Willkommen im Fußnoten-Europa

Johannes Voggenhuber, grüner EU-Abgeordneter und Verfassungsarchitekt, über die britisch-polnische Gipfelfront und Angela Merkels Kämpferqualitäten. profil, 25. Juni 07

profil: Warum wurde der Brüsseler EU-Gipfel zu einer solch dramatischen Hängepartie?

Voggenhuber: Alles konzentrierte sich auf die regierenden Zwillinge Polens – man machte sich über sie lustig wie über Clowns. Und tatsächlich, es kamen groteske Vorschläge: etwa, die polnischen Weltkriegstoten in der Stimmgewichtung zu berücksichtigen. Nur, die Polen sind nicht das Problem.

profil: Sondern?

Voggenhuber: Die polnischen Forderungen zur Stimmengewichtung waren zwar nicht gerade hilfreich, aber grundsätzlich ist die Quadratwurzelformel, die kleinere und mittlere Staaten gegenüber größeren bevorzugt, weder antieuropäisch noch antidemokratisch. Bei den Forderungen des Herrn Tony Blair sah die Sache aber ganz anderes aus. Dessen Forderungen waren viel weitreichender.

profil: Die Briten haben eben ein Problem mit ihrer nationalen Souveränität. Das kennt man doch, oder?

Voggenhuber: So locker soll man das nicht nehmen. Blair hat seine Abschiedsvorstellung auf der globalen Bühne dafür benutzt, Europa zu demütigen. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: Die Briten insistierten darauf, dass es nun sinngemäß heißt, die Grundrechtscharta ist rechtlich verbindlich, bricht aber nicht britisches Recht. Das ist in etwa so, als würden wir in Österreich sagen: Wir sind ein Rechtsstaat mit Ausnahme von Wien. Die Menschen- und Bürgerrechte sind doch der Kern der europäischen Idee.

profil: Haben Polen und Großbritannien über die Bande gespielt?

Voggenhuber: Die Strategie der Kaczynski-Zwillinge spiegelt in gewisser Weise das Trauma ihres Landes – eines Landes, das sich schwach fühlt, zu wenig anerkannt. Gewiss, die Brüder haben sich unsolidarisch verhalten. Aber wir dürfen nicht vergessen: Es waren die Briten, die monatelang eine Front gegen Europa aufgebaut haben, die das orchestriert haben. Sie haben die Polen und Tschechen aufgehetzt.

profil: Aber sind die Kompromisse, die die Briten forderten, wirklich so schlimm?

Voggenhuber: Gewiss, man kann mit jedem Zugeständnis leben. Es geht nicht um Details, es geht darum, dass man im Ganzen vollkommen vom Geist des Verfassungsprozesses abgewichen ist. Wir wollten Europa zu einer Res publica machen. Was haben wir uns bemüht! Wir wollten den Bürgern in Europa eine Stimme geben, wir wollten verständlich formulieren, auch wenn man uns jetzt vorwirft, dass wir viel zu viel in die Verfassung hineingepackt haben. Aber was macht man nun: Selbst bei den Punkten, die in der Substanz erhalten bleiben, verschleiert man sie. Man verschleiert wichtige Dinge, beispielsweise indem man in Fußnoten auf sie verweist. Willkommen im Fußnoten-Europa!

profil: Aber dieser Geist der Verfassung war doch mit dem Nein bei den Referenden in Frankreich und in den Niederlanden schon tot.

Voggenhuber: Das stimmt so nicht. Jedenfalls: Die Streitfragen, die den Gipfel dominierten, hatten nichts mit den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zu tun. Niemand hat in den Auseinandersetzungen damals gefordert, dass es keine Hymne und keine Flagge geben dürfe, niemand hat gefordert, es dürfe keinen EU-Außenminister geben, niemand war gegen die Grundrechtscharta. Im Gegenteil: In Frankreich ging es darum, dass Europa sozialer werden müsse.

profil: War irgendetwas auch positiv bei diesem Gipfel?

Voggenhuber: Ja, eindeutig. Man muss Angela Merkel ein großes Kompliment machen. Sie hat entschlossen gekämpft. Sie ist wirklich eine außergewöhnliche Figur. Sie hat die Erfahrungen aus ihrem Leben im Ostblock fabelhaft und sehr authentisch in die europäische Politik mit einfließen lassen. Sie knüpft an die große deutsche Tradition von Adenauer bis Kohl an. Ohne Merkel hätte es überhaupt nie eine Chance gegeben, dass das Vertragsprojekt wieder an Fahrt gewinnt.

profil: Und Sarkozy?

Voggenhuber: Ja, auch der neue französische Präsident hat sich als konstruktiver Partner gezeigt. Überhaupt: Nicht nur die 18 Länder, die schon Ja zur Verfassung gesagt haben, haben sich sehr ins Zeug gelegt, letztendlich haben 24 Länder konstruktiv agiert, und drei Länder haben sich stur gezeigt: Großbritannien, Polen und die Niederlande. 

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