu
ziehen“. Verbindlich ist das alles nicht.
„Zu wenig, zu vage” kritiserten prompt Umweltschützer und
Dritte-Welt-Organisationen. Zu scharf ist der Kontrast zwischen überzogenen
Erwartungen und unkonkreten Resultaten. Immerhin, einen „Punktsieg für
Merkel” wollen die meisten Kommentatoren einräumen.
Dennoch häufen sich im engeren Politikbetrieb die Stimmen derer, die diese
Gipfel längst für ein sinnloses Spektakel halten, deren Ergebnisse in keinem
Verhältnis zum Aufwand stünden. Außerdem ist die G-8-Runde längst zu klein:
China, Indien sind aufstrebende Wirtschaftsmächte, über deren Köpfe hinweg
man nur schwer etwas beschließen kann. Auch Südafrika, Nigeria, Brasilien
geben sich mit der Rolle als Zaungäste nicht mehr zufrieden. So sind die
G-8-Gipfel heute auch eine Art Monument für die Krise der internationalen
Politik geworden.
„Masters of the Universe“ sehen jedenfalls anders aus.
Längst haben sich die Staatenlenker und die Gipfelstürmer aber auch in eine
Art Image-Konkurrenz verstrickt. Afrika und der Klimaschutz stehen
schließlich deshalb ganz oben auf der Tagesordnung, weil die versammelten
Regierenden wissen, wie sehr die Bilder von Massenprotesten mitsamt der
Wehranlagen, hinter denen sie sich verschanzen müssen, ihre Zusammenkünfte
delegitimiert haben. Kritische Popstars wie Bono und Bob Geldof wurden ins
Allerheiligste vorgelassen, in das Tagungshotel Kempinski in Heiligendamm,
wo es prompt zu einem „großen Krach“ (Bono) mit Merkels Gipfelentourage kam.
Schließlich wissen die Regierungschefs um die fatale Macht ihrer
Inszenierung. Senden Zäune doch, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung
“ schrieb, die Botschaft aus: „Wer sich einzäunt, ist im Unrecht.“
Umso verzweifelter wirkt der Versuch der jeweiligen Gipfel-Gastgeber,
möglichst konkrete Ergebnisse zu präsentieren. Gibt es die nicht, gilt ein
Gipfel schnell als gescheitert. Dabei ist, Beispiel Klimaschutz, die Sache
ambivalent. Immerhin, die Vereinten Nationen sind wieder im Spiel, und der
Klimaschutz ist ganz nach oben auf die Prioritätenliste gerückt, auch in den
USA, und sogar die chinesischen Gäste bekundeten, sie wüssten längst, dass
der Preis hoch ist, wenn sie Turboindustrialisierung auf Kosten der
Biosphäre betreiben – schließlich muss man auch in Peking atmen.

Dagegensein. Kurzum: Die Gipfel bewirken durchaus etwas – aber eben nur
„irgendwie“. Und genau das haben sie mit den Gegendemonstrationen gemeinsam.
Die Gipfelgegner konnten wieder einen PR-Sieg erringen, aber was sie
eigentlich wollen, ist nicht so leicht zu sagen. Die einen die
Weltrevolution, die anderen mehr Energieeffizienz, die dritten weniger
strenge Einwanderungsgesetze, und alle zusammen wollen den Neoliberalismus
bekämpfen. Die Vielstimmigkeit ist nicht nur Folge unterschiedlicher
Prioritäten, sondern auch des Umstandes, dass niemand genau weiß, wie eine
gerechtere Welt hergestellt werden kann. Und, wie immer, muss der Protest
die Welt auch versimpeln. Dazu gehört, dass man die G-8-Lenker zu
„G-8-Gangstern“ erklärt, die sich zum Raubzug an der Mehrheit der Menschen
verschworen hätten. Ohnehin verbindet die Protestierenden eher das diffuse
Gefühl, „dass sie keine Lust haben auf eine Welt, deren Utopie sich in
Aktiengewinnen und Selbstunternehmertum erschöpft“, wie das der linke
Sozialwissenschafter Mark Terkessidis formulierte; dass das große Geld die
Welt regiert.
Halb Jugendbewegung, halb Gewissensaufstand: Den Meisten geht es darum, „ein
Zeichen zu setzen“ – also ein eher allgemeines Dagegensein auszudrücken.
Gier hier, Armut da, dass sich alles nur ums Geld dreht und es nicht gerecht
zugeht – das wird heute schon an jedem Stammtisch beklagt. Turbokapitalismus
und „Heuschrecken“ sowieso. Acht Jahre nach Seattle sind die Themen der
Demonstranten in den Konferenzsälen der Regierenden angekommen.
„Lernt den Text auswendig, ihr werdet ihn in den nächsten Tagen brauchen
können“, rief Judith Holofernes, Frontfrau der deutschen Popband „Wir sind
Helden“ zum Protestauftakt in Rostock in die Menge. Und dann schmetterten
sie ihren Hit „Wir sind gekommen, um zu bleiben.“
Nur Heiligendamm gehört jetzt wieder den Möwen.

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