Ehret den Ziegel!

Mit seinem neuen Buch "Handwerk" hat der Soziologe und Zeitdiagnostiker Richard Sennett ein glänzend formliertes Lob der manuellen Arbeit verfasst – und die Kritikerzunft verstört. Nächsten Dienstag stellt er es in meiner Reihe "Genial dagegen" im Kreisky-Forum vor. Falter, 20. 2. 2008

 
Richard Sennett ist unter den Sozialforschern ein „Big Shot“ – so etwas, wie die Stones im Rock’n’Roll. Wenn ein zeitgenössisches Problem auftaucht, dann kommt Sennett, und gibt ihm einen Namen. Das war Ende der siebziger Jahre so, als er einer der ersten war, der die fragwürdigen Seiten der Identitätspolitik aufspießte – „Die Tyrannei der Intimität“ ist mittlerweile ein Klassiker. Ende der Neunzigerjahre folgte dann wieder ein Buch mit zeitdiagnostischer Wucht, dessen Titel bald zu einem geflügelten Wort wurde: „Der flexible Mensch“ untersuchte, was unsichere Lebensläufe und die Drift von Projekt zu Projekt denn eigentlich aus den Subjekten mache. Jetzt hat der in Chicago geborene Wissenschaftler, der heute an der London School of Economics lehrt, ein neues Buch herausgebracht. „Hand-Werk“, heißt es, und Sennett stellt es kommenden Dienstag in Wien vor. Es spürt der Frage nach, wie wir Menschen eigentlich gute Arbeit tun. Da setzte es Erstaunen bei der Kritik. Ist Sennett unter die Romantiker gegangen? wird gefragt. „Gründlich gescheitert“ sei Sennett mit seinem „Hoch auf den Tischler“, höhnt der Soziologe Wolfgang Sofsky in der Welt, Fachkollege Thomas Macho witzelt in der Neuen Zürcher abgeklärt, „das Lob der Tat entsteht regelmäßig am Schreibtisch“. Was also interessiert einen Gesellschaftskritiker wie Sennett am Handwerk?
 
Haben Sie eine Geschichte des Handwerks geschrieben – oder gar einen Ratgeber für den „flexiblen Menschen“, wie der zu einem glücklicheren Kerl werden könnte?
Sennett: Weder noch. Ich wollte erklären, warum wir gute Arbeit ihrer selbst wegen machen und wie wir unsere Fähigkeiten dabei weiter entwickeln.
Was ist denn gutes Handwerk?
Sennett: Jedenfalls etwas, was nicht nur mit manueller Arbeit verbunden ist. Ein Dialog zwischen Praxis und Nachdenken.
Und solche gute Arbeit macht uns glücklich?
Sennett: Worum es mir ging ist eher: Bibliotheken sind voll mit der Kritik des Arbeitslebens. Ich wollte darüber schreiben, was das eigentlich ist, was wir erstreben sollten. Aber Glück? Das ist eine katholische Idee.
Aber wenn wir mit unserer Arbeit zufrieden sind, sind wir dann nicht glücklich?
Sennett: Ich würde eher sagen, wir haben Respekt vor dem, was wir tun.
 
Er wollte, sagt Sennett, endlich einmal etwas Positives schreiben. Vielleicht wird man Sennetts neuem Buch am ehesten gerecht, wenn man es mit neugierigem Wohlwollem umkreist. Grandios geschrieben ist es ohnehin. Sennett schreibt mit der Hand. Immer morgens. Wie Thomas Mann. Schon so eine Haltung zur eigenen Arbeit sagt etwas aus: dass da einer nicht an das grandios Genialische glaubt. Sondern eher an die Qualität der routinierten Übung. „Als Musiker bin ich tägliches Üben gewohnt“, sagt er. Sennett war Cellist, bis ihn eine schwere Sehnenerkrankung aus der Musikerlaufbahn warf und auf den Soziologenpfad stellte. Aufgewachsen ist er in der Arme-Leute-Siedlung „Chicago Green“, fast einem Slum, großgezogen von der alleinerziehenden Mutter, die Bildung und Kunst hoch hielt.
 
