Kälteschock im Paradies

Weil die amerikanischen Hausbesitzer ihre Kredite nicht mehr bezahlen können, befindet sich Islands Ökonomie im freien Fall. Das Land ist das erste nationale Opfer der jüngsten globalen Finanzkrise. Falter, 30. April 2008

 
Island ist nicht Eden. Aber im Vergleich mit den meisten anderen Plätzen auf diesen Globus kommt die westlich von Grönland gelegene Atlantikinsel dem Paradies verdammt nahe. 300.000 Menschen leben hier, das Pro-Kopf-Einkommen liegt über dem der USA. Nirgendwo auf der Welt leben die Menschen länger. Kein anderes Land hat eine niedrigere Analphabetenrate. Es führt den „Human-Developement-Index“ der UNO an. Eine hippe Kulturszene hat Rejkavik auch noch – Sängerin Björk etwa gehört zu den globalen Kulturtitanen. Als wäre das nicht genug, erlebte der kleine Inselstaat in den vergangenen zehn Jahren auch noch einen phänomenalen wirtschaftlichen Aufstieg. Jahr für Jahr betrug das Wirtschaftswachstum rund vier Prozent. Und wegen des Klimawandels friert man auch weniger.  
 
Aber jetzt scheint es aus zu sein mit dem isländischen Wunder – und zwar deshalb, weil Hausbesitzer weit weg in den USA, in Miami, San Diego oder sonst wo die Kredite nicht mehr bedienen können, die sie auf ihre Häuser aufgenommen haben. Deswegen kommt die isländische Krone ins Trudeln (Kursverlust 20 Prozent in diesem Jahr), deswegen musste die Zentralbank in Rejkjavik die Leitzinsen auf astronomische 15,5 Prozent hochtreiben, deswegen schoss die Inflationsrate auf neun Prozent hoch.
 
„Wehe, ewig undurchsichtig / Sind die ewigen Gesetze / Der menschlichen Wirtschaft“, reimte schon der große Bertolt Brecht. Anders gesagt: Was haben die faulen Kredite amerikanischer Hausbesitzer mit Island zu tun? Wieso gilt die Insel plötzlich als „das erste nationale Opfer der Kreditkrise“?
 
Im Grunde ist die Sache relativ simpel: Island boomte, weil isländische Unternehmen investierten. Die Investitionen finanzierten sie mit Krediten. Auch isländische Banken investierten, bauten neue Finanzdienstleistungsunternehmen auf. Das Geld, das die Banken verliehen oder selbst investierten, liehen sie sich ihrerseits am internationalen Finanzmarkt aus.
 
„In normalen Zeiten hätte das nichts ausgemacht“, schrieb der „New Yorker“ vergangene Woche. Das gepumpte Geld floss ja in eine gesunde Wirtschaft. „Aber diese Zeiten sind nicht normal.“ Denn seitdem die amerikanische Kreditkrise ausbrach, wird auf den internationalen Finanzmärkten das Geld knapp. Die US-Wirtschaft lief in den vergangenen Jahren, weil die US-Verbraucher die Konsumnachfrage hoch hielten – mit Geld, das sie nicht hatten. Sie nahmen Hypotheken auf ihre Häuser auf und kauften sich darum Autos, Flachbildschirme, MP-3-Player, Pornofilme, was auch immer. Oder sie kauften sich Häuser – was wiederum den Preis für Häuser hoch hielt, und damit den Wert, und damit auch die Hypotheken, die man dafür bekam. Viele dieser Kredite seien faul, warnten Experten. Aber solange alle gut von der Illusion lebten, hörte niemand darauf. So baute sich eine Blase auf, bis sie platzte. Bis die Banken eingestehen mussten, dass sie viele dieser Kredite nicht mehr zurückbekommen würden. Jetzt steigen die Kreditkosten für die amerikanischen Hausbesitzer, gleichzeitig fällt der Wert der Häuser, auf die sie die Kredite aufnahmen – ihre Schulden übersteigen ihre Besitztümer, sie sind überschuldet. Die Banken werden klamm, und vergeben weniger Kredite.
 
Hinzu kommen die Hysterien, die das Betriebsklima auf den internationalen Finanzmärkten seit jeher auszeichnen: Weil man zu lange Geld an jeden Kunden ausgab, zieht man jetzt den Geldhahn für alle Kunden an – auch für die an sich solventen.
 
Wer gewohnt war, sich Geld für Investitionen am internationalen Finanzmarkt zu besorgen und wer darauf vertraut hatte, dass das auch in Zukunft so einfach gehen würde wie bisher, der hat nun ein Problem. Auch Islands Banken kommen nicht mehr so leicht an Geld ran. Genauer: Es reicht schon, wenn sich auf den Märkten die Einsicht durchsetzt, dass sie ein Problem bekommen könnten. „Allein, dass manche glauben, die Banken könnten Probleme haben, macht es ihnen schwer“, sagt Gylfi Magnusson, Ökonom an der Universität von Reykjavik.
 
Um Geld ins Land zu bekommen, treibt Islands Nationalbank seit Jahresbeginn fast im Wochentakt die Leitzinsen hoch. Kredite wurden damit nahezu unbezahlbar, was wiederum die Investitionen zum Erliegen brachte. Die Krone verfällt. Die Konsumenten kaufen nicht mehr ein. Das Wirtschaftswachstum brach ein. Prognostiker sagen eine Rezession voraus.
 
Auch andere Länder haben in den vergangenen Jahren ihren Boom mit Krediten finanziert und haben nun Probleme – Ungarn, Südkorea etwa. Aber hinter den isländischen Banken steht eine vergleichsweise kleine Nationalbank. Man bezweifelt an den internationalen Märkten, ob die Zentralbank in Reyjkavik die isländischen Banken retten könnte, wenn sie krachen. Eine brandgefährliche Konstellation, die sofort Spekulanten anzieht, die gegen die Banken und die isländische Währung wetten. „Skrupellose Dealer“ machen alles schlimmer, schimpft David Oddsson, der Chef der isländischen Nationalbank. Und Asgeir Jónsson, Chefökonom von Kapthing, einer der größten Finanzhäuser der Insel, vergleicht die Lage mit den Bankenpaniken früherer Jahre. „Man sieht heute bloß keine Menschen mehr, die sich in langen Reihen vor den Banken anstellen, stattdessen gibt es Spekulanten, Hedge Fonds, die gegen die Bank wetten. Und das Resultat ist dasselbe, wie früher, als man eine Schlange vor der Bank gesehen hat und sich sicherheitshalber auch eingereiht hat.“
 
Verwundbar ist Island natürlich, weil es klein ist und auf sich allein gestellt. Jetzt werden Rufe laut, die Insel möge so schnell wie möglich der Europäischen Union beitreten und den Euro einführen.

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