Auch eine Art Glaubenskrieg

Seit der Salonkommunist und Literaturtheoretiker Terry Eagleton ein Jesus-Buch herausgebracht hat, ist das britische Intellektuellenleben um eine Affäre reicher.
Es stehen sich gegenüber: Linke Religionsfreunde gegen rationalistische Atheisten. taz, 30. Jänner 2008

 
Karl Marx hielt die Religionen ja bekanntlich für das „Opium des Volkes“, bestens geeignet, die Leidenschaften zu sedieren. Heute kann man Zweifel haben, ob das wirklich die beste Metapher war. Die Religionen erweisen sich ja eher als das Aufputschmittel der Völker, als wären sie dafür gemacht, die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. „Kokain des Volkes“, hat Umberto Eco die Religionen deshalb unlängst genannt. Aber der Kampf der Kulturen tobt nicht nur zwischen dem, was seit Samuel Huntington die großen „Weltzivilisationen“ heißt, es kracht neuerdings auch ordentlich in der akademisch-literarischen Community. Leute, die sich vor ein paar Jahren noch über postmoderne Basisannahmen einig waren, geraten sich jetzt gehörig in die Haare.
 
Die einen halten „den Islam“ für die große Weltgefahr, andere alle Religionen für die Pest. In der anglo-amerikanischen Welt sorgt die atheistische Bestseller-Dreifaltigkeit – Richard Dawkins, Christopher Hitchens und Sam Harris – seit beinahe einem Jahr schon für Furore. Aber gegen sie stellen sich nicht nur Frömmler, Bischöfe und Imams, sondern neuerdings manche der, ja, Hohepriester der postmodernen Theorieproduktion. Besonders lautstark warf sich jetzt Terry Eagleton, der Godfather der postmarxistischen Literaturtheorie, ins Gefecht. Ausgerechnet Eagleton, der den Ruf hat, ein unverbesserlicher alter Linksradikaler zu sein, hat ein Buch geschrieben mit dem beeindruckend schlichten Titel: „Jesus Christ. The Gospels“ (Jesus Christus. Die Evangelien. Eine Einführung). Pikant: Herausgebracht hat das Buch „Verso“, das legendäre Verlagshaus der britischen Neuen Linken.
 
Eagleton hatte schon in seinem bislang jüngsten Buch, „Holy Terror“, eine Lanze für die Religionen gebrochen. Der alte imperialistische Haudegen Eagleton kann darin selbst der eigenartigen Praxis islamischer Selbstmordattentäter noch etwas abgewinnen: „Was für ein Leben ist das, wenn nichts bedeutend genug ist, dass man dafür sterben würde?“, fragte er in Richtung jener, die den religiös motivierten Todeskult für irgendwie unzeitgemäß halten.
 
Und jetzt also Jesus. Das ist insofern bemerkenswert, als Eagleton, bevor er zum umstrittensten britischen Salonkommunisten mutierte, ein gläubiger Katholik aus armer irischer Familie war, Ministrantenkarriere inklusive. Kein Wunder, dass da die Frage aufkommt, ob sich da nicht ein Kreis schließt. Eagleton räumt freilich neuerdings ein, er habe die Kirchgänge nie ganz aufgegeben. Was ihn erbost: „Seit dem ‚War on Terror’ gibt es eine Renaissance des altmodischen liberalen Rationalismus.“
 
Die postmoderne Theorieproduktion, mit ihrem Faible für das Symbolische, Imaginäre und Zeichenhafte, hat ja seit jeher eine gewisse Glaubensaffinität. Dass sich Gesellschaften als symbolische Ordnung konstituieren, Subjekte ihre Identität nicht auf rationale Weise ausbilden, dass das Ideologische nicht bloß ein Überbauphänomen ist, sondern im letzten das was die Welt zusammenhält, gehört ja heute zu den Grundgewißheiten im breiten Strom zwischen Cultural Studies, Ethnologie und Philosophie. Damit steht diese psychoanalytisch inspirierte Geisteswissenschaft in einem Spannungsverhältnis zu einem rationalen Pragmatismus, ganz zu schweigen zu einem aufklärerischen Positivismus. Klar auch, dass im Kontext eines selchen Denkens das Religiöse eine höhere Würde hat als ein szientistischer Naturalismus á la Dawkins.
 
