Homo Shopping

Der Anzeiger, die Zeitschrift des Hauptverbandes des österreichischen Buchhandels, machte unlängst dieses Interview mit mir über mein Buch "Das Kult-Buch". Interview: Veronika Leiner
Anzeiger 01/2008

 

Die hippe Aufmachung des Buches im "Retro-Chic" steht in einem gewissen Widerspruch zur sehr seriösen Auseinandersetzung im Text – wie weit klaffen das Image der Ware und ihr Inhalt hier auseinander?

Sie meinen, weil innen etwas kritisiert wird, mit dem außen gespielt wird? Ich finde nicht, dass es eine Mogelpackung ist, sondern dass die Aufmachung einerseits ziemlich genau auf den Punkt bringt, was im Buch verhandelt wird, nämlich: Wie entsteht so etwas wie Kult, was macht die eine Ware von der anderen unterscheidbar, welches Spiel mit Aufmerksamkeitsökonomie findet statt? Und gleichzeitig spielt das Design ironisch damit. Das ist eine schöne Mischung, finde ich, weil es nicht dröge langweilig ist, und trotzdem eine ziemlich klare Vorstellung davon gibt, wovon das Buch handelt.

Ihre Motivation für das Buch scheint fast altmodisch aufklärerisch zu sein. Hat eine solche Darstellung des Phänomens Kulturkapitalismus aus Ihrer Sicht gefehlt?

Die Motivation, etwas zu schreiben, ist bei mir immer zunächst die, mich selber mit etwas auseinander setzen zu wollen. Mein letztes Buch, Genial dagegen, war eine Beschreibung der neuesten linken Tendenzen, aber es handelt auch davon, wie so etwas wie politische Haltungen hip oder uncool werden, insofern ist es auch so etwas wie ein Vorläufer zum aktuellen Buch. Diese Fragestellung habe ich jetzt auf die Warenwelt übertragen. Die Grundüberlegung war: Was bedeutet es, wenn in der Sphäre der Ökonomie der Gebrauchswertaspekt so dramatisch in den Hintergrund tritt? Bislang konnte man sagen, es gibt Güter, die im Wesentlichen eine materielle Existenz haben, und darüber hinaus, als Sahnehäubchen, gibt es das Marketing, die Werbung, die Imageproduktion usw. Aber was bedeutet es, wenn sich in ganz weiten Bereichen der Ökonomie dieses Verhältnis umkehrt? Wenn es eigentlich nur mehr um die Immaterialität geht und die Materialität die Nebensache ist, weil die sowieso jeder voraussetzt und sie auch kein Unterscheidungsmerkmal mehr ist? Das eine Ding kann die gleiche Materialität haben wie das andere, und das eine ist dem Untergang geweiht und das andere wird zu einem Weltschlager. Was bedeutet das auch für das gesamte Kategoriensystem? Deshalb ja auch der Begriff des Kulturkapitalismus, der von Jeremy Rifkin erfunden und von Slavoj éiûek transformiert wurde.

Der aufklärerische Aspekt ergibt sich daraus sozusagen logisch. Werbung und Kommerzkritik gibt es seit den 50er Jahren, und die sagt im Wesentlichen, dass es eine Werbeindustrie gibt, die uns manipuliert und quasi in unsere Gehirne eindringt. An dieser Kritik ist schon viel Wahres dran, aber so ganz stimmt sie auch wieder nicht. In einer Welt, die voll ist mit Zeichen, gibt es immer auch die Möglichkeit, souverän mit diesen Zeichen zu spielen. Mein Ansatz war auch nicht die Postmoderne, die sagt, werfen wir alles über Bord, geben wir uns dem freien lustigen Spiel der Zeichen hin und finden wir das alles super. Die Frage war: Was macht das mit uns? Wie verändert das unsere Gesellschaften? Wo hat die Souveränität ihre Grenzen, welche Mentalität oder welchen Habitus schreibt das in uns ein? Selbst wenn wir Mitautoren dieses Spiels sind, sind wir doch auch nur Spielball. Ich habe mir angeschaut, was an der Kritik ist rettbar, und was an altmodischem Ballast muss man wegwerfen. Das unterscheidet mich von diesen nur fröhlichen Konsumfreunden. Nichts ist ganz neu und eigenständig, aber das war Grund genug, das Buch zu schreiben.

