Kurt Waldheim, der große Aufklärer

Heute, 19.45 auf WDR-3 ist mein kleines Radiofeuilleton zu hören: Der große Aufklärer – Kurt Waldheim ist tot. Zu hören hier.

Und hier zu lesen:

Er war ein großer Aufklärer wider Willen, einer, der sein Land vorwärts brachte, und dabei nicht wusste, wie ihm geschah: Kurt Waldheim, österreichischer Bundespräsident von 1986 bis 1992, starb gestern 88jährig in Wien. Zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Geschichte Österreichs hat kaum einer soviel beigetragen wie Kurt Waldheim. Denn die Waldheim-Affäre des Jahres 1986 war der kathartische Moment in der österreichischen Nachkriegsgeschichte.

 

 

Zur Erinnerung: Als Waldheim, zuvor Außenminister seines Landes, danach UN-Generalsekretär, vor 21 Jahren von der konservativen Volkspartei als Präsidentschaftskandidat vorgeschlagen wurde, wurde ruchbar, dass der Aspirant auf das höchste Staatsamt in jungen Jahren in der Wehrmacht am Balkan diente und dort auch mit schweren Menschenrechtsverletzungen zu tun hatte: bei der Partisanenbekämpfung, bei der Deportation der jüdischen Bevölkerung von Saloniki. Gewiss, Waldheim war damals weder ein hohes Tier gewesen, noch war er selbst an Verbrechen beteiligt. Als Übersetzer und Verbindungsoffizier war er aber ein kleines Rädchen in der kriminellen Maschinerie. Vernehmungsprotokolle tauchten auf, die Waldheims Kürzel trugen. Bei der SA-Reiterei war er Mitglied. Um das klar zu sagen: Waldheim war kein Filbinger und auch kein Globke. Was Waldheim getan hatte, disqualifizierte ihn nicht für ein „zweites Leben“ in der demokratischen Nachkriegsrepublik. Nur qualifizierte es ihn auch nicht gerade für das höchste Staatsamt.

 

Doch in der Kontroverse über seine Person wurde Waldheim zum Symbol für die Lebenslügen Österreichs, für die Verstrickung in das NS-Regime, für das damalige Mitmachen und die nachträgliche Vergesslichkeit. Waldheims Schicksal war, dass er das nicht einmal begreifen konnte, nicht begreifen wollte. „Ich habe im Krieg nichts anderes getan als hunderttausende Österreicher auch, nämlich meine Pflicht als Soldat erfüllt“, sagte er. Es war dieser Satz, der ihn moralisch diskreditierte. Denn als Soldat hat er sich vielleicht an die Gesetze Nazideutschlands gehalten, aber die Erfüllung einer moralischen Pflicht wäre gewesen, nicht mitzutun.

 

Über all dies, über Schuld, Verstrickung und Verantwortung debattierte das Land ab 1986 heftig, Österreich war innerlich zerrissen. Für das Land war es heilsam. Hatte sich Österreich aus der Verantwortung jahrzehntelang davongestohlen, indem es sich als Hitlers „erstes Opfer“ imaginierte, wurde nunmehr klar: Österreich hat zwar 1938 völkerrechtlich zu existieren aufgehört, aber viele Österreicher waren Mittäter.

 

Waldheim hat lange gebraucht, einzusehen, dass nicht so sehr sein Mittun als junger Mann ein Fehler war, sondern die Art und Weise, wie er vierzig Jahre später darüber sprach. „Es trifft mich am meisten, dass man mich zu einem Symbol dessen gemacht hat, was ich nicht bin“, sagte er 1991 in einem Interview. Erst vor zwei Jahren räumte er ein: „Wenn meine Lebensgeschichte zu einem neuen Zugang zur Geschichte beigetragen hat, dann ist das sicher positiv – bezahlt freilich mit hoher persönlicher Schädigung.“

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