Vision Business

Dass Stars Politiker werden kommt häufig vor. Al Gore schaffte es andersrum: Er wurde vom Politiker zum Superstar. Demnächst holt er sich den Nobelpreis ab. Vorher kommt er nächste Woche nach Wien. Falter, 17. 10. 07

 

 

Al Gore hatte in der Nacht zum Freitag sein Telefon sicherheitshalber eingeschaltet gelassen. Als dann das Telefon bis zum Morgen nicht geläutet hat, ging er davon aus, dass er den Friedensnobelpreis doch nicht gekriegt hat. So haben Gore und seine Frau Tipper CNN eingeschaltet, um zu hören, wer die begehrte Trophäe denn an seiner statt erhalten habe. Es waren überraschende Nachrichten für Gore – und ziemlich erfreuliche noch dazu.

 

Eine Genugtuung ohnehin – der Höhepunkt der Neuerfindung der Person Gore. Nach dem Oscar für die Klimawandel-Dokumentation „Eine unbequeme Wahrheit“ jetzt also der Friedensnobelpreis für einen Mann, der gerade noch ziemlich weit unten war. Denn Gore hat einiges durchgemacht: Bye-Bye Weißes Haus, den Thriller um die Neuauszählung in Florida, die Entscheidung des Höchstgerichts, und all die Häme rundherum. Erinnern wir uns: 2000 verlor Gore gegen George W. Bush. Er hatte zwar Landesweit eine halbe Million Stimmen mehr, aber eben in Florida 537 Stimmen zu wenig erhalten. Viele sind immer noch der Meinung, der Supreme Court habe Gore damals die Wahl gestohlen, weil er die Neuauszählung stoppte, und ohnehin war die Wahl getürkt, weil viele Schwarze und Arme aus den Wählerlisten gestrichen waren. Gore hat zu den skandalösen Umständen seiner Nicht-Wahl immer geschwiegen. Nur ironisch hat er bisweilen angemerkt: „Man kann Wahlen gewinnen. Mann kann Wahlen verlieren. Und dann gibt es manchmal noch eine dritte Möglichkeit.“

 

Aber das war schon nach den quälenden Jahren, in denen Gore verschwunden war. Er hat sich einen Bart wachsen lassen und ist dick geworden. Vielleicht hat er sich ein bisschen gehen lassen, aber die äußere Wandlung war wohl eher so etwas wie ein Symptom. Ein Zeichen, für eine grundlegendere Metamorphose.

 

Denn schließlich wurde Gore nicht einfach als Pechvogel gesehen, der kein Glück mit der Wahlarithmetik hatte, und auch nicht als simples Opfer der Machenschaften der Bush-Brothers. Auch weit ins eigene Lager hinein setzte sich die Meinung durch, der hölzerne Gore habe die Wahl einfach vergeigt. Als Vizepräsident gegen den dumben Bush nicht klar zu gewinnen, das heißt irgendwie auch verdient zu verlieren, so die Auffassung. „Gore the Bore“, hat man ihn genannt, „Gore den Langweiler“. Der Mann ohne Ecken, ohne Leidenschaften. Wenn man an eine maximal uncharismatische Persönlichkeit dachte, dann an Al Gore. „Wenn sich meine Mama den perfekten Sohn vorstellte“, ätzte Wahlgewinner George W. Bush einmal, „dann hat sie sicher an Al Gore gedacht.“

 

Gore war immer der brave Sohn gewesen, und irgendwie erklärt das auch, wieso er unterging. Seine politische Karriere begann praktisch „am Tag seiner Geburt“ (Süddeutsche Zeitung). Al Gore jr. wurde darauf getrimmt, das Erbe von Al Gore sen. anzutreten, dem mächtigen Sentator, einer fixen Größe im der Washingtoner Politik. Al wuchs in der Politik auf, er lernte in den Hotels laufen, in denen sein Dad residierte. Die Kennedy, die Nixon, sie waren immer rundum.