Ist diese "Kulturalisierung der Ökonomie" etwas ganz neues? Lässt sich das in der Geschichte nicht immer wieder beobachten? Als "Dekadenz" einer in Bezug auf Waren gesättigten Gesellschaft?

Natürlich wurde in den 50er, 60er, 70er Jahren auch PR gemacht und versucht, ein Produkt mit einem Image zu versehen, das besser ist als das eines anderen. Aber das, was Sie mit Dekadenz bezeichnet haben, stimmt für diese Phase des Kapitalismus nicht, da ging es um Fleiß, darum, gute Produkte herzustellen, deutsche Wertarbeit, wenn man so will. Und dann verkauft man sie auch noch gut, mit den dazugehörigen Nebenelementen. Das war ein anderer Geist des Kapitalismus, nicht der Geist des: Genieße nur! Habe nur deinen Spaß! Die Produkte gibt es ohnehin, der Preis ist nicht so wichtig, sondern nur das Spiel mit den Images. Das hat sich in den letzten 15 bis 20 Jahren verändert, glaube ich. Früher war Dekadenz etwas Kontraproduktives, Spaß haben hat den Taktschlag am Fließband reduziert. Heute ist die Dekadenz das, was das Wirtschaftssystem selbst antreibt. Die historische Dekadenz aristokratischer Schichten war ja nur die Dekadenz einzelner Schichten, die breite Masse musste in die Hände spucken. Man muss auch heute noch arbeiten, aber der Begriff der "Spaßgesellschaft" sagt eigentlich schon alles aus, der Spaß ist der Motor der Leistungsproduktion.

Im Kultbuch scheint die Haltung von einer fast konsum-euphorischen in eine immer pessimistischere umzuschlagen, das Unbehagen wird größer.

Das Buch wird kritischer, das war natürlich Absicht. Mir war wichtig, die ganz platten Annahmen der klassischen Konsumismuskritik beiseite zu räumen. Dass der Kapitalismus alles grauer macht beispielsweise, das lässt sich nicht wirklich behaupten. Die vielen verschiedenen Milieus und Lifestylegruppen unterscheiden sich ja nicht dadurch voneinander, dass sie verschiedene Grautöne haben, sondern dass sie auf möglichst unterschiedliche Weise grell sind. Das Entstehen von Alternativgruppen, das man früher noch als das Gegengewicht zum Kapitalismus angesehen hat, wird heute nicht nur zugelassen, sondern sie werden zunehmend zu Zielgruppen gemacht. Ich gehe auch so weit zu sagen, dass das für das Individuum selbst zum Teil positive Auswirkungen hat. Dem Individuum wird ja nicht nur eine Individualität von der Stange angeboten, es werden nicht nur Wünsche generiert, sondern für die Wünsche, die jemand hat, stehen ihm eine Unmenge von Gadgets zur Verfügung, um sie auszudrücken. Das ist meine Kritik in an der Konsumismuskritik.

