„Eine Unsinnsressource“

Die Kollegen vom Jugendmagazin FM-5 haben mit mir untenstehendes Interview über mein Buch "Gott behüte" geführt.

 

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Robert Misik, Autor des soeben veröffentlichten Buches „Gott behüte!“, im Gespräch über die Bibel, den „Kampf der Religionen“ und liberale Spießer.

FM5: Herr Misik, wann waren Sie das letzte Mal in einer Kirche?

Robert Misik: Anfang März, allerdings, weil ich da mein Buch in der Leipziger Peterskirche vorgestellt habe.

Wenn man Ihr Buch liest, kommt man irgendwie zu der Erkenntnis, dass letztendlich alles Religion ist, also religiöse Aspekte enthält. So haben Sie geschrieben, dass „die politischen Theorien und Utopien einen unübersehbaren theologischen Kern“ aufweisen. Und: „Dem Religiösen entkommen wir nicht so einfach und auch den Leidenschaften der Gläubigkeit nicht.“ Gibt es einen Ausweg aus dieser – doch sehr beklemmenden – Sackgasse?

Ich weiß nicht, ob das eine so beklemmende Tatsache ist – wenn wir uns einmal auf den Aspekt der theologischen Legierung vieler politischer Theorien konzentrieren. Die Religionen, besonders ihr textlicher und theologischer Überbau, sind wesentlich für die Geistesgeschichte der Menschheit, jedenfalls des Westens. Dass sie deshalb mehr als nur Spuren auch in modernsten politischen Ideengebäuden hinterlassen haben, ist von daher nicht verwunderlich. Hierzu zählt etwa der messianische Zug, wie er der marxistischen Theorie eigen ist. Also, die theologische Prägung wird die Moderne nicht so leicht los. Aber das heißt keineswegs, dass alle Versuche von Emanzipation und Aufklärung zum Scheitern verurteilt sind.

Sowohl reaktionäre als auch liberale Kleingeister reden ständig einem gewissen „Kampf der Kulturen“ das Wort. Sind wir zurzeit aber nicht schon in einer Phase, in der man vom „Kampf der Religionen“ sprechen kann – auch wenn diverse Kirchenoberhäupte ihre Angriffslust gegenüber dem Islam leugnen würden?

In gewissem Sinne zweifelsohne. Jedenfalls gab es eine Rückkehr der Religionen in die politischen Diskurse, wofür die Weltkonstellation nach dem 11. September (Stichwort: Islamismus) ganz wesentlich ist. Aber schon vorher und unabhängig davon gab es etwa in den USA einen evangelikalen Radikalismus, der sich eifernd politisch äußerte. Die polnische katholische Kirche ist ein Exempel für einen „Politkatholizismus“, aber, weniger beachtet, auch die russische Orthodoxie hat „fundamentalistische“ Tendenzen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass seit dem 11. September und der allgemeinen Rubrizierung „Kampf der Kulturen“ alle Konflikte in kulturell-religiösen Kategorien gedeutet werden. Damit zieht ein „Wir“ gegen „Sie“ ein, was, je nach dem, heißt: „Wir gegen die Moslems“, oder: „Wir gegen die Christen“ oder in Nahost etwa: „Wir gegen die Juden.“ Und das schaukelt sich hoch. Auch der vergleichsweise liberalisierte und politisch enthaltsame westeuropäische Katholizismus und auch der Protestantismus sind davon angesteckt. Einerseits ist man fasziniert von der Glaubensintensität frömmlerischer  Islamisten und auch von der Macht der radikalen Evangelikalen in den USA. Man hofft aber auch, in der Abgrenzung gegenüber dem jeweils Anderen die eigene christliche Identität stärken zu können. Dies ist der Hintergrund der grassierenden Islamophobie in christlichen Milieus, die die alte Ausländerfeindlichkeit teilweise überformt hat. Eines jedenfalls können wir beobachten: Wo es fundamentalistische Verhärtungen gibt – und die gibt es in allen der großen Religionen -, da richtet sich die Aggression sowohl nach Innen (gegen die weniger Glaubensstrengen in den eigenen Reihen), aber auch auf religionskriegerische Weise nach Außen. Das ist hochgradig gefährlich.

