Wenn Denker irren

Michael Ignatieff war als Professor für den Irakkrieg und ist als Politiker jetzt dagegen. Sollte man künftig also nicht mehr auf das Urteil von Intellektuellen hören? taz, 10.8.07

 

Man stelle sich das vor: Ein Intellektueller macht sich für einen Krieg stark. Dieser wird dann begonnen und läuft höllisch schief. Ein paar Jahre später gesteht der Intellektuelle ein, dass er sich geirrt hat. Pech für ihn. Noch größeres Pech natürlich für die Zehntausenden, die seinen Irrtum nicht überlebt haben. Was ist das dann? Intellektuelle Redlichkeit, weil es immer von Größe zeigt, einen Fehler einzugestehen? Oder nur ein neuerlicher Dreh an der Hybrisspirale, getragen vom absurden Glauben, mit einem „’Tschuldigung“ wäre die Sache aus der Welt? Wenn der Intellektuelle ein selbstreflexiver Typ ist, und sich diese Frage gleich noch dazu stellt, dann wird er wohl Schwierigkeiten haben, sie zu beantworten.

 

Michael Ignatieff ist so ein selbstreflexiver Typ und auch noch ein ziemlich bemerkenswerter Grenzgänger dazu. Er war ein linksliberaler Politikprofessor, der sich in Harvard mit den Fragen herumgeschlagen hat, wie die Menschenrechte in der internationalen Politik durchgesetzt werden können. Seine Arbeiten waren seit langem von einem tragischen Sound durchzogen – dass man in der Politik zwischen Übeln wählen muss, und dass man manche Übel nicht loswird, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Er hat sich auch als Reporter einen Namen gemacht, hat für den New Yorker vom Balkan berichtet, ebenso für das New York Review of Books. Er war so eine Art Joschka Fischer mit Doktorhut, der Prototyp eines Public Intellectual. Seine Integrität ließ auch jene nicht unbeeindruckt, die seine Urteile nicht teilten. Vor vier Jahren unterstützte er den Irakkrieg, weil er der Meinung war, dass der Sturz von Saddam Hussein, des Bagdader Blutsäufers, eine gute Sache sei. Er war weder ein Illusionist, noch ein Haudrauf wie die Parteigänger der neokonservativen Kamarilla in Washington, auch wenn er im Endeffekt zu ziemlich ähnlichen Meinungen kam wie sie. Vor einiger Zeit dann ging er in die Politik, er trat in seinem Heimatland Kanada für die Liberalen (nach unseren Maßstäben die Sozialdemokraten) an, und wäre wohl Außenminister geworden, hätte seine Partei die Wahlen nicht verloren. Danach unterlag er knapp bei der Wahl zum Parteivorsitzenden und ist heute der zweite Mann seiner Partei.

 

Jetzt hat er im Magazin der „New York Times“ ein großes Mea Culpa veröffentlicht. Ja, er habe damals falsch gelegen, und er habe gelernt, sich künftig „weniger von den Leidenschaften von Leuten beeinflussen zu lassen“ – auch von solchen nicht, die er bewundere –, und ebenso wenig von „meinen Emotionen“. Aber Ignatieff geht noch weiter. Nach knapp zwei Jahren in der Politik vergleicht der Denker-Politiker die Anforderungen, die an einen Politiker gestellt werden mit denen, die für einen Intellektuellen gelten. Und siehe da: Die intellektuelle Urteilskraft sei in der Politik einigermaßen nutzlos, so sein Resümee.

 

Nun, man kennt das ein wenig: Intellektuelle müssen nachdenken, Politiker müssen entscheiden, und das, obwohl sie nie genügend empirische Daten zur Verfügung haben, die ihnen mit letzter Sicherheit sagen können, welche Entscheidung die Richtige ist. Mehr noch: Da ein guter Politiker vor allem ein guter Entscheider sein muss, mit einem Gespür für Timing und ähnlichem, kann auch die zweitbeste Entscheidung die richtige sein, wenn sie nur mit dem richtigen Gestus daher kommt, mit Überzeugungskraft. Politische Entscheidungen haben eine performative Dimension: Wer den Anschein erweckt, aus tiefer Überzeugung zu handeln, dessen Handlung wird möglicherweise als die richtige Handlung vor der Geschichte bestehen, weil er sich durchsetzt, schon seiner Entschlusskraft wegen. Nicht was wahr ist zählt, sondern was funktioniert. Dagegen der Intellektuelle: Der reüssiert mit seinen Ideen eher nicht, weil sie funktionieren, sondern weil sie originell sind. Die Anreizsysteme, denen sich der Denker und Publizist gegenüber sieht sind also vollkommen andere, als die des Politikers.