Auf der anderen Siete stehen für alles, was jemand ausdrücken will, schon vorfabrizierte Gadgets zur Verfügung. Es gibt kein Incentive, selbst etwas zu tun oder selbst etwas auszudrücken, selbst souverän und kreativ etwas zu machen, wenn man einmal davon absieht, dass die Kombination der vorfabrizierten Gadgets auch so etwas wie eine kreativer Vorgang ist. Aber letztlich herrscht der passive Zug vor, alles, was vorhanden ist, zu verwenden und selbst nicht allzu viel zu machen. Das zweite ist die Shopping-Mentalität, die unser ganzes Leben durchzieht. Das Neue ist besser als das Gewohnte, das was ich habe, verliert in dem Moment, in dem ich es besitze, sofort seine Bedeutung, weil schon das nächste begehrenswerte Objekt oder der nächste begehrenswerte Mensch auftaucht. Das ist die Ruhelosigkeit des Homo shoppingiensis, die eine unfröhliche Ruhelosigkeit ist, weil sie das Ergebnis eines stetig ungestillten Begehrens ist. Das dritte sind die unintendierten Nebeneffekte dieses Consumer-Verhaltens, die Totalkommerzialisierung, was es mit den Städten macht. Das Verschwinden von öffentlichen Räumen, die keine öffentlichen Räume im eigentlichen Sinn mehr sind, die Grellheit der Städte, die überall gleich ausschauen, die Powerbrands, die die zentralen Einkaufsstraßen besetzen und branden. Mit dem Ergebnis, dass man am Kohlmarkt die gleichen Geschäfte findet wie am Boulevard Saint Germain, und alles irgendwie gleich ausschaut; unter Abzug der nostalgischen Kulisse der Städte, die es nur braucht, um Touristen anzuziehen, und die nur in ihrer Kulissenhaftigkeit gefördert werden. Der Rest verkommt immer mehr zu billiger Shopping Mall-Architektur, die auf ihre Art auch überall gleich billig und auswechselbar ausschaut. Bahnhöfe, Flughäfen, Museen, man bewegt sich immer mehr durch solche Orte, an denen man nichts anderes mehr machen kann als shoppen oder durchgehen. Es ist ja kein Zufall, dass das immer Orte der Ortlosigkeit sind: Eine Shopping Mall ist die günstigste Art, von einem Geschäft zum anderen zu gehen, diese Ortlosigkeit ist hier noch viel stärker als bei Flughäfen oder Bahnhöfen, denen der Zweck der Durchgangsstation ja schon eingeschrieben ist.

Sie schreiben von der Globalisierung der "Norm" des westlichen Kapitalismus, die dem "exotischen Anderen" gegenübersteht? Ist das nicht eine sehr eurozentrische Perspektive?

Ich glaube nicht, dass das eine eurozentrische Perspektive ist, weil das nämlich genau die Perspektive der "anderen" ist. Nur nehmen wir die narzisstischen Verletzungen, die das bei den anderen auslöst, überhaupt nicht mehr wahr. Wäre der westliche Way of Life mit seinen globalen Marken, einer Art Währung der Hipness, die man überall haben will, vollkommen ohne Anziehungskraft auf nichtwestliche Kulturen, dann hätten sie auch kein Problem damit. Dann wäre das halt der westliche Lebensstil und sie hätten ihren. Aber sie erleben das ja einerseits als etwas, was sie unbedingt haben wollen, und gleichzeitig als etwas, was ihnen vorgesetzt wird, was mit einer imperialen Geste daherkommt, zu dem sie wenig beitragen – bei aller Hybridisierung, die das auch in sich birgt. Denn natürlich absorbiert die globale Leitkultur auch Stile, mixt sie neu und verkauft sie dann an die weiter, denen man sie gestohlen hat. Die HipHop-Kultur ist so etwas: die Kannibalisierung eines schwarzen amerikanischen Unterklasse-Lebensstils durch die Oberklassen, die damit Geschäfte machen, nicht ohne dass die anderen auch ein paar Brosamen davon abkriegen. Aber trotzdem ist es im Wesentlichen eine westliche Kultur, die mit dem Gestus "Hier bin ich, ich bin begehrenswert, nimm mich an!" überall hinkommt. Und die Abwehrreaktion in den nichtwestlichen Kulturen ist einerseits eine Abwehrreaktion gegen diesen Gestus, andererseits aber natürlich eine Abwehrreaktion gegen dieses Begehren, dass sie in sich selbst haben. Amerika ist, ganz banal gesprochen, überall ein Wunderwort, und nicht nur etwas, was man mit Panzern und Kampfhubschraubern verbindet.

