„Vielleicht geben sie Al Gore die Kandidatur“

Paul Krugman, Stakökonom und New-York-­Times-Kolumnist, über die Rezessionsgefahr in den USA und das Herzschlag-Duell zwischen Hillary Clinton und Barack Obama. taz und profil, 9. Februar 2008
 

Die USA sind an der Schwelle zu einer Rezession. Wie schlecht ist die Lage?
 
Krugman: Niemand weiß das so genau. Die Daten sind düster. Und sie werden zunehmend düsterer. Allerdings, eines hellt das Bild auf – die Exporte haben zum Teil kompensiert, was die Immobilienkrise an Ausfällen produziert hat. Wenn man sich die Daten ansieht und auch die Ursachen für den Einbruch des Wachstums, dann muss man aber leider sagen, es gibt historische Parallelen. Exempel sehr schwerer Rezessionen, die ziemlich ähnlich begannen.  
 
Welche Exempel?
 
Krugman: Etwa Japan 1992, Finnland 1991. Man muss schon fürchten, dass das jetzt eine durchaus schwerwiegende Krise wird.
 
Ihre Kritiker würden wohl sagen, das ist der übliche linksliberale Pessimismus.
 
Krugman: Oh, das sagen sie immer. Als ich darauf hinwies, dass wir eine riesige Immobilienblase haben, haben sie gemeint, das sage ich ja nur, weil ich Bush hasse. Jetzt weiß jeder, dass ich recht hatte. Das war die größte Immobilienblase in der amerikanischen Geschichte und es ist absurd zu sagen, dass das keine gefährlichen Auswirkungen hat.
 
Können Sie mal erklären, warum eine Krise des Immobilienmarktes und in der Folge der Kreditmärkte notwendigerweise zu niedrigerem Wachstum und Beschäftigung führen muss?
 
Krugman: Nun, dafür gibt es grob gesagt drei Gründe: Erstens: Es wird praktisch nichts mehr gebaut und darunter leidet die Bauwirtschaft. Die beschäftigt Millionen Menschen. Zweitens: Es ist gerade in den USA sehr üblich, dass die Menschen Hypotheken auf ihre Häuser aufnehmen, um sich andere Dinge zu kaufen. Diese Möglichkeit ist jetzt sehr eingeschränkt, mit entsprechenden Auswirkungen auf die Konsumnachfrage. Oftmals haben die Leute jetzt Schulden, die den Wert ihrer Häuser übersteigen. Drittens: Für die Versicherungsinstitute ist das ein schwerer Schlag, weil es sehr, sehr viele Leute geben wird, die ihre Kredite nicht mehr bedienen können, was die Kreditversicherer trifft. Das führt zu einer schwierigen Lage auf den Kapitalmärkten. Schon jetzt haben wir die schwerste Kreditkrise seit 17 Jahren.
 
Kann es zu spektakulären Zusammenbrüchen von Versicherungen kommen?
 
Krugman: Ja, das ist möglich. Wir wissen gar nicht, wie schlecht die Lage der Kreditversicherer wirklich ist. Aber wie auch immer, ein simpler Fakt ist: Es gibt eine zunehmende Zurückhaltung, Geld zu verleihen. Und das hat unmittelbare Folgen für Investitionen und damit für Wachstum und Beschäftigung.
 
Wenn es in den USA zu einer Rezession oder eine langen Schwächeperiode kommt – muss das dann notwendigerweise Auswirkungen auf den Rest der Welt haben, auf Europa etwa?
 
Krugman: Notwendig ist das nicht. Europa exportiert beispielsweise nicht so viel in die USA, dass sinkende Nachfrage einen großen Effekt auf die europäische Wirtschaft hätte. Aber die Finanzmärkte sind eng verflochten, und die allgemeine Zukunftszuversicht in Europa hängt sehr davon ab, wie es in den USA läuft. Und das hat Auswirkungen auf Konsumenten- und Investitionsverhalten. Alle historische Erfahrung lehrt, dass eine Rezession in den USA auch zu einem Wachstumseinbruch in Europa führt.
 