Auch der von Ihnen in diesem Buch verfasste Satz „Die Eiferer für ein naturalistisches Weltbild wie Dawkins klingen selbst religiös“ ist ja nicht ganz frei von Ironie. Ist nicht der Umstand, dass selbst die am meisten überzeugten Atheisten es sich nicht leisten können, die Religion unter den Tisch zu kehren, die Pointe dabei?

Nein, das ist nicht die Pointe. Klar kann man die Religion nicht unter den Tisch kehren. Was man an Dawkins kritisieren muss, und damit hat er der religionskritischen Sache einen schlechten Dienst erweisen, ist diese permanente Gegenüberstellung von Naturwissenschaft gegen Religion als wäre der naturalistische Szientifismus die einzige Art von „Wissenschaftlichkeit“. Klar, der Mensch ist eine Ansammlung biochemischer Reaktionen und Bewusstsein ein Resultat synaptischer Verschaltungen, aber man beschreibt das, was der Mensch ist, nur unzureichend, wenn man ihn auf bloße Biologie reduziert. Dawkins „glaubt“ an die Naturwissenschaft, wenn man unter „Glauben“ mal ganz allgemein eine gewisse Engstirnigkeit verstehen will.

Müssen wir uns schließlich alle mit dem Buch der Bücher, mit der Bibel beschäftigen?

Müssen nicht. Schaden tut es aber sicherlich nicht. Aus vielen Gründen sollte man einen Text, der eine derart tiefe Spur in der Geistes- und Kulturgeschichte hinterlassen hat, kennen.

Wie kann man denn diesem Problem der (politische) Re-Etablierung des Christentums quasi als Antwort auf die „europäische Islamisierung“ begegnen?

Indem man, und das versuche ich mit diesem Buch, einem verbreiteten Unbehagen wieder eine Stimme gibt. Denn die Religionskritik ist ja gehörig aus der Mode gekommen in den vergangenen zwanzig Jahren. Es hat sich auch im liberalen Lager, auch deshalb, weil die Postmoderne ihren Frieden mit der Religion gemacht hat, eingeschliffen, dass Religionen irgendwie als sinnvoll angesehen werden. Es heißt: dass etwas fehlt, wenn die Religionen fehlen. Ein „Sinndefizit“. Sie werden als Sinnressource angesehen. Jetzt ist zwar unbestreitbar, dass Menschen im Hamsterrad zwischen Job, Shopping und Disco oft das Gefühl haben, es fehlt ihrem Leben an Sinn. Aber die Religion ist eher eine „Unsinnressource“. Und es gibt unermesslich viele Möglichkeiten, „Sinn“ ins Leben zu bringen, es ist dafür die Vorstellung, dass wir unter der Videoüberwachung eines höchsten Wesens stehen, nicht nötig. Das wird aber heutzutage eher selten gesagt – auch aus falscher Scham, weil man dann sofort das Knock-Out-Argument hört, man würde „religiöse Gefühle“ verletzen. Die Religiösen aller Richtungen haben das ausgenützt. Das konnten sie aber nur tun, weil die Nichtreligiösen das zugelassen haben. Man muss wieder deutlicher sagen, in alle Richtungen: Ihr dürft glauben, worauf ihr Lust habt, aber lasst alle anderen damit zufrieden. 

Sie schreiben an anderer Stelle „Religion neurotisiert“. Inwiefern?

Es ist zentral, jedenfalls gilt das für die drei großen Monotheismen Judentum, Christentum, Islam, dass der Mensch als kleines Nichts angesehen wird, das unter der Videoüberwachung eines Gottes steht, der noch dazu traditionell und im Alltagsglauben (wenngleich auch nicht für die zeitgenössisch christlichen Theologie) als Gott in der Höhe, als ziemlich strenger und eifernder Typ imaginiert wird: Wer nicht an ihn glaubt, der wird verdammt, verwunschen. Ständig fühlt man sich als Sünder. Ein Konzept, das das Christentum noch radikalisiert hat, weil es eine Existenz ohne Sünde schlechterdings nicht kennt. Es ist geradezu besessen von der Vorstellung der Sünde. Eine bessere Quelle für Neurosen gibt es nicht. Ohnehin muss man dem durchschnittlichen Kleriker nur ins Gesicht sehen: also, die unendliche Freude der christlichen Verheißung spiegelt sich eher selten darin.