Diese Hilflosigkeit der "anderen" gibt es ja auch innerhalb der westlichen Kultur, das Gefühl, dass ein Widerstand eigentlich gar nicht mehr möglich ist?

Ja, natürlich ist ein Widerstand gar nicht so richtig möglich. Es gibt schon diese Abwehrschlachten, etwa mehr französische Popsongs im französischen Radio zu spielen, was wahrscheinlich der französischen Popkultur gar nicht schlecht getan hat. Gleichzeitig hat es aber auch etwas Hilfloses, wenn die Verteidigung der eigenen Kultur Gesetze braucht und nicht von den Wünschen derer getragen ist, die die Kultur nutzen. Und dann entwickeln sich auch die groteskesten Widerstandsformen, Mecca-Cola beispielsweise: ein anti-amerikanisches, islamisches Getränk, das mit dem Label des Superbrands der Welt spielt. Das kann man auf einer Linie bis zu den islamischen Selbstmordattentätern fortsetzen, die ja auch ihre Kraft daraus ziehen, dass sie Videos drehen und mit der Medienmaschinerie spielen, die eine Zeichenwelt ist, die eigentlich aus den USA stammt. Was wäre ein Selbstmordattentäter ohne das Homevideo?

Der Widerstand dagegen, und das versuche ich am Schluss darzustellen, kann davon handeln, dass man sich überlegt, wie eine lebenswerte Gesellschaft ausschauen soll. Was an Verteidigung von öffentlichen Orten, an Verteidigung von kulturellen Dimensionen, die nicht bloß über den Markt hergestellt werden, will eine Gesellschaft haben? Das muss dann allerdings über die Politik laufen, man kann nicht auf die Widerständigkeit des konsumierenden Subjekts alleine hoffen. Das konsumierende Subjekt kann seine eigenen Widerstandsstrategien, Verweigerungsstrategien, auch Eskapismusstrategien haben, aber ich zweifle sehr daran, dass sich daraus jemals ein wirklicher Gegenmarkt oder Gegentrend, "Gegentrend" ist ja schon eine sehr bezeichnende Formulierung, entwickeln kann.

An die Möglichkeit eines kollektiven Widerstands, wie es ihn in Alternativ- und Subkulturen gerade vor 20 Jahren noch sehr stark gegeben hat, glauben Sie nicht mehr?

Dieser Widerstand war ja bis zu einem gewissen Grad eine Selbstüberlistung. Ich versuche das auch zu beschreiben: Was wurde denn aus den Hippies oder aus den Gegenkulturen verschiedenster Art? Auch nichts anderes als Marktlücken, die man zu bedienen wusste, und mittlerweile kann man die Punk-Accessoires bei dm kaufen. Es war alles schon einmal da, was ein Problem ist. Aber selbst das stimmt so nicht, denn damals entstand das ja als authentische Gegenkultur, die später kommerzialisiert wurde. Für heutige "andere" Kultur, Nischenkultur, Indie-Pop oder was auch immer, kann man das ja schon überhaupt nicht mehr behaupten. Heute ist schon in der Geburtsstunde der Trend-Scout dabei, der Subkulturen in einer kommerzialisierten Art und Weise formt und schon mitentscheidet, welche Subkultur-Gruppe gehypt wird und welche gar nicht die Wahrnehmungsschwelle überschreitet. Dass aus dem Bereich der Gegenkulturalität eine Gegenbewegung kommt, das glaube ich überhaupt nicht. Und selbst wenn Orte von Gegenkulturalität entstehen, hat es früher 20 Jahre gebraucht, bis sie zu so etwas wie schicken Bobo-Quartieren wurden, und heute dauert das zwei, drei Jahre.