Die Bush-Regierung hat nun ein Konjunkturprogramm aufgelegt, auch die Zentralbank, die Fed, hat mit Zinssenkungen reagiert. Hilft das?
 
Krugman: Alles hilft, klar. Das Problem mit dem Konjunkturprogramm der Regierung ist, es ist nicht massiv genug und zielt auf die falschen Leute. Die Steuererleichterungen helfen weitgehend den Wohlhabenden und die werden nur einen kleinen Teil des Geldes ausgeben. Das bringt höchstens etwas im Bereich von einem Bruchteil eines Prozents des BIP – und das ist viel zu wenig. Die Zinssenkungen helfen. Das Problem ist, die stärksten Implikationen haben Zinssenkungen üblicherweise, weil sie die Bauwirtschaft stimulieren. Und der Hausbau, das hat sich erledigt im Augenblick.
 
Lassen Sie uns zur US-Präsidentschaftwahl kommen: Wer wäre Ihr Favorit?
 
Krugman: Das darf ich nicht sagen. Das hat mir die New York Times verboten. Sie müssen raten.
 
Hillary?
 
Krugman: Das haben Sie gesagt.
 
Selbst der Super-Tuesday hat keine Entscheidung gebracht. Und wie geht es jetzt weiter im Clinton vs. Obama Wettbewerb?
 
Krugman: Möglicherweise gibt es erst am Nominierungsparteitag im Sommer eine Entscheidung. Gott weiß, wie das ausgeht. Vielleicht steigen beide aus und sie geben Al Gore die Kandidatur.
 
Dass sich jetzt alles um die Wirtschaft dreht – hilft das den demokratischen Kandidaten?
 
Krugman: Klar. Noch dazu, wo die Republikaner voraussichtlich jemanden aufstellen werden, der bei vielen Gelegenheiten über sich gesagt hat, er verstehe nichts von Ökonomie…
 
…sie meinen John McCain….
 
Krugman: Die Bush-Regierung tritt mit einer ziemlich niederschmetternden Bilanz ab. Die Demokraten können sagen: Das kriegt ihr, wenn ihr Republikaner wählt. Es ist ein wenig so wie 1992. Bill Clinton wurde gewählt, weil man den Republikanern, dem Präsidenten George Bush sen., die Rezession angelastet hat. Und die Leute erinnern sich jetzt daran, welch erstaunliche Prosperitätsjahre die Clinton-Jahre waren.
 
Sie beurteilen auch die Clinton-Präsidentschaft sehr kritisch. Bill Clinton habe die Chance verpasst, das Land auf einen besseren Kurs zu führen. Kann das denn Hillary schaffen? Oder Barack Obama?
 
Krugman: Ehrlich gesagt, ich bin etwas besorgt. Die wichtigste Frage ist Health Care, also das Gesundheitssystem. Wir haben noch immer keine allgemeine Krankenversicherung. Trotzdem ist das Gesundheitssystem teurer als die europäischen Systeme. Diese Lücke im US-Sozialsystem muss endlich geschlossen werden. Aber keiner der demokratischen Kandidaten wirft sich dafür ausreichend ins Zeug. Wer das aber nicht im Wahlkampf mit klaren Konzepten durchkämpft, der kriegt eine solche Reform auch nicht durch den Kongress – das ist die Lehre des Scheiterns von Bill Clintons Bemühungen. Vor allem Barack Obama laviert zu sehr. Dabei bräuchten wir einen wirklichen Reform-Präsidenten.
 
Warum so pessimistisch?
 
Krugman: Na, wegen des Nominierungswettbewerbs der Demokraten. Obama redet wie ein Prediger Wishi-Washi-Zeug, und alle reden über die Tränen von Hillary Clinton, ob sie jetzt menschlich genug ist oder nicht.
 
Aber Hillary Clinton will schon sehr ähnliche Dinge wie Sie, oder?
 
Krugman: Ja, wenn sie gewinnt und eine Mehrheit im Kongress hinter sich hat, dann wird das für das Land sehr nützlich sein. Da bin ich ziemlich über Kreuz mit vielen meiner Freunde und Bekannten. Alle finden Obama so toll, weil er so toll redet, dass das Land den Wandel, den Change, braucht. Und er ist bestimmt ein klasser Kerl, aber ob er genug Ideen und genug Biss hat? Frau Clinton hat sehr viel mehr Erfahrung.
 