Aber Eagleton macht mehr als nur einen Schritt über die Linie, die den, für den Religion irgendwie interessant ist, vom eigentlich Religiösen trennt. Er macht das natürlich auf seine ihm eigene, ironische Art. Er habe doch nur über Jesus geschrieben, weil er gefragt worden sei, ob er in der Reihe über historische Persönlichkeiten über Jesus schreiben wolle. Er hätte auch Trotzki wählen können, er habe aber gefunden, so Eagleton, dass Jesus noch eine Spur spannender sei, „weil Trotzki nicht von den Toten auferstanden ist“.
 
Eagleton stellt Jesus als Revolutionär dar, der statt Kommunismus nur „Reich Gottes“ gesagt hat – aber damit gewissermaßen den Kommunismus als Idee in die Geistesgeschichte einführte. „Obdachlos, besitzlos, sozial am Rande stehend, ohne Beruf oder Beschäftigung, der Freund von Außenseitern und Parias, uninteressiert an materiellen Besitztümern, ohne Angst um seine eigene Sicherheit, war er ein Ärgernis für das Establishment und für die Reichen und Mächtigen.“ Kurzum: Ein Aufständischer gegen die jüdischen Tempelautoritäten und die römischen Okkupanten. Ein palästinensischer Revolutionär sozusagen.
 
Eagletons religiöse Wendung wurde zuletzt zu einer regelrechten „Affäre“ im britischen intellektuellen Leben, weil er den Schriftsteller Martin Amis und den ehemals trotzkistischen, jetzt eher exzentrischen Radaupublizisten Christopher Hitchens frontal anging. Amis, der einige kulturkämpferische Anmerkungen über Muslime machte, klinge wie ein „Strolch aus der British National Party“, schimpfte Eagleton. Das war doppelt pikant, als Amis gegenwärtig ein Kollege Eagletons innerhalb des Professorenkollegs der Manchester University ist. Als Kritiker der Atheisten rund um Dawkins wiederum machte sich der begnadete Ironiker Eagleton einen Namen, als er eine Besprechung von dessen Buch „Der Gotteswahn“ mit dem hübschen Satz beginnen ließ, „man stelle sich jemanden vor, der über Biologie doziert, und dessen Wissen auf diesem Gebiet einzig aus dem ‚Buch der britischen Vögel’ stammt, dann hat man eine grobe Idee davon, was es heißt, Dawkins über Theologie zu lesen“.
 
Eagleton steht längst nicht allein mit seiner Kritik. Wie Eagleton hat sich auch der einflussreiche amerikanische Literaturtheoretiker und Rechtsprofessor Stanley Fish dem Kampf gegen die Neue Atheisten verschrieben. Die argumentierten genauso glaubensbasiert wie die Religiösen, meint Fish, der ein wöchentliches Blog auf der Webseite der New York Times schreibt. Es gäbe kein vernünftiges Argumentieren ohne Glauben, so Fish. Dawkins & Co., die die Evidenzen der Darwinschen Evolutionstheorie und viele andere naturwissenschaftliche „Fakten“ gegen die Religion ins Treffen führen, gehörte bloß „einer anderen Glaubensgemeinschaft an“. Dass sie für ihre Argumente wissenschaftliche „Beweise“ anführen können, sei nicht überraschend. Denn innerhalb eines Glaubens seien alle Fakten Indizien, die den Glauben stützen.
 
In einem bemerkenswerten Stakkato knüpfte sich Fish die Neuen Atheisten vor. Obwohl er, wie er sagt, keine besonderen emotionalen Involviertheiten habe. Seine Kritik sage nichts über „meine eigenen religiösen Ansichten aus, nicht einmal darüber, ob ich überhaupt welche habe“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.