„Glückseligkeit der Anderen“

Ist der politische Konsument der Schlüssel für ein nachhaltigeres Wirtschaften? Eine Reihe von Autoren antworten mit einem vorsichtigem Ja. Das hat Auswirkungen auf die Politiktheorie – und auf die Wirtschaftswissenschaften erst recht. Heureka, Dezember 2007

 

„Einkaufen ist wie wählen gehen“, sagt Tanja Busse, Autorin des Buches „Die Einkaufsrevolution“. Damit meint sie: Unser Konsumverhalten hat Einfluss auf den Zustand der Welt. Und der ist nicht gut: Klimawandel, ökologischer Raubbau, die Ausbeutung von Kindern in der Dritten Welt. Und: An allem ist der Konsument schuld. Würde der anders einkaufen, wäre die Welt besser. Doch so manchem kritischen Kopf mag angesichts der Vorstellung, dass man die Welt statt an der Wahlurne an der Ladenkasse verändern könne der alte Spruch aus Sponti-Tagen in den Sinn kommen: „Wenn Wahlen etwas ändern würden, dann wären sie verboten.“ Was, wenn das für das Konsumieren erst recht zutrifft?

 

Lässt sich das Ziel der Nachhaltigkeit wirklich durch Änderung des Verbraucherverhaltens erreichen, kann man Wohlstand aufrecht erhalten, ohne sich in Ausbeutung und Kriegsgewinnlertum zu verstricken? Ja, sagen die Propagandisten des neuen Einkaufens. Früher hatten Politaktivisten, die die Welt verändern wollten, den Spruch auf den Lippen: „Packen wir’s an.“ Heute sagen sie: „Packen wir’s ein.“ Das richtige, nicht das falsche.

 

Die Ökokorrektness ist der Dernier Crie, Al Gore, Leonardo DiCaprio und Cameron Diaz sei es gedankt. Aber hinter dem neuen Ökochic steht auch ein Versprechen: Dass eine Verbesserung der Welt nicht auf Verzicht hinaus laufen muss. Schließlich ist der Trend zum Guten in der Wirtschaftswelt ja besonders ausgeprägt unter den neuen, urbanen Mittelklassen in Westen. Unter Leuten also mit besonders großen ökologischem Fußabdruck, die mit dem Wort Nachhaltigkeit „ein gutes Gewissen auf unseren Lebensstil kleben“ wollen (Busse).

 

Die Liste der Einwände ist jedenfalls eindrucksvoll und kaum von der Hand zu weisen: In vielen Bereichen hat der Konsument gar keine Auswahl. Die ökologisch korrekte Produktion ist ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wo Öko drauf steht, ist auch nicht immer Öko drin – und Versuche, in einzelnen Bereichen Nachhaltigkeit einzuführen ziehen ökologische Schäden in anderen Bereichen nach sich. Beispiele gibt es dafür genug. So wurde bei den frühen Solaranlagen für die Herstellung mehr Energie verwendet, als sie später erzeugten. Mit dem technologischen Fortschritt hat sich die Energiebilanz zwar verbessert, aber das Problem bleibt. Es gibt auch heute kaum ein Handy, das ohne Tantal auskommt, ein Metall, das aus dem Roherz Coltan gewonnen wird. „Noch vor kurzer Zeit wurden 80 Prozent des weltweit verwendeten Tantals aus Vorkommnissen des zentralafrikanischen Landes Kongo gewonnen. Im Kongo herrscht seit Jahren ein Bürgerkrieg, der seit 1998 vier Millionen Menschenleben forderte. Seit langem ist bekannt, dass die verschiedenen Kriegsparteien ihren Kampf mit dem Verkauf des Tantal-Grundstoffes Coltan finanzieren“, schreibt Fred Grimm in seinem Buch „Shopping hilft die Welt verbessern“. Wer ein Handy kauft, kann auch beim besten Willen kaum sicherstellen, dass er damit nicht zum Bandenkrieg in einem Failed State beiträgt. Und selbst so wunderbare Produkte wie die gegenwärtig gehiypten Hybridautos haben ihre Schattenseite: Sie fahren mit einem raffinierten Mix aus Benzin- und Elektromotor und haben meist einen vorbildlichen Kraftstoffverbrauch und erheblich reduzierten CO2-Ausstoß – aber die Herstellung und der Transport der Materialien ist nicht zum ökologischen Nulltarif zu haben und die satte Nickel-Mettalhybrid-Batterie, mit der etwa der Toyota-Prius fährt, ist bei Herstellung und Entsorgung ein regelrechter Umweltkiller. Eine Reihe von Konsumformen lassen sich ohnehin nicht umweltschonend gestalten. Wer in ein Flugzeug steigt, macht sich schon schuldig. Und das tun seit dem Aufkommen der Billigliner immer mehr. So rät der Berliner Autor Stefan Kuzmany seinen Lesern in seinem flotten Einkaufsbrevier „Gute Marken. Böse Marken. Konsumieren lernen, aber richtig!“ nicht ohne einem gehörigen Schuss Sarkasmus: „Bleiben Sie zu Hause. Heizen Sie nicht.“