Man geht wohl nicht ganz fehl, wenn man Sennetts Hohelied auf das handwerkliche Ethos im Dialog mit seinen Studien über den „flexiblen Menschen“ liest. Die „Werte“ der flexiblen Gesellschaft seien, schrieb er damals: „Bleib in Bewegung, geh keine Bindungen ein.“ Die kurzfristige Projektorientierung führe, auch bei den Gewinnern, zu Krisen, weil sie besonders jene Charaktereigenschaften bedrohen, „die dem einzelnen ein stabiles Selbstgefühl vermitteln“. Gute Arbeit leisten, liest man es in dem jetzt vorliegenden Band, „heißt neugierig sein, forschen und aus Unklarheiten lernen“. Und weiter: „Die Wirklichkeit vor Ort hat gezeigt, dass Menschen, die in diesem allgemeinen Sinne handwerklich gute Arbeit leisten wollen, von den sozialen Institutionen frustriert, ignoriert oder missverstanden werden.“
 
Der Witz an Sennetts neuem Buch ist, dass er sich von den Institutionen eher ab- und sich der Arbeit als solcher zuwendet. Anders als seine Lehrerin Hannah Arendt ist Sennett nicht der Meinung, dass die Arbeit nur notwendige Last sei, sondern der Mensch ist „Homo Laborans“ – ohne Arbeit kein Denken, salopp gesagt. Sennett hat viel recherchiert in der Geschichte des tätigen Lebens. Über mehrere Seiten geht es um die Eigenschaften von Ziegeln. Am Beispiel der Manufakturen Cellinis und Stradivaris wirft er die Frage nach der Weitergabe von Wissen auf, am Beispiel des Philosophen Ludwig Wittgenstein, der in der Kundmanngasse in Wien ein Haus baute, das Problem von Obsession und Perfektionismus.
 
Ist die Zeit des Handwerksethos nicht ein für alle mal vorbei?
Sennett: Das mag stimmen, wenn man damit nur Tischler oder Tapezierer meint. Das ist eher ein Problem der deutschen Sprache. Im Englischen sagen wir „Craft“ zu jeder prozessorientierten Arbeit.
Aber auch wenn man Handwerk in diesem Sinne versteht – die Anreize sind heute doch andere. Schnell und effizient muss es gehen.
Sennett: Das stimmt, einerseits. Aber andererseits sind die Menschen damit nicht glücklich. Wir müssen aufpassen, dass wir keine Karikatur zeichnen. Wenn ich sage, heute ist es den Journalisten egal, was sie schreiben – dann werden Sie erwidern, ja, manchmal kommt das vor, aber für sehr viele trifft das nicht zu.
Was ist die gute Arbeit der Billa-Kassierin? Was die gute Arbeit des Entertainers?
Sennett: Das ist natürlich eine knifflige Frage: Was heißt Qualität im Dienstleistungssektor? Aber es bleibt auch hier eine Tatsache: Die Menschen wollen sich für das respektieren, was sie tun.
Also ein optimistisches Buch?
Sennett: Oh, ich würde dieses Wort nicht gebrauchen. Denn wir müssen oft auch leiden für die Dinge, die uns wichtig sind. Nicht alles ist ein Vergnügen, was wertvoll ist.
Der übliche sozialkritische Instinkt ist doch, zu sagen: Ich würde gerne großartige Dinge tun, aber die Gesellschaft hindert mich daran.
Sennett: Das ist oft billiges Selbstmitleid. So nach dem Motto: Ich wäre ja ein toller Hecht, aber die Gesellschaft steht mir im Weg. Die wirklich armen Leute könnten mit diesem Selbstmitleid nicht überleben – das ist eher eine bourgeoise Eigenart, eine Luxushaltung.
 
In seiner Jugend, in den Sechzigerjahren, war Sennett leidenschaftlicher Linksradikaler, aber, so erzählte er einmal, „mit Mitte 20 habe ich diese Leidenschaft verloren, und ich konnte dieses ganze Gerede von Kapitalismus und Sozialismus nicht mehr hören“. Sennett möchte einer sein, der genau hinsieht. Ein Zeitdiagnostiker mit großer Geste ist er ohnehin. Man kann sein Buch als romantischen Abgesang lesen, wonach das handwerkliche Ethos heute nichts mehr gilt. Aber man kann es auch in ganz anderer Hinsicht lesen, dass der Antrieb, eine Arbeit zu machen, die vor einem selbst zu bestehen vermag, ganz tief sitzt – mögen die Firmen ihre Angestellten oft auch wie Ameisen behandeln.
 
„HandWerk“ – Richard Sennett zu Gast in der Reihe „Genial dagegen“. Dienstag, 26. Februar, 19 Uhr, Kreisky Forum für Internationalen Dialog. Armbrustergasse 15, 1190 Wien.

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