Was heißt noch mal „links“?

Die tägliche G-8-Kolumne aus der taz, 5. Juni 2007

Man hört das in diesen Tagen mit gedrängter Häufigkeit, und zwar nicht nur von übelwollenden Zynikern, sondern auch von wohlmeinenden Menschen: Ja, was wollen die eigentlich? Was ist es, wofür sich ein Linker von heute einsetzt?

Diese Frage lässt sich natürlich nicht leicht beantworten, und wer glaubt, mit dem Runterrattern der gefühlten dreihundert Forderungen aus dem Attac-Katalog sei die Skepsis aus der Welt geschafft, die in dieser Frage mitschwingt, der täuscht sich. Denn in Wirklichkeit ist damit gemeint: Die Linke hat heute keine Groß-Idee mehr. Früher hatte die Linke ja noch ein Idealbild von der guten Gesellschaft vor Augen und auch noch eine Art Fahrplan parat, wie man vom heutigen Schlechten zum morgigen Paradies kommt: Machtübernahme des Proletariats, Vergesellschaftung der Produktionsmittel, Gemeinschaftseigentum.

Dieser Glauben an die einfachen Lösungen ist perdú. Paradoxerweise hat diese Form des Ideologischen nur mehr in Gestalt der schwarzen Utopie der Neoliberalen überlebt. Die Glauben ja im Ernst, mit: Steuern runter! Sozialstaat verschlanken! Investitionshemmnisse wegräumen! würde alles wunderbar.

Unlängst fragte mich glatt einer, diese Linken, das seien doch intelligente Leute, warum sind die so gut im Dagegensein, aber so schwach im Dafürsein. Na, eben ein bisschen auch, weil sie so intelligente Leute sind, antwortete ich. Man weiß, was schlecht läuft. Aber man weiß auch, dass es ganz schön schwierig ist, in komplexen Gesellschaften gleichzeitig für mehr Gerechtigkeit, mehr globale Fairness und wachsenden Wohlstand zu sorgen.

Ein moderner Linker denkt etwa so: Es ist schlecht, dass es eine krasse Ungleichheit an Lebenschancen gibt und es ist noch schlechter, dass diese Ungleichheit gerade in einer Zeit dramatisch zunimmt, in der der Reichtum rasant wächst. Manche dieser Ungleichheiten sind leichter zu bekämpfen, manche schwerer. Es ist ein Skandal, dass meist nicht einmal versucht wird, die Maßnahmen zu setzen, die leichter zu setzen sind. Kurzum: Man kann die Welt verbessern, ohne dass man an die Verwirklichung des Paradieses auf Erden glauben muss.

Eigentlich muss man sehr verbohrt sein, wenn man behauptet, diese kluge Einsicht beweise eine Krise der Linken.

Ein Gedanke zu „Was heißt noch mal „links“?“

  1. Lieber Robert Misik,
    ich denke, dass es „die Linke“ nicht gibt, nie gab und auch nie geben wird. Weil links immer nur relativ zu (noch weiter) rechts existiert. Und auch was (weiter) rechts ist, wandelt sich im Laufe der Geschichte. Schließlich wollen auch relativ Rechte die Welt verbessern und sind, zumindest in Gesellschaften mit Meinungsfreiheit, genötigt, ihr jeweilige „Besser“ zu begründen.
    Auch gab es immer schon auch ein „Links“, das „Großideen“ mied. „Großideen“ (wie die marxistische) sind wiederum mit der Karrikatur, die du von ihnen zeichnest, nämlich „Glauben an das Paradies“ nicht in ihrer Gänze erfasst. Dass sich der gleiche Robert Misik, der einst „mehr Kommunismus wagen“ wollte, sich offenbar nur noch an so dünne Brettern traut wie „ein Skandal, dass zumindest leichte Maßnahmen nicht umgesetzt werden“, und begeistert von der Leichtikeit des Damitdurchseins nun alle, die noch am kommunistischen Dickbrettbohren sind, „verbohrt“ nennt, finde ich enttäuschend.
    Marx wandte sich im Übrigen ausdrücklich dagegen, einem Idealbild hinterher zu rennen und nannte Kommunismus „die wirkliche Bewegung, die das Bestehende aufhebt“, nämlich die bestehenden Formen der Arbeitsteilung, die z.B. bedingen, dass Baumwolle nicht dort und mit den Methoden angebaut und weiterverarbeitet wird, wo und wie dies mit sozial und ökologisch geringstem Ungemach geschehen kann und wo und wie das – sozial und ökologisch – den größten Gewinn verspricht. Freie Konkurrenz privater Aneignungsvermögen (die sich als solche sozial und ökologisch nicht zu rechtfertigen brauchen) bedingen eben, dass die vorherrschende Rationalität, nach der „wir“ die Produktionskosten bestimmen, die ökonomische Rationalität der Arbeitsersparnis, (die Geiz geil macht), oder die der national-politisch formierten Kapitalmacht ist. (Agrarsubventionen der USA, der EU oder Chinas) Der Glaube, dass es mit der paradiesischen Unschuld, mit der die Jeans und Shirts heute in der Regel angeeignet werden, so weiter gehen kann, provoziert allerdings bohrende Fragen danach, ob der Gläubige sich rechts oder links von der Idee bewegen möchte, kooperativere Formen der Arbeitsteilung zu etablieren, die ein sozial und ökologisch rationales Handeln ermöglichen.
    Gruß Hans-Hermann Hirschelmann, Berin

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