Wenn Sie sagen, gefragt ist der Staat, wo bleibt da die Zivilgesellschaft?

Gemeint ist nicht der Staat als Verwaltungsapparat, gefragt ist ein öffentlicher Diskurs, eine Verständigung der Bürger auf vernünftige Weise, durch öffentliche Rede. Und ein Buch ist ja nichts anderes als öffentliche Rede in gedruckter Form, die dann zu politischen Konsequenzen führen kann. Zu einer Bauordnung, die besagt, nicht mehr Shopping Malls im innerstädtischen Bereich zu bauen, oder zur Etablierung von mehr freien Räumen und Häusern für Jugendkultur etc. Auch wenn man nicht mehr die Illusion der 70er Jahre hat, dass so etwas die Keimzelle der Transformation der Gesellschaft ist, ist es immer noch ein authentischerer Ort als das kommerzialisierte Freizeitangebot. Darüber braucht es ein gesellschaftliches Bewusstsein, und wenn es das gibt, dann wird es sich auch in Politik umsetzen. Im Großen, im Sinn von parlamentarischen Gesetzen, aber vor allem auch im Kleinen, in den Kommunen.

Neben einem Buch wie dem Kultbuch können aber doch auch subkulturelle Anstrengungen einen Beitrag zu einer öffentlichen Diskussion darüber leisten?

Ja natürlich, ich sage nicht, das ist alles nur Mist und hat überhaupt keinen Sinn. Wenn ich die Illusionen ein bisschen ironisch aufspieße, die unter den Leuten herrschen, die in einem florierenden, hippen Club stehen und glauben, sie sind super-subversiv, und in Wirklichkeit machen sie nichts anderes als alle anderen auch, dann heißt das nicht, dass das nicht bessere Orte sind als die total-kommerzialisierte Disco, selbstverständlich. Und selbstverständlich sind Orte von WUK bis Ernst Kirchweger-Haus besser, es bräuchte mehr solcher Orte und es bräuchte sie nicht nur für einen kleinen eingeschworenen Kreis.

Sie schreiben auch, dass die "Erinnerung" an nicht kommerzialisierte, außerökonomische Werte verschwindet, ausgelöscht wird.

Man denkt ja nur mehr in ökonomischen Kategorien, was aber nicht heißt, dass man nicht auch außerökonomische Werte präferieren kann. Der Homo oeconomicus, der nur nach rein pekuniären und materiellen Interessen agiert, existiert so ja nicht, er hat ja auch ein Gewissen, einen Zug von Altruismus, der auch in sein Marktagieren eingeht. Aber das Erstaunliche ist, dass heute selbst die Weltverbesserung in der Sprache der Ökonomie ausgedrückt wird. Da wird nicht mehr gefragt, was können wir an nicht-ökonomischen staatlichen oder sonstigen Regulierungen für die Ökonomie schaffen, um eine lebenswertere Welt herzustellen. Sondern gefragt wird, wie kann das Agieren auf Märkten so verändert werden, dass daraus eine bessere Welt entsteht. Der bewusste Verbraucher hat in diesem Sinn den Bürger ersetzt, und das bürgerschaftliche Handeln soll sich vor allem am Markt ausdrücken, indem ich ökologisch und sozial korrekte Güter kaufe. Dass selbst Weltverbesserung ganz wesentlich in den Kategorien des Ökonomischen geschrieben wird, ist ein Beispiel dafür, dass uns offensichtlich das Denken außerhalb von Marktkategorien verloren gegangen ist. Genauso wie uns die Vorstellung von dem, was ein öffentlicher Ort ist, verloren geht. In den geschlossenen Kommerzzonen unserer Innenstädte funktionieren ja selbst die Straßen schon nach den gleichen Gesetzen wie Wege in den Shopping Malls, störende Elemente werden weggeschafft, weil sie den Verkauf oder den Tourismus stören. Die Idee davon, was ein öffentlicher Ort ist, nämlich einer, wo auch Spannungen auszuhalten sind, ist verloren gegangen.

