Überall Rebellen

Bei den österreichischen Nationalratswahlen haben gleich vier (Mitte-)Rechtsparteien realistische Chancen, ins Parlament einzuziehen. Das ist, neben allem Lokalen, auch ein Symptom für die allgemeine Identitätskrise der konservativen Milieus. taz, 3. September 2008

 
Viel liest man in diesen Tagen von der „Krise der Sozialdemokratie“. Die wird aufgerieben, weil sie nicht mehr weiß, wofür sie stehen soll: Eher für einen sozialliberalen Reformismus á la Schröder und Blair? Oder soll sie in einer Zeit, in der die Schere zwischen Arm und Reich wieder merkbar aufgeht, die einfachen Leute repräsentieren? Einfach gefragt: Wie links soll sie noch sein?
 
Aber nicht nur die Sozialdemokratie ist in einer Identitätskrise. Auch die Konservativen sind es – man merkt es nur nicht überall in gleichem Maße. Dabei ist das, was in allen Ländern Europas die klassische rechte Massenformation war, in den vergangenen Jahren gehörig gerupft worden. Man erinnere sich nur an die klassische Christdemokratie: Da gab’s die Dreggers, die alten harten Rechten, dann gab es die eher Wirtschaftsliberalen und dann noch die Herz-Jesu-Sozialpolitiker vom Schlage eines Norbert Blüm. Alles hatte Platz unter dem schwarzen Sonnenschirm und die verschiedenen Milieus waren von so etwas wie einem gemeinsamen Narrativ zusammengehalten.
 
Davon ist nichts mehr übrig. Die harten Rechten werden heute eher von Populisten repräsentiert. Die zeitgenössische Christdemokratie ist eher ins wirtschaftsliberale Fahrwasser geraten. Und die sozial sensiblen Schwarzen, die gibt es zwar noch, aber nur an der Basis – an der Spitze sind sie kaum mehr sichtbar repräsentiert. Selten wurde diese Krise des rechten Seelenlebens deutlicher als im laufenden österreichischen Nationalratswahlkampf. Gleich vier Mitte-Rechts und Rechtsparteien haben gute Chancen, in das Parlament in Wien einzuziehen. Unmittelbar im schwarzen Wählerreservoir will Fritz Dinkhauser mit seiner „Liste Fritz“ wildern. Dinkhauser, ein ehemaliger Olympionik im Bobfahren, war jahrzehntelang führender Funktionär der christdemokratischen Arbeitnehmer in Tirol. Als Präsident der dortigen „Arbeiterkammer“ war er eine Institution im Land. Bei den Landtagswahlen im Juni war er erstmals gegen seine „Mutterpartei“ angetreten und hat mit mehr als 18 Prozent entscheidend zum Verlust der absoluten Mehrheit durch die Volkspartei beigetragen. „Ich bin doch heute die wahre ÖVP“, sagt Dinkhauser, weil er „als einziger noch die christlich-sozialen Wurzeln der Partei“ vertrete.
 
Dinkhauser ist ein knorriger Typ, ein Tiroler Rebell, aber eben ein konservativer Rebell. Einer, der findet, dass die Partei, mit ihrer „Fit für die Globalisierung“- und „Weniger Staat, Mehr Privat“-Politik der vergangenen Jahre ihre Seele verloren habe. Er ist so eine Art österreichischer Norbert Blüm, nur dass er sich nicht in die Rente fügen will. Jetzt sammelt der 68jährige für die Nationalratswahl einen bunten Strauss auch Unzufriedenen, Nörglern (und auch an Obskuranten) zusammen, für sein Projekt eines christlichen Sozialpopulismus. Bis zu sieben Prozent geben ihm die Demoskopen.
 
Die Stamm-ÖVP ist jedenfalls in gehöriger Panik. Die Partei, die jahrelang Steuersenkungen und Budgetdisziplin auf ihre Fahnen geschrieben hat, verspricht jetzt ein Bonbon für die sozial Schwachen nach dem anderen. Und setzt, selbst auf Populistenart, auf ausländerfeindliche Parolen. Denn nicht nur die sozialpopulistische Konkurrenz macht ihr zu schaffen, auch der Markt Rechtsaußen ist heftig umkämpft. Seit der Spaltung der Freiheitlichen Partei, die in ihrer besten Zeit unter Jörg Haider 27 Prozent der Stimmen einfuhr, sind mit dem „Bündnis Zukunft Österreich“ (BZÖ) und der Ur-FPÖ gleich zwei Rechtsparteien im Angebot. Das BZÖ wird diesmal wieder von Jörg Haider, dem Landeshauptmann von Kärnten, angeführt, die FPÖ von seinem Gegenspieler und Erben, Heinz-Christian Strache. Das ist insofern bemerkenswert, als Strache sich in Habitus und Agressivität als „Haider-Klon“ präsentiert, aber nichts vom Charisma, nichts vom Schillernden des einstigen Populistenführers hat. Dennoch hat die FPÖ den Kampf um die Vorherrschaft im rechten Lager längst gewonnen. Die FPÖ präsentiert sich kompromissloser und noch hetzerischer als das BZÖ und kommt damit offenkundig gut an. Das relativiert nachträglich all jene Deutungen ein wenig, die den Aufstieg der FPÖ in den neunziger Jahren mit Haiders exzeptionellen „Charisma“ erklärten. Denn Strache, der neue Haider, hat überhaupt kein Charisma. Nur schadet ihm das kein bisschen. Bis zu zwanzig Prozent sagen die Meinungsforscher seiner FPÖ voraus, während Haiders BZÖ rund um die Vier-Prozent-Hürde dümpelt.
 
Unlängst begegneten sich Haider und Strache zur besten Sendezeit bei der TV-Konfrontation der Spitzenkandidaten. Man erwartete eine Art ultimatives Wrestling zwischen dem jungen Radaubruder und dem alternden Haider, der zu seinen besten Zeiten die gesamte politische Szenerie aufmischte. Aber es war dann eher fade, wenngleich auch nicht unamüsant: Haider gab den seriösen Sachpolitiker (Landeshauptmann!), der dem Jungen nur vorwarf, dass er nichts könne, als kritisieren. Der erklärte Haider, von diesem vertraulich als „Heinz-Christian“ angesprochen, dass er mit ihm schon längst nicht mehr per Du sei.
 
Da blickte Haider sehr traurig.

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