 

Andererseits: All das heißt nicht, dass „Nachhaltigkeit“ nur ein schönes Wort ist, und dass Konsumismus notwendigerweise zu Ressourcenverschwendung führen muss. Luxemburg hat einen jährlichen CO2-Ausstoß pro Einwohner von 22,1 Tonnen, die Schweiz nur 6,1 Tonnen. Jeder Amerikaner produziert im Jahr 720 Tonnen Hausmüll, jeder Schwede nur 360 Tonnen. Kein Mensch würde deshalb behaupten, in Luxemburg herrschte mehr Wohlstand als in der Schweiz oder in den USA mehr als in Schweden. Aber ganz ohne Reduktion wird es wohl auch nicht gehen: Die Zauberworte lauten Suffizienz und Effizienz. Soll heißen: Nur Effizienzsteigerung bei gleich bleibendem Lifestyle wird nicht reichen. Nachhaltigkeit braucht eine Definition des ausreichenden Konsumniveaus bei maximaler Effizienz der Produktion der dafür nötigen Güter. „Unsere Art in den Industrieländern zu leben und zu konsumieren – das ist nicht auf der gesamten Welt möglich, ohne die Erde dabei zu überlasten“, sagt Andreas Troge, Nationalökonom und Präsident des deutschen Umweltbundesamtes. In vielen Bereichen müsste der Konsum auf energieeffizient produzierte Güter oder fair gehandelte Waren umgeleitet werden. Die Zeit, als solche Produkte einfach nicht ausreichend am Markt waren, ist jedenfalls vorbei. „Der entscheidende Hebel für mehr Energieeffizienz und einen breiteren Einsatz erneuerbarer Energien ist heute nicht primär das fehlende Angebot, sondern die unzureichende Nachfrage“, meint denn auch Edda Müller von der deutschen Verbraucherzentrale. Nachhaltigkeit braucht deshalb eine Veränderung der Konsumgewohnheiten – wird aber auch zu einer Transformation der Wirtschaftsstruktur führen. Im Energiebereich werden nicht mehr allein die großen Energieversorger die führenden Unternehmen sein, deren Macht wird eher schwinden – zugunsten von Unternehmen, die im Effizienz-High-Tech groß im Geschäft sind. Das heißt: Es wird am wirtschaftlichen Feld Gewinner und Verlierer geben.

 

Kurzum: Der Konsum wird Politisch und die Politik hat den Verbraucher im Auge. Dies hat Implikationen für die Politikwissenschaft – und für die Ökonomie. Für die Politikwissenschaft tritt der Bürger nicht mehr so sehr als Aktiver, als Engagierter in den Blickwinkel, sondern als das, was der Münchener Soziologe Ulrich Beck schon vor mehr als einem Jahrzehnt als „politischer Konsument“ bezeichnet hat. Das bürgergesellschaftliche Engagement ist nichts mehr, was sich auf einem Feld jenseits des Marktes verortet, sondern auf diesem selbst. Das ist in gewissem Sinn der Totaltriumph der Marktlogik: Selbst die Weltverbesserung wird in der Logik des Kapitalismus betrieben. Aber diese „Moralisierung der Märkte“ – so der Kulturwissenschaftler Nico Stehr in seinem jüngsten Buch – unterläuft damit auch alle gängigen Vorstellungen vom Marktgeschehen. Auch auf Märkten sind, wie das die kühle Rationalität der Wirtschaftswissenschaften unterstellt, nicht nur materielle Interessen am Werke, auch moralische Verpflichtungen gehen in die Entscheidungen der Marktakteure ein. Die „materielle Rationalität“ der Märkte, so Stehr, ist nicht „von strikt monetären Überlegungen und Eigeninteressen bestimmt“. Die Wirtschaftswissenschaften mit ihrem Hang zum Mathematischen haben damit ein Problem: Wie soll man Altruismus, schlechtes Gewissen, Sorge um Nächste, Fernere und künftige Generationen auch in Formeln einfangen? Eine Ahnung, immerhin, hat auch die Wirtschaftswissenschaft von diesen neuen Phänomenen. „Nach 150 Jahren entdeckt die moderne Wirtschaftswissenschaft, dass es so etwas wie die Liebe gibt“, spottet der Wiener Ökonom Stephan Schulmeister.

 

Nun, ganz so stimmt das nicht. Schon der Begründer der klassischen Wirtschaftswissenschaften hatte ein Gespür für den raffinierten Zusammenhang von Ethik und Ökonomie. „Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen“, schrieb der große Nationalökonom Adam Smith in seiner Theorie der ethischen Gefühle – einem Buch, das er noch vor seinem bahnbrechenden Werk über den Reichtum der Nationen veröffentlichte.

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