Star ohne Allüren

Nachruf. Über den großen pragmatischen Philosophen Richard Rorty, der das Ziel der Gesellschaftsverbesserung nicht aus dem Auge verlieren wollte. profil, 18. Juni 2007

 

Dass auch Starphilosophen nicht immer frei von Dünkelhaftigkeit sind, weiß jeder, der der Welt der Großdenker nur ein bisschen nahe gekommen ist. Umso erfreulicher gestalteten sich Kontaktaufnahmen mit Richard Rorty. Obwohl einer der Größten seiner Zunft, musste man weder Sekretariate überlisten, noch mit dem Zorn des Meisters rechnen, wenn man mit Rorty über ein aktuelles Thema sprechen wollte. Sandte man ihm eine E-Mail, erhielt man prompt eine Antwort, die etwa besagte, er sei jetzt zwar in dieser oder jener entlegenen Weltgegend, aber unter beigefügter Telefonnummer könne man ihn erreichen. Zwei Interviews für profil kamen auf diese legere Weise zusammen – und das sagt auch schon viel über Richard Rorty aus.

 

Kurzum: Rorty war ein extrem Netter und seine Philosophie zielte darauf ab, aus möglichst vielen Menschen möglichst nette Menschen zu machen. Dabei sprengte er notgedrungen die Grenzen seiner Profession. Rorty hat die metaphysischen Letztbegründungen bekämpft, die Glaubensgewissheiten, Wahrheiten, die Absolutheitsansprüche. In diesem Dementi, dass es da eine Essenz, ein Wesen der Dinge gäbe, dem der Erkenntnisfortschritt sich anzunähern vermöge, war er sich mit den vielen Spielarten postmodernen Denkens einig. Aber doch wendete Rorty diese Erkenntnis pragmatischer. Man kann auch sagen: amerikanischer.

 

„Wahrheit ist nirgendwo da draußen“, sie existiere weder unabhängig von den sprachlichen Äußerungen, noch von Traditionen und Begrenztheiten derer, die sie aussprechen, so sein Credo. Aber dennoch war Rorty kein Relativist, dem alles moralisch gleich gültig ist. In „Kontingenz, Ironie und Solidarität“, wohl seinem Hauptwerk, zeigt er, wie man gerade dann, wenn man allen Gewissheiten eine Absage erteilt, am Ziel der Gesellschaftsverbesserung festhalten kann. Als utopische Gestalt entwirft er darin die Figur der „liberalen Ironikerin“: „Liberale sind die Menschen, die meinen, dass Grausamkeit das schlimmste ist, was wir tun. Ironikerin nenne ich eine Person, die der Tatsache ins Gesicht sieht, dass ihre zentralen Überzeugungen und Bedürfnisse kontingent sind“ – also zufällig und veränderlich. Moral brauche keine ethischen Letztbegründungen, sondern Empathie, Einfühlung in den Anderen. Manche fragten, ob einer wie Rorty überhaupt ein ordentlicher Philosoph sei – schließlich hatte er, auch da ganz Ironiker, viel Spott für die traditionelle Philosophie parat, mit ihrer Suche nach „Algorithmen zur Lösung moralischer Dilemmata“.

 

Seit er als Teenager mit den Schriften Leo Trotzkis Bekanntschaft schloss, war das Ziel einer gerechteren Welt der Polarstern Rortys, der als Sohn undogmatischer Gewerkschaftsaktivisten in New York City geboren wurde. Er hatte Lehrstühle in Princeton, an der University of Virginia und in Stanford inne und mischte sich immer wieder auch in politische Diskussionen ein. Vor neun Jahren zettelte Rorty mit seinem kleinen Buch „Achieving our Country“ („Stolz auf unser Land“, so der Titel der deutschen Ausgabe) heftige Debatten an. Darin geht er hart mit den modernen „Kulturlinken“ ins Gericht, die sich viele Gedanken über „Differenzkultur“ macht und außerdem der Überzeugung sei, dass man „innerhalb des Systems“ ohnehin nichts verbessern kann. Dem stellte er die alte amerikanische Linke entgegen, die „unser Land voranbringen“ wollte. Ein böse polemisches, aber auch ein brillantes Buch. „Ich würde wirklich gerne verstehen, wie die Demokratische Partei eine so schwache und ineffektive Opposition werden konnte“, sagte Rorty zu Beginn des Irak-Kriegs im profil-Interview. In seinen letzten Lebensjahren war er ein erbitterter Gegner von George W. Bush.

 

Ein schicker Jet-Set-Philosoph war er gewiss nicht, und auch der akademische Herrengestus eines Jürgen Habermas war ihm fremd. Dennoch galt Rorty vielen als bedeutendster Philosoph der Gegenwart. Beim Lesen philosophischer Bücher, schrieb er einmal, habe er vor allem eines gelernt: „Misstrauen gegenüber dem geistigen Snobismus, der mich anfangs zu dieser Lektüre bewogen hat.“

 

Bauchspeicheldrüsenkrebs sei bei ihm diagnostiziert worden, schrieb er vor einem Jahr an seinen Freund Jürgen Habermas, die selbe Krankheit, „die Derrida killte“. Seine Tochter, so Rorty damals, vertrete daher die Hypothese, dass diese Art des Krebses von „zuviel Heidegger-Lektüre“ herrühre. Rorty, 75, verstarb vorvergangenen Freitag in Stanford.

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