Sie schreiben in allen wichtigen deutschsprachigen "linken" Mainstream-Medien. Wie arbeitet man an der Marke "Robert Misik"?

Natürlich kommt man in einer solchen Struktur, über die ich in dem Buch geschrieben habe, um die Spielregeln dieser Struktur nicht vollkommen herum. Ein Buch zu schreiben ist eine Marktaktivität, man muss nur einmal auf der Frankfurter Buchmesse gewesen sein, um dort zu versuchen, mit den zur Verfügung stehenden Marktmitteln dafür zu sorgen, dass dieses Buch unter den 90.000 Neuerscheinungen unter die 500 kommt, die wahrgenommen werden. Dazu gehört auch, dass man sich einen Namen merkt, dass man einen Namen sehr schnell mit etwas verbindet, das unterscheidet sich im Wesentlichen nicht vom Branding eines Waschmittels oder eines iPod. Wie geht man damit um? Man kann es besser beherrschen, wenn man Bescheid weiß und die Selbstironie und Selbstreflexion hat, nicht zu glauben: Ich bin die Speerspitze der Aufklärung und des Widerstandes! Und dabei gar nicht merkt, dass man natürlich auch mitmacht, wenn man sich dazu entschließt, eine Markenpersönlichkeit zu sein.

Warum ist der Aufbau Verlag der richtige Verlag dafür?

Ich habe seit 12, 13 Jahren, seit ich in Berlin lebte und mein erstes Buch veröffentlichte, sehr gute Erfahrungen mit dem Verlag. Mir als österreichischem Autor hier in Wien bringt ein relativ starker deutscher Verlag natürlich sehr viel im deutschsprachigen Raum, wo ich auch über die taz, für die ich sehr viel schreibe, relativ stark wahrgenommen werde. Und im österreichischen Markt bin ich eh so zuhause, dass ich mich gut selbst vermarkten kann, da bin eigentlich ich für den Verlag nützlicher als er für mich. Insofern ist das eine gute Kooperation. Es ist völlig klar, wenn ich nur in einem österreichischen Verlag publiziere, dann bin ich in Österreich vielleicht ganz gut da, aber in Deutschland kriege ich schwer einen Fuß auf den Boden. Und wenn man mehr oder weniger täglich irgendwo publiziert und mit vielen Zeitungen ein gutes Einvernehmen hat, kommt man natürlich leichter über die Wahrnehmungsschwelle. Ob dann aber Rezensionen in den wichtigen Zeitungen kommen oder nicht, das lässt sich darüber nicht mehr wirklich steuern.

Gerade auch RezensentInnen und KritikerInnen bejammern die Kommerzialisierung der Buchbranche oft, dem würden Sie sich nicht anschließen?

Dem würde ich mich nicht anschließen, weil das ja hieße, es wird nichts Gutes mehr produziert. Es stimmt ja nicht, dass nur mehr Schrott rauskommt, weder auf der Ebene von Büchern noch auf der Ebene von Filmen. Es wird genug Gutes produziert. Die Frage ist eher, wie die Lebensverhältnisse der Leute ausschauen, die das produzieren, da wird vieles in großer Prekarität hergestellt. Wenn man vor 20 Jahren Journalist wurde, ist man ganz schnell bei einem Einkommen gewesen, mit dem man sich ein Leben aufbauen konnte, eine Familie gründen usw. Da kommst du heute sehr schwer hin. Das würde ich als das Problem sehen. Aber nicht, dass nicht immer auch gute Sachen erscheinen, dass die Leute nicht die Ambition hätten , etwas Gutes zu machen, und die Energie, das gegen alle Widrigkeiten durchzusetzen. Das gibt es immer.

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