 

Erst durch das Scheitern, erst durch dieses Scheitern, ist offenkundig etwas abgefallen, von Gore, dem brillanten, aber espritlosen Streber. 1993, als er mit Bill Clinton als Vize ins Weiße Haus einzog, war er schon der Erfahrenere der beiden. Aber er war der Aktentyp. Clinton war der, dem die Herzen zuflogen. Gore der, dem man nicht abnahm, wenn er sagte, er habe eine Mission. Akten haben keine Mission.

 

Dabei hatte er eine. Und als Gestrauchelter nahmen es ihm die Leute auch ab. Vor allem, als er begann mit seiner Diashow herumzutingeln, mit der er das bedrohliche Ausmaß der Erderwärmung dokumentierte. Ein Ex-Vizepräsident als Aktivist, auf Tour durch Festsäle, Hörsäle, Zelte. 2000 Mal hat er den Vortrag mittlerweile gehalten. Erst nur vor 100, 120 Leuten. Dann vor sechstausend, zehntausend. Dass Stars zu Politiker werden, das ist man ja schon gewohnt. Aber erstmals war da einer in die Gegenrichtung unterwegs: der Ex-Politiker als Superstar. „Al Gore, Rock Star“, titelte die New York Times vergangenen Februar.

 

Natürlich wuchs Gore, der plötzlich als gerader Kerl und die Verkörperung der Vernunft erschien, in dem Maß, in dem sich George W. Bush als Katastrophe entpuppte. Er ist „zum Symbol für das geworden, was hätte sein können“ (New Yorker). Er wurde locker. „Hello, ich bin Al Gore“, begann er manchen seiner Auftritte, „ich war einmal der nächste Präsident der Vereinigten Staaten“. Für David Rothkopf, als Autor des Buches „Superclass“ Experte für die globale Power-Elite, sind Gore und Bush gleichsam paradigmatische Exempel. Der eine hatte nichts, aber rein gar nichts mehr und machte daraus eine Starrolle, der andere hatte „die größte Bühne der Welt und grub sich darauf sein politisches Grab“.

 

Gore wuchs auch mit der Konjunktur seines Themas und der Transformation der Ökodiskurse. Am Klimawandel herrscht heute kein Zweifel mehr. Und die Ökodiskurse haben sich amerikanisiert. Sie sind geprägt von diesem eigentümlichen amerikanischen Pathos und dem technoaffinen Do-it-Geist, dem Anpackertum der industriell führenden Supermacht. Aber Gore profitiert nicht nur von diesem Wandel. Er ist der Mensch auf diesem Globus, der am meisten zu diesem Wandel beigetragen hat. Gore ist gewissermaßen der Prototyp des „neuen Ökos“, der Hybridautos fährt und bewusst konsumiert.

 

Viele rufen jetzt, er möge in das Rennen um das Weiße Haus einsteigen. Gore winkt ab, lässt sich aber die Tür immer noch offen. Freilich, sehr wahrscheinlich ist es nicht, dass Gore am Ende doch noch Präsident wird. Die Demokraten haben gute Kandidaten im Rennen und Hillary Clinton führt mit passablem Vorsprung in allen Umfragen. Vor allem aber deutet wenig darauf hin, dass Gore will. Man kann sich vorstellen, wie gering die Lust, bei allem Ehrgeiz, sein mag, noch einmal der Alte zu werden, sich noch einmal die Tortur einer Wahlkampagne anzutun (die man, nebenbei gesagt, auch verlieren kann). „Meine Liebe zur Politik ist erkaltet“, sagt er immer wieder. Das ist ein bisschen kokett. Aber wohl nicht nur. Gore ist jetzt im Vision Business.

 

„Warum sollte er kandidieren?“ fragt ein prominenter demokratischer Abgeordneter. „Er überragt uns doch heute alle.“

 

Al Gore in Wien: Am 24. Oktober spricht der Oscar- und Nobelpreisgewinner beim Mobilcom-Futuretalk im Arsenal.

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