Umfallkommando

Selten wurde jemand so überraschend ins Amt gewählt wie Alfred Gusenbauer – und kaum jemand hatte mit einem solchen „Kanzlermalus“ zu kämpfen. Aber ein Jahr nach der Überraschungswahl hat Gusenbauer Tritt gefasst. Falter, 3. Oktober 2007

 

 

Es war schon knapp vor elf Uhr Nacht, im Festzelt vor der Löwelstraße. Schwaden von Schweiß, Rauch und euphorischer Entrücktheit hingen über den Köpfen, da trat Alfred Gusenbauer noch einmal auf die Bühne. „Heute ist ein Traum in Erfüllung gegangen“, rief der SPÖ-Parteichef in die Menge. „Die Arroganz wurde abgewählt.“ Und so sangen die Genossen, was sie schon lange nicht gesungen haben: die „Internationale“. Weniger wegen Nostalgie, sondern wegen der einen Zeile, die sie nicht oft genug hören konnten an diesem Abend: „…wir sind die stärkste der Parteien!“

 

Denn damit hatte ja kaum einer gerechnet.

 

Schon die Siegesstunde war von leisem Realitätsverlust gekennzeichnet: „Rot-Grün, Rot-Grün“ riefen die Jusos in fester Missachtung aller Grundrechenarten, und wer die Möglichkeit eines Bündnisses mit den Konservativen auch nur andeutete, der wurde weggebuht. Das war natürlich nicht unverständlich, denn wer hätte die Schwarzen nicht für die Schüssel-Jahre büßen lassen wollen, aber auch ein bisschen weltfremd. Zwar hatte die ÖVP dramatisch verloren, aber die SPÖ nicht fulminant gewonnen. Was sie da gerade so euphorisch feierte, war das zweitschlechteste Wahlergebnis überhaupt in der Geschichte der Partei. Gusenbauer war nicht zum Kanzler gewählt worden. Es war nur ein Kanzler abgewählt worden.

 

Schüssel weg, Gehrer weg, Grasser weg, die blauen Brüder aus den Ministerien raus. Es war das Ende, das so viele ersehnt hatten. Aber es war noch kein Anfang. Und die Situation war auch nicht danach, dass ein großer Anfang, mit Beginnergefühl und drum und dran, entstehen konnte. Die SPÖ war nur einen Hauch vor der ÖVP, wollte aber den Kanzler stellen. Realisten wissen: Dafür muss man dann ganz viel Konzessionen machen. Die ÖVP war in der Schockstarre und beleidigt auf die Wirklichkeit, Generalsekretär Lopatka – erinnert sich noch jemand an den? – tobte über eine „beispiellose US-israelische Schmutzkübelkampagne“, weil die Sozialdemokraten mal wieder den großen Doktor Stanley Greenberg engagiert hatten. Die ÖVP verhandelte missmutig, nur um zu erklären, dass sie „mit denen“ ja eigentlich nichts zu tun haben wolle.

 

Gusenbauer konnte – Überraschung! – nicht alle seine Wahlversprechen durchbringen. Vom „Verhandlungsdesaster“ war die Rede: Finanz-, Außen-, Innenministerium Schwarz, Arbeitsmarktagenden im Wirtschaftsministerium, Integrationspolitik kein Thema, Studiengebühren prolongiert. Selten ist jemand mit einem solchen „Kanzlermalus“ ins Amt gegangen wie der neue Regierungschef. Sein „Versagen“ nahm sich natürlich besonders grandios aus angesichts der übergroßen Phantasien seiner Parteiaktivisten. Die machten es ihm nicht leichter, in die Spur zu kommen, schließlich hatte er ja das Umfallerimage ab. Schmallippig und leicht beleidigt machte es sich Gusenbauer auch selbst nicht einfacher. Den Jusos war er böse, dass sie ihm nicht mehr lieb haben. Bis heute gab es kein großes, öffentliches Gespräch zwischen Gusenbauer und seinen jungen Kritikern.

 

Und nun? Es ist, wie es ist. Außenpolitisch hat Gusenbauer bemerkenswert an Standing gewonnen, überraschend ist dabei seine enge Abstimmung mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Bei aller Nähe herrschte zwischen deutschen und österreichischen Kanzlern (sieht man von Kreisky und Brandt vielleicht ab) immer auch Konkurrenz. Jetzt gilt: Sowenig Ressentiment war nie. Merkel schickt Gusenbauer vor, sei es, wenn es darum geht, den störrischen Polen ins Gewissen zu reden, sei es, wenn der Dalai Lama kommt. Innenpolitisch ist die Lage so komfortabel oder unkomfortabel, wie das eine Große Koalition eben zulässt. Der Nachteil an Großen Koalitionen ist ja, dass der kleinere Partner darauf hoffen kann, den größeren wieder zu überrunden, wenn letzterer schlechte Figur macht. So zeichnen sich Große Koalitionen eben nicht durch gemeinsames Interesse an einem Erfolg der Sache aus. Bei Koalitionen, bei denen die Rolle des Großen und die es Juniorpartners gewissermaßen fix sind, ist das anders, und das ist ihr großer Vorteil. Bei Großen Koalitionen hofft der eine Partner zumindest insgeheim, dass der andere stolpern möge. In der Praxis hilft er nach, schubst er ihn sogar gelegentlich. Wenn Bartenstein den Buchinger trifft oder die Bures die Kdolsky dann wird geschubst wie am Schulhof. Wobei der bisweilen heftig inszenierte Streit auch seinen Sinn hat: die Koalitionäre bleiben unterscheidbar. „Kontrollierte Dissonanz“, hat das Anton Pelinka unlängst genannt.

 

In der gesellschaftlichen Schlüsselfrage schlechthin – Bildung und Schulreform – hat die Sozialdemokratie die Konservativen ohnehin am falschen Fuß erwischt. Ministerin Claudia Schmid hat sich geschickt zur Kämpferin für ein gerechteres und zeitgemäßes Schulwesen gemacht. Wobei „geschickt“ heißt: Sie propagiert das, wovon heute alle Welt weiß, dass es vernünftig ist. Und die ÖVP verteidigt, wovon sie selbst weiß, dass es nicht mehr verteidigbar ist – die kranke Aussortier-Schule.

 

Gusenbauer wird nach und nach, fast gemächlich, stärker, und gern stellt er sich noch selbst ein Bein (Shikoff!). Neun Monate ist er jetzt Kanzler. Er ist gewachsen im Amt, aber noch nicht zu Größe. Ist ja auch schwer, wenn man von aller Welt „Gusi“ genannt wird. Wenn er sich über die Zahlen beugt, kann er zufrieden sein. Bei den Kompetenzumfragen („Welcher Partei trauen sie beim Thema XY mehr Lösungskompetenz zu?“), hängte seine Partei den Koalitionspartner zuletzt regelrecht ab. Jetzt muss er nur mehr sein Umfallerimage los werden.

 

Das wird vielleicht das Schwierigste.

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