Gehen Sie davon aus, dass sich die aktuelle Situation noch weiter verschärfen wird? Von Eiferern kann man sich ja alles erwarten.

Misik: Schwer zu prognostizieren. Einerseits sind die politischen Diskurse vergiftet mit Religion. Das verspricht nichts Gutes. Andererseits sind die brandgefährlichen Konflikte auch politische Realkonflikte und es könnte sich mit dem Ende der Bush-Präsidentschaft in den USA auch eine Entspannung abzeichnen. Dieser alltägliche „Klein-Krieg der Religionen“ – von Karikaturenstreit bis Moschee-Konflikten und ähnlichen – wird uns weiter im Bann halten.

9/11, Karikaturen-Streit, Moscheen-Debatten: Werden wir zum Schluss alle religiös – nämlich christlich bzw. gemäß der jüdisch-christlichen Lehre? Es ist ja geradezu kurios, wie viele liberale Denker die religiöse Karte spielen.

Ja, wobei das mehrere Gründe hat. Einerseits gibt es da ein hohes Maß an intellektueller Verwirrung. Andererseits ist der „Antiislamismus“ endlich mal die Möglichkeit auch für elegante Bürger, mit gutem Gewissen ausländerfeindlich sein zu können. „Scheiß-Türke“, sagen, das ist in schöngeistigen Milieus ja verpönt. Aber gegen die „totalitäre Terror-Religion Islam“, da darf man vom Leder ziehen.

Sie beschäftigen sich zurzeit, auch abseits dieses Buches, sehr viel mit religiöser Thematik: Welche anderen gravierenden Erkenntnisse haben Sie bis dato gewonnen?

Dass Religion schadet. Aber das ahnte ich vorher schon.

Als vor gar nicht so langer Zeit eine gewisse Frau Winter aus Graz den Propheten Mohammed einen „Kinderschänder“ genannt hat. Soll man eine Aussage wie diese nicht einmal ignorieren?

Man kann sie nicht ignorieren. Sie wird ja bekannt, und wenn nicht über den ORF, dann über die Kapillaren des Internet. Wenn man dann darauf nicht mit scharfer Kritik reagiert, entsteht der Eindruck, dass man diese Hetze im Grunde nicht so schlimm findet.

Soll man, nicht nur hierzulande, zum Beispiel die Minderheitenposition der Muslime hervorheben?

Man muss es. Einerseits ist der Islam eine Religion mit starkem Gruppendruck, die die Individualisierungsbestrebungen etwa von jungen Frauen mit Migrationshintergrund bisweilen mit Gewalt unterdrückt, und seine Lehren sind, wie die Lehren aller Religionen, nicht gerade menschenfreundlich, oder besser: Es gibt im Koran, wie in der Bibel, solche und solche Stellen, da kann man sich raussuchen, was einem gerade passt. Man muss den Islam also genauso kritisieren wie jede andere Religion, und als Glaube, der in einer anderen Phase seiner historischen Entwicklung steht wie etwa das Christentum, das die bissige Religionskritik und zwei Jahrhunderte Säkularisierung schon hinter sich hat, verdient er vielleicht auch eine Extra-Portion Kritik. Andererseits ist er, jedenfalls im Westen, eine Religion, deren Anhänger sich vor allem in unterprivilegierten Einwanderermilieus finden. Wenn ich oder Sie also den Islam kritisieren, ist das also leicht eine Kritik kulturell relativ Etablierter gegenüber Outcasts. Daran ist nichts Emanzipatives. Eher ist es Kritik von Oben herab. Es kommt also immer darauf an, wer spricht und von welcher Position aus man spricht. Wenn sich die Nazis über Aspekte des jüdischen Glaubens lustig gemacht haben, dann war das ja auch keine Religionskritik, sondern Teil genozidaler Hetze. Grundsätzlich gilt ohnehin: Religionskritik ist wohl nur dann wirksam, wenn sie von innen kommt.

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