 

An all dem ist etwas dran, so viel sogar, dass es schon wieder banal wirkt. Hier der Politiker, dessen Entscheidung Tausenden das Leben kosten kann, und der dennoch irgendwann entscheiden muss, da der Intellektuelle, der nachdenken kann, so lange er will, dessen Meinungen niemandem wehtun und der sich auch dafür entscheiden kann, eine Mittelposition einzunehmen, wenn er hin und her wackelt – der klassische weltfremde Elfenbeinturmtyp also.

 

Nur, trifft das für Intellektuelle vom Schlage Ignatieffs überhaupt zu? Ist der moderne politisch agierende Intellektuelle wirklich vom guten Politiker derart trennscharf auseinander zu halten? Zunächst muss man zwischen dem still vor sich hin räsonierenden Intellektuellen, der keine Vorschläge unterbreitet und dessen Überlegungen keine praktischen Implikationen haben, und dem Typus des Intellektuellen unterscheiden, den man seit Urzeiten den „politisch intervenierenden“ Intellektuellen nennt. Letzterer war lange Zeit der Antipode zur Macht. Halb Prophet, halb moralische Instanz, halb Aufrührer, warf er das Gewicht einer Autorität in die Waagschale, die er auf anderem Gebiet erworben hatte. Er war damit auf dem Feld, auf dem er als politischer Aktivist sprach, ein Dilettant, wie jeder Bürger auch, nur dass er sich besser Gehör zu verschaffen wusste. Der neue politisch intervenierende Intellektuelle ist freilich eher ein intellektueller Politiker. Er weiß, im besten Falle, mehr als der normale Politiker über die Kompliziertheit der Welt und die Aporien sozialer Systeme, aber anders als der „bloße“ Intellektuelle trifft er am Ende des Tages auch seine Entscheidung: als Kommentator, als Ratgeber.

 

Er ist gewiss anderen Anreizsystemen und völlig anderem Druck ausgesetzt als ein Politiker, aber „at the end of the day“ sind die Rollen so verschieden nicht: Wenn alle Für und Wider abgewogen sind, entscheidet er sich dafür, sich für eine Entscheidung stark zu machen, für diese auch seine Reputation in die Waagschale zu werfen. Und er entscheidet sich dann immer auch dafür, einen Irrtum zu riskieren. Aber ohne dieses Risiko ist für handelnde Menschen, seien es Politiker, Intellektuelle oder normale Bürger, die Welt nicht zu haben: Wer immer handelt, kann sich auch irren. Das ist seit jeher die Tragik des Handelnden.

 

Letztendlich steht der Intellektuelle mit Verantwortungsgefühl vor den gleichen Dilemmata wie ein guter Politiker: Er weiß, dass seine Handlungen unerwünschte Folgen zeitigen können, aber er weiß auch, dass Nichthandeln eine Form des Handelns ist. Um beim Beispiel des Menschenrechtsbellizismus zu bleiben: Einmärsche können fürchterliche Gewaltspiralen auslösen, Nichtstun gibt Despoten und Folterern freie Hand.

 

Wer eine Entscheidung trifft, kann Irrtümer nicht ausschließen. Allerdings, die Konsequenzen sind andere. Der Intellektuelle ist bestenfalls blamiert. Der Politiker muss, wenn alles schief läuft, seine Karriere an den Nagel hängen. Nun, sie werden’s überstehen. Das gilt nicht immer für die Objekte des Irrtums – die sind gelegentlich nämlich tot.

2 Gedanken zu „Wenn Denker irren“

  1. Irgendwie hat mich das Lesen von Cormac Ignatieff’s „The Road“ (Huffington Post) zu einer Reevaluierung des besagten „Mea Culpa“ in der NYT veranlaßt. Die Parodie von Rees auf Ignatieff ist laut und durchsetzt von Pop-Populismus, aber in einigen Dinge hat Rees recht: Ignatieff ist viel zu anekdotisch ohne auch nur annähernd politisch so konkret zu sein, wie es dem Anlaß entsprechen würde und er ist dies sogar bis an die Grenze der unfreiwilligen Komik. Mein Favorit (und diese Passage ist mir erst durch Rees aufgefallen, nachdem ich Ignatieff bereits gelesen hatte). O-Ton Ignatieff:
    „Daring leaders can be trusted as long as they give some inkling of knowing what it is to fail. They must be men of sorrow acquainted with grief, as the prophet Isaiah says…“
    Brüsk gesagt lesen sich für mich nun große Teile von Ignatieffs vorgeblichem „Mea Culpa“ als bildungsdurchsetzte, keineswegs „selbstkritische“ Ausweichmanöver.

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