Ihr neues Buch ist das Bekenntnis eines entschiedenen „Liberalen“ – was in den USA soviel heißt, wie in Europa „Sozialdemokrat“ oder „Linker“. Aber „Liberaler“, „a Liberal“, ist doch in den USA noch immer ein Schimpfwort beinahe.
 
Krugman: Ja, das ist ein Problem. Die Neokonservativen und die harten Rechten bei den Republikanern waren sehr erfolgreich, die Liberalen zu dämonisieren. Das wirkt. Wenn man die Leute fragt: „Bist Du ein Liberaler?“ sagen die meisten: „Um Gottes willen, nein!“ Fragt man sie, ob sie dafür sind, dass die Regierung für ein effektives Gesundheitssystem für alle sorgt, dann sind sie dafür.
 
Haben sich die Linken zu sehr um Homoehe, Rassismus, Feminismus gekümmert und zu wenig um soziale Fragen?
 
Krugman: Es gibt Leute, die das sagen. Ich finde, das hängt zusammen. Vor allem der Rassismus hat dazu geführt, dass es keinen voll intakten Sozialstaat in den USA gibt. Warum haben arme weiße Arbeiter im Süden begonnen, Republikaner zu wählen? Weil die Demokraten sich auf die Seite der Bürgerrechtsbewegung gestellt haben. Die Republikaner haben den Rassismus benützt, um den Sozialstaat schlecht zu machen – das Geld würde ja nur den schwarzen Müttern zu Gute kommen, die so viele Kinder kriegen, wurde getrommelt.
 
Die Menschen sind gegen den Wohlfahrtsstaat, wenn sie fürchten, die ethnisch Anderen kriegen das Geld?
 
Krugman: Dann sind sie sogar bereit, gegen ihre eigenen ökonomischen Interessen zu stimmen.
 
Jüngst haben Sie geschrieben, Europa erweist sich gerade als der „Comeback-Continent“. Aber wir haben doch in Europa genügend Strukturprobleme.
 
Krugman: Europa hat Probleme, ja. Die USA haben andere Probleme. Aber es gibt dieses Gefühl, dass es in den USA so viel besser läuft. Und das stimmt längst nicht mehr. In den neunziger Jahren stimmte das. Wachstum, Beschäftigung, technologischer Fortschritt – überall lagen die USA voran. Aber das ist vorbei. Europa hat ein bemerkenswertes Wachstum der Beschäftigung. Die Gesundheitsversorgung ist besser und billiger. Und sogar technologisch hat Europa im manchen Bereichen die Nase vorne. Nehmen Sie nur die flächendeckende Versorgung mit Breitband. Da dümpeln wir Amerikaner hinter Europa her. Trotzdem stellen wir uns in Amerika Europa als ökonomische Hölle vor. Ich sitze hier vor einem Computer, der sicher langsamer im Internet läuft als Ihrer.
 
Aber der Computer ist bestimmt in den USA erfunden worden.
 
Krugman: Ach, das ist doch längst vorbei. Technologie ist global. Mein Computer wurde in China zusammen geschraubt.
 
Aber das Betriebssystem hat sicher Bill Gates erfunden. Sind die USA nicht viel besser als der Rest der Welt?
 
Krugman: Nicht alles, was unser Leben besser macht, ist ein Wunder des freien amerikanischen Unternehmertums. 
 
Interview: Robert Misik
 
Das Buch.
Paul Krugman: Nach Bush. Das Ende der Neokonservativen und die Stunde der Demokraten. Campus-Verlag, 320 Seiten, 25,60.- €
 
Zur Person
Paul Krugman, 54
ist Wirtschaftsprofessor an der Princeton-University und Spezialist für Handelswissenschaften. Vor allem kennt man ihn als scharfzüngigen Kolumnisten der New York Times und erbitterten Kritiker der Bush-Regierung.
 

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