Kein Entkommen ohne Tragödie

Rossana Rossanda, die Grande Dame der italienischen Linken, hat ihre Memoiren vorgelegt. Ein großes Buch über jene Art von Illusionen, deren Verlust nicht nur eine Befreiung ist. Standard, 24./25. November 2007

 

 

 

Die Frau ist ein Mythos, und das schon seit zwanzig, dreißig Jahren: Rossana Rossanda, geboren 1924, italienische Kommunistin, Intellektuelle, unorthodoxe Linke. Ausgeschlossen aus der PCI 1969, Begründerin der Zeitung „il manifesto“, die zum Role-Modell für Tageszeitungen wie „Liberation“ oder „die tageszeitung“ werden sollte. Und sie verband Epochen: vom moskautreuen Kommunismus bis zur „Neuen Linken“. Jetzt hat sie ihre Memoiren vorgelegt. Ein großes Buch.

 

Es ist Rossandas Lebensgeschichte, zugleich auch ein kluge Kulturgeschichte Italiens und eine Mentalitätsgeschichte des westlichen Kommunismus. Rossanda beschreibt, wie sie hineingeriet, die unpolitische Bürgertochter. 1929 hat die Familie alles verloren, beachtlicher Wohlstand verwandelte sich beinahe über Nacht in drückende Armut. Aber politisches Erweckungserlebnis, eines das ihr „die Augen geöffnet“ hätte, war das keines. „Ich war ein farbloses Mädchen“, schreibt die Autorin. Faschismus, Kriegsbeginn – Rossanda bleibt lange seltsam unberührt davon. Wie all die „Nichtfaschisten“ um sie herum, die weder Pro noch Anti waren, sondern dachten, „sich heraushalten zu können“. Erst auf der Universität wird sie zur Kommunistin. Leistet Hilfsdienste für den Widerstand, riskiert Kopf und Kragen. Die Kommunisten, fällt ihr auf, waren sich „dessen, was sie taten, am sichersten“.

 

Sie kam nicht über Marx, nicht über die Utopie, nicht über die Idee von der klassenlosen Gesellschaft zum Kommunismus, sondern über den Antifaschismus. „Resolute Realisten“, waren das, die da mit ihr den Weg zur PCI fanden.

 

1947 hängt sie ihren bürgerlichen Beruf an den Nagel und widmet sich hauptberuflich der politischen Arbeit. Sie organisiert und agitiert. Mailand ist ihre Heimatstadt geworden. Sie reist durchs Land. Die Partei, das war ein „lebendiges Netz“, eine Gegenkultur. „Unwissenheit wurde nicht verachtet, aber auch nicht belohnt“. Die kleinen Leute haben etwas gelernt in der Partei und sie wurden zusammengeschweißt, rund um ein Ideal, rund um die Idee, dass ein besseres Leben möglich ist. Dies war die große zivilisatorische Leistung des Kommunismus, was immer an Autoritärem und Repression er auch zu verantworten hat. Das will sich Rossanda auch heute nicht nehmen lassen: „Ob es genehm ist oder nicht, dort, wo sie nicht an der Macht war, bewirkte die kommunistische Bewegung einen mächtigen Ansporn zur Demokratisierung.“

 

Sie war Partei der Hoffnung. Dafür, dass die einem nicht genommen wird, nahmen Funktionäre und Aktivisten viel in Kauf. Auch Rossanda schaute weg. Reiste nach Moskau, nahm nichts wahr. Sie interessierte sich für die Arbeiter von Pirelli, nicht so sehr für die Ostblock-Länder. Dass 1953 in Ost-Berlin ein Aufstand tobt, fällt ihr gar nicht auf. In diesen Passagen geht Rossanda sehr schonungslos mit sich selbst ins Gericht. „Warum habe ich es unterlassen zuzuhören, mich zu äußern?“ Doch als sie Ende der fünfziger Jahre ins Zentralkomitee ihrer Partei einzieht, war ihr schon klar: „Hier kommt man nicht ohne Tragödien wieder heraus“.

 

Nun, die Tragödie war nicht allzu blutig. Als in den sechziger Jahren die Welt in Bewegung geriet, konnte auch Rossana Rossanda nicht mehr übersehen, wie schwerfällig ihre Parteiführung ist. Sie macht Karriere, wird nach Rom berufen, wird Parlamentsabgeordnete, aber sie lebt sich auseinander mit der Führungsclique. Die Zerschlagung des Prager Frühlings (und das Lavieren des römischen Parteivorstands), die Ignoranz gegenüber der Studentenrevolte und den Fabrikbesetzungen rebellischer Arbeiter, bringen sie auf Konfrontationskurs. Nach Gründung der kritischen Zeitung „il manifesto“ werden Rossanda und ihr Kreis aus der Partei ausgeschlossen.

 

Rossanda ist jetzt ein „Big Name“, die Grande Dame der italienischen Linken. Umso symptomatischer, dass sie die siebziger Jahre nur mehr kursorisch beschreibt, die achtziger Jahre gar nicht mehr. Als wäre sie ohne Partei irgendwie abgeschnitten von der Welt, von den „Menschen, die gleich sein wollten, aber nie gleichgeschaltet, nie abhängig, nie Ware und nie Werkzeug. Das mag eine Illusion gewesen sein, eine Verblendung, wie eine meiner Freundinnen vor einiger Zeit gesagt hat. Aber es war eine starke Illusion und eine solide Verblendung, die sich von menschlicher Realität kaum unterscheiden ließ.“

 

Eine versunkene Welt, deren Untergang aber nicht nur eine Befreiung ist. Gewiss, über Gulag, Einparteienherrschaft und den sowjetischen Völkerkerker ging die Geschichte zu Recht hinweg. Aber es gab, jenseits von KP-Diktatur und Satellitenparteien immer auch eine andere Art von Kommunismus.

 

Um diese Hoffnung ist die Welt heute ärmer. Rossana Rossanda ist mehr als eine Zeitzeugin, die mit historischen Figuren wie Togliatti, Lukacs, Althusser, Achmatowa verkehrte, sie ist eine der wenigen, die es schaffte, in- und außerhalb ihrer Partei glaubwürdig zu wirken und deren Emanzipation vom Panzerkommunismus nie in Affirmation des Gegebenen enden sollte. Über einen Besuch beim Philosophen Georg Lukacs in Budapest notiert sie: „Abenddämmerung und kein Morgengrauen in Sicht“.

 

Es hätte auch einen schönen Schlusssatz dieses Buches abgegeben.

 

Rossana Rossanda: Die Tochter des 20. Jahrhunderts. Suhrkamp-Verlag, 2007. 476 Seiten, 27,60.- Euro

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