Spießige Innenstadt-Bürger?

Zu meinem Essay "Kamelhändler & Balkensepp" erreichten mich zwei Leserbriefe, die mich doch überraschten. Diesmal protestierten nicht die Christen und auch nicht die Muslime – sondern die Innenstadtbewohner.


Ich hatte geschrieben: "Es macht schon einen Unterschied, … ob die (Islam-) Kritik von einer Ex-Muslimin wie Ayan Hirsi Ali kommt, die sich mit aller Mühe aus den patriarchalen Zwängen ihrer Religion freigekämpft hat oder von spießigen Innenstadt-Bürgern, die über die rückständigen Türken und Araber die Nase rümpfen."

Daraufhin schrieb ein leiser mit gelassener Lakonie: "Danke für Ihren um größte Ausgewogenheit bemühten Kommentar. Gerade da fällt aber auf, wie leicht man diskriminierend ausrutschen kann: Ihre pauschale Verachtung der Menschen einer bestimmten Region verletzt  gerade in diesem Umfeld besonders. Wir Bewohner der Innenstadt sehen uns weder als spießig noch als Xenophob, noch als besonders arrogant oder ausgesprochen „Fortschrittlich“ (und daher auch nicht im Gegensatz stehend zu anderen, „Rückschrittlichen“). Im Gegenteil: wir Innenstadtbewohner zeichnen uns durch weit überdurchschnittliche Toleranz, Geduld und Weltoffenheit aus. Denn ohne diese Tugenden könnte man in der Innenstadt ganz sicher keine Woche überleben.
Mit lieben Grüßen aus der garantiert nichtspießigen Innenstadt"

Eine andere war schon weniger gelassen und postete:

S.g.Herr Misik.
Als Innenstadtbewohnerin rümpfe ich nicht die Nase über Türken oder Araber, sehr wohl aber über Menschen wie Sie, die sich seitenweise über Leute mokieren, die Pauschalurteile über ihre Mitmenschen fällen und selber, wie man in diesem Artikel ja lesen kann, nicht anders agieren. Sie nehmen uns Innenstadtbewohner pauschal als "schlechtes" Beispiel,nennen uns in einem Atemzug mit Susanne Winter, beschimpfen uns als Spießer,sichtlich ohne uns zu kennen. Danke, sehr nett. Wir Innenstadtbewohner haben im Gegensatz zu anderen Wiener Bezirken, keine hohe FPÖ-Wählerschaft, aber das ist uninteressant, Hauptsache Sie haben ein Feindbild, in das sie sich verkrallen können. Klingt schön, "die fiesen, spießigen, pelzmanteltragenden Hofratswitwen"- sonst wohnt ja eh niemand in diesem Bezirk. Nochmals herzlichen Dank für Ihre objektive Beurteilung, weiter so, das nennt sich seriöser Journalismus!
Ilse Schilk,
1010 Wien.

Die Leser haben natürlich recht. Wahrscheinlich hätte ich mir die Pointe sparen sollen. Ich wollte bestimmt keine, ja, wie soll man sagen, regionalistischen Gefühle verletzen. Ja, und Innenstadt-Bürger sind ja weder eine Ethnie noch eine Religiongemeinschaft. Und: Eines wundert dann doch: Warum sich, wenn man von den "spießigen Innenstadt-Bürgern" schreibt, die nichtspießigen Innenstadt-Bürger überhaupt angesprochen